Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Open society Prize Ungarn

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Bundespräsident a.D. Joachim Gauck - ARCHIVBILD

©Steffen Kugler - Bundesregierung

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck - ARCHIVBILD

Verleihung des "Open Society Prize"

23. Juni 2017, Budapest, Ungarn

Änderungen vorbehalten.
Es gilt das gesprochene Wort!

Wie schön, dass ich heute an diesem besonderen Tag bei Ihnen hier in Budapest bin und mit Ihnen den Abschluss Ihrer akademischen Ausbildung feiern darf. Allen denen, die heute einen akademischen Grad – mit oder ohne Auszeichnung – verliehen bekommen, gratuliere ich ganz herzlich und wünsche Ihnen viel Erfolg, bei dem was Sie sich für Ihre Zukunft vorgenommen haben! 

Lieber Herr Ignatieff,

haben Sie vielen Dank für die überaus freundlichen Worte, die Sie über mich und mein Wirken gefunden haben. Und gemeinsam mit den Gremien Ihrer Universität danke ich Ihnen herzlich für die Verleihung des Open Society Prize. Es ist mir eine große Ehre diesen Preis, an diesem Ort und in diesem Jahr entgegenzunehmen. 

Ich bin doppelt dankbar und berührt: wegen des Zwecks des Preises, der für die tolerante, offene und demokratische Gesellschaft steht. Aber auch wegen derjenigen, deren Namen mit diesem Preis verbunden sind und auf deren Werk wir wohl alle mit besonderem Respekt schauen: auf den ersten Preisträger, Karl Popper und auf andere hinreißende Verfechter demokratischer Werte wie Václav Havel oder Martti Ahtisaari.  

Diesen Preis, der für die offene Gesellschaft wirbt, verliehen in der Hauptstadt Ungarns, verbinde ich aber auch mit ganz persönlichen Erinnerungen, die ich mit Ihnen teilen möchte. 

Es ist die Erinnerung an die große liberale Tradition Ungarns, an die Liebe zur Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger. Ich erinnere mich noch sehr gut an 1956 als die Ungarn sich mutig gegen die kommunistische Herrschaft erhoben. Voller Hoffnung verfolgte ich als 16-jähriger Bewohner einer anderen Diktatur von sowjetischen Gnaden die ersten friedlichen Demonstrationen, die von Studentinnen und Studenten dieser Stadt ausgingen. Sie beriefen sich auf die Revolution von 1848 und forderten wie die Revolutionäre von einst mehr bürgerliche Freiheiten, eine parlamentarische Demokratie und nationale Souveränität. Unerhörte Ideen im Herrschaftsbereich des sowjetischen Imperialismus! Den Studenten folgten schnell viele Bürgerinnen und Bürger in ganz Ungarn und der Ruf nach Freiheit konnte von den Herrschenden nicht mehr ignoriert werden. Erst das Eingreifen sowjetischer Panzer, erst brutale Gewalt, konnte die demokratische Revolution blutig niedergeschlagen. Unter dieser Gewalt, der Drangsalierung und Repression verbargen die Menschen ihre Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung, aber sie ließen diese Sehnsucht nicht auslöschen und bewahrten sie über Jahrzehnte auf. Für uns Deutsche aus der DDR schienen sie ihren Freiheitswillen sehr selbstbewusst zu zeigen – jedenfalls sehr viel offener und mutiger, als wir es aus unserem eigenen Land kannten. Wenn wir Ungarn besuchten, staunten wir über das Selbstbewusstsein der Menschen und über das Leben hier, das uns freier erschien als das Leben in der DDR.  

Im Sommer 1989 schauten wir aus dem Osten Deutschlands dann wieder gebannt auf Ungarn und die dortigen Reformen. Schritt für Schritt errangen die Ungarn ihre Unabhängigkeit und Freiheit zurück. Und als sich auch für viele Bürgerinnen und Bürger aus der DDR das Tor zur Freiheit Stück für Stück öffnete, ließen wir uns von der offenen und liberalen Haltung der Ungarn beflügeln. Es waren die Bilder vom Paneuropäischen Picknick bei Sopron und dann am 10. September 1989 die legale Öffnung der Grenze zu Österreich für DDR-Bürger, die uns auch in der DDR Mut machten. 

Ein herausragendes Beispiel für die liberale und offene Haltung der Ungarn ist der Spiritus Rector dieser Universität und des Open Society Prize, George Soros. Er, der in dieser Stadt aufgewachsen ist, der der Verfolgung durch die Nazi-Schergen entkam und die Schlacht um Budapest überlebte, studierte nach dem Krieg in London bei Karl Popper und wurde zu einem der beständigsten Vorkämpfer für die freiheitliche Gesellschaft in Mittel- und Osteuropa. Schon früh engagierte er sich mit seiner Open Society Foundation in Ländern des Warschauer Paktes und unterstützte den Wandel vom totalitären Staat zu demokratischen Gesellschaften. 

Warum berichte ich Ihnen heute von meinen Erinnerungen? Nicht um ihrer selbst willen, sondern damit wir uns immer wieder neu vergewissern, wer wir sind und was wir bereits erreicht haben. Es waren auch die Bürgerinnen und Bürger Ungarns, die sich die Freiheit ersehnt und errungen haben und nun fühlen sich einige in dieser Freiheit bedroht oder sogar verloren. Damals ersehnten wir ein Europa ohne Grenzen und nun erscheint einigen diese Offenheit als Bedrohung. Im Osten wie im Westen setzten wir uns für einen vereinten Kontinent ein und nun möchten sich einige in den eigenen Nationalstaat zurück flüchten. Die Ungarn gingen 1989 ein gutes Stück voran, um Freiheit, Demokratie und die offene Gesellschaft zu erkämpfen. Wir haben diese Freiheiten gemeinsam erkämpft – und ich wünsche mir, dass wir diese Freiheiten auch gemeinsam nutzen und ausfüllen!  

Mir und auch Ihnen ist wahrscheinlich bewusst, dass die freiheitliche Demokratie nicht vollkommen ist. Anders als andere Staatsformen erhebt sie auch gar nicht diesen Anspruch. Im Gegenteil: Sie ist lernfähig und -willig. Sie ist die einzige Ordnung, die ihre Defizite und Mängel nicht zu verstecken trachtet, sondern sie lösen will –durch wissenschaftliche Erkenntnisse oder den Wettstreit der Meinungen! Und sie schätzt und fördert die aktive Zivilgesellschaft. 

Und gerade in Zeiten, in denen an vielen Orten erreichte Ordnungen in Frage stehen und viele Gewissheiten verloren gehen, sollten wir uns an unsere eigenen Erfahrungen erinnern. Wir sollten uns der Herausforderung stellen und die liberale Demokratie verteidigen. Wir können ihre Erfolge benennen und müssen ihre Mängel nicht verschweigen. Und wir können dies viel selbstbewusster tun als all jene, die zurück zu Einheitsmeinungen in Politik und Wissenschaft wollen – sie haben in der Geschichte nichts erreicht und keine Angebote für die Zukunft. Die freiheitliche Demokratie hat sie. 

Lassen Sie mich zum Ende meiner Dankesworte den Glückwünschen an Sie, liebe Studentinnen und Studenten, noch eine Bitte hinzufügen:

Mischen Sie sich ein in die Politik – hier oder in Ihrer Heimat. Und auch wenn es nur kleine Schritte und kleine Erfolge sind, die Sie vollbringen, alles ist besser, als nur abzuwarten und zuzuschauen. Bringen Sie sich aktiv ein in die Debatten und bauen Sie mit an einem vereinten Europa, das die Freiheit und Offenheit schätzt und diese in Verantwortung lebt.