Preisverleihung "Der Friedenstein" an Heinz Fischer
19. April 2018, Gotha
Änderungen vorbehalten.
Es gilt das gesprochene Wort.
Es ist mir eine Freude, bei der Verleihung des diesjährigen Preises "Der Friedenstein" zu Ihnen sprechen zu dürfen. Denn Sie, lieber Herr Oberbürgermeister, geben mir damit die Gelegenheit etwas zu tun, das mir wirklich am Herzen liegt: Die Gelegenheit nämlich, jemanden zu ehren, der mir nicht nur ein Amtskollege war und heute ein wichtiger Gesprächspartner ist, sondern der mir persönlich zum Freund wurde, ebenso wie er ein Freund unseres Landes ist: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer.
Heinz, es ist schön, Dich heute zu ehren – und es ist schön, das in Gotha zu tun. Denn der gebürtige Grazer und überzeugte Wiener Heinz Fischer ist durch sein Wirken der vergangenen Jahre mit dieser Stadt verbunden – und eine weitere Verbindung, die mir aufgefallen ist, will ich später noch nennen.
Mit großem Interesse habe ich in den Worten des Oberbürgermeisters davon gehört, wie sehr Du, lieber Heinz, Dich eingesetzt hast für die Rehabilitierung von Josef Ritter von Gadolla. Sein Mut, sich einem nationalsozialistischem Kampfbefehl zu widersetzen, ist eng verbunden mit der friedlichen Einnahme Gothas durch die amerikanischen Truppen vor 73 Jahren. Deshalb war es Dir ein Anliegen, diesen wahren Märtyrer nicht nur juristisch zu rehabilitieren, sondern ihm ein Angedenken zu errichten, das auch heutige Generationen stärkt und aufrichtet, im Zweifel als Mensch zu handeln.
Dieses Prinzip kann ganz unterschiedliche Persönlichkeiten verbinden – zwei davon werden in der Begründung zur Vergabe des Preises "Der Friedenstein" an Dich erwähnt: neben Josef Ritter von Gadolla auch Bertha von Suttner, die Du 2015 auch hier in Gotha gewürdigt hast.
Lieber Heinz, als Bundespräsident warst Du der Präsident aller Österreicherinnen und Österreicher. Du hast eine "Gabe für Konsens und Kooperation", so beschreibt es die Begründung des heutigen Preises und dafür wollen wir Dich heute ehren. Ja, Dein Handeln war glaubhaft überparteilich. Aber es ist kein Geheimnis, dass Du Dich, seit Du politisch denken kannst, zuhause fühlst in der Arbeiterbewegung. Als früherer, nunja, "Insasse" der DDR würde ich gerne hinzufügen: der demokratischen Arbeiterbewegung.
Daher wäre eigentlich auch ein anderer Versammlungsort für diese Ehrung an Dich, lieber Heinz, passend gewesen als ein Barockschloss aus dem 17. Jahrhundert. Denn die Geschichte der demokratischen Arbeiterbewegung in Deutschland, die Du gut kennst und der Du Dich nahe fühlst, ist verbunden mit der Stadt Gotha. Ich denke an das Gothaer Tivoli, ehedem ein Treffpunkt von Handwerkern und Arbeitern, wo sich 1875 die verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung – "Lassalleaner" und "Eisenacher" – zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands vereinigten, in deren Tradition die deutsche Sozialdemokratie bis heute steht.
Das damals beschlossene Gothaer Programm enthält beides: Auf der einen Seite recht nüchterne, pragmatisch klingende Forderungen, zum Beispiel "direkte Gesetzgebung durch das Volk", die "unentgeltliche Rechtspflege", Schutzgesetze für Gesundheit der Arbeiter oder eine "Volkswehr anstelle des stehenden Heeres". Auf der anderen Seite aber auch das, was man heute wohl visionäre Gedanken nennen würde: "Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, obgleich zunächst im nationalen Rahmen wirkend, ist sich des internationalen Charakters der Arbeiterbewegung bewusst und entschlossen, alle Pflichten, welche derselbe den Arbeitern auferlegt, zu erfüllen, um die Verbrüderung der Menschen zur Wahrheit zu machen."
Die Verbrüderung aller Menschen…. über 140 Jahre alt ist dieser Text, und noch heute kann man von diesem Gedanken träumen und zugleich voller Bitterkeit daran denken, was seitdem alles geschehen ist, das uns von der Verbrüderung aller Menschen immer wieder entfernt hat.
In Österreich, wo sich ab 1867 in 22 Städten Arbeiter-Bildungsvereine gründeten, wurde damals übrigens durchaus registriert, was die deutsche Arbeiterbewegung tat und entschied – und das Konzept Ferdinand Lassalles mit der Konzentration auf die Befreiung der Arbeiter durch das allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht wurde auch dort intensiv und natürlich kontrovers diskutiert . Man wird also sagen können, dass Gotha auch Debatten und Prozesse der österreichischen Arbeiterbewegung beeinflusst hat.
Lieber Heinz, ich erlaube mir, Deiner Identität als Sozialdemokrat noch etwas Raum zu geben, weil sie Dich doch prägt, übrigens auch in dem internationalistischen Ansatz, den die europäische Sozialdemokratie seit jeher in sich trägt und den die heutige Preisbegründung an Dich "weltumspannenden Friedensdialog" nennt.
Dein Vater Rudolf Fischer wurde 1925, als 18-Jähriger, Mitglied der österreichischen Sozialdemokratie. Als Du ein Jugendlicher warst, war er Staatssekretär in der österreichischen Bundesregierung. Deine Mutter hatte er – darf man das verraten? – übrigens in einem Esperanto-Kurs in Wien kennengelernt. Ich weiß nicht, wie viele Menschen in dieser Zeit in Wien fließend Esperanto sprachen…, aber Du und Deine Schwester, Ihr wurdet groß auch mit dieser Sprache und darüber hinaus wohl auch mit dem Geist, der in ihr zu lesen ist und der der Grund dafür war, dass sie unter den Nationalsozialisten verboten wurde: ein internationaler Geist, der auf Freundschaft und Verständigung setzt, oder, eben: auf die "Verbrüderung aller Menschen".
Dein Vater wurde in Deinem Geburtsjahr 1938 als Sozialdemokrat von seinem Arbeitgeber, der Gemeinde Graz, entlassen, auch die Wohnung nahm man Euch. Du wuchst also auf nicht irgendwo, sondern als Sohn antifaschistischer Eltern, die ihre politische Meinung nicht aufgaben und Esperanto wohl auch als Geheimsprache verwendeten, und Du wurdest erzogen im Geiste der internationalistischen sozialdemokratischen Bewegung. 1939 wurde Dein Vater zur deutschen Wehrmacht eingezogen, aber wenige Monate später wegen "Wehrunwürdigkeit" entlassen – mit Verweis auf seinen jüdischen Vater, Deinen Großvater.
Heute wissen wir, dass selbst Kleinkinder schon Bedrohungen spüren, denen ihre Familien unterliegen, Du hast es selbst einmal bestätigt, als Du schriebst: "Die Ablehnung Hitlers, des Krieges, das war aus allen Poren unserer Familie zu spüren. (…) Ich habe gewusst, die wollen das nicht." Am Kriegsende, als Karl Renner erster Kanzler der 2. Republik wurde, warst Du sechs Jahre alt. Ihr wart zu einer Bauernfamilie nach Niederösterreich geflohen. Dass Du als Heranwachsender in der 2. Republik selber auch den Weg in die Arbeiterbewegung finden würdest, das war sicherlich naheliegend. Vielleicht wäre es eine interessante Frage, wie Deine Eltern, die Dich sehr offen erzogen haben, (oder, wie Deine Schwester einmal sagte: "liebevoll, aber ohne Affenliebe") wohl reagiert hätten, wenn Du aus jugendlicher Rebellion heraus ein Konservativer geworden wärst…. Aber diese Sorgenfalten hast Du Deinen Eltern erspart.
Als Heranwachsender hast Du Dich intensiv mit politischen Konzeptionen befasst, nicht nur mit sozialdemokratischen. Auch mit der katholischen Soziallehre und revolutionären Bewegungen.
Lieber Heinz, es ist kein Geheimnis und wir haben oft darüber gesprochen: Ich bin in einem anderen Geist aufgewachsen, mit einer Skepsis gegen rote Fahnen, die aus konkreten Erfahrungen gut begründet war. Viele hier im Saal teilen diese Erfahrung. Trotzdem kann ich Verbindendes in unseren Geisteshaltungen, auch denen in jungen Jahren erkennen:
Dein Ja zum demokratischen Sozialismus österreichischer Prägung und mein Nein zum Staatssozialismus in der DDR entsprangen beide einem demokratischen Impuls.
Sie entsprangen einer Ablehnung des Totalitären, auch des Autoritären. Sie orientierten sich beide an Aufklärung und dem Wunsch zur Freiheit des Individuums. Das kann ich selbst über Deine Jugendzeit sagen, wo Du – anders als viele Westdeutsche – nicht den Verlockungen sowjetischer Ideologie gefolgt bist, sondern zum Beispiel 1956 für "Freiheit für Ungarn" demonstriert hast. Im gleichen Geiste hast Du 1961, dem Jahr des Mauerbaus, einen Artikel "Die Verbrechen des Stalinismus" veröffentlicht. Du formuliertest damals in einer Klarheit, die nicht jeder westdeutsche Intellektuelle an den Tag legte, als sieben Jahre später das Jahr 1968 anbrach.
Die SPÖ, der Du Dich als junger Mann anschlosst, hieß damals zwar noch "Sozialistische Partei Österreichs", sie stand aber in Tradition eines demokratischen Sozialismus, der Menschenwürde, Menschenrecht und Pluralismus in den Mittelpunkt stellte. Den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in Prag 1968 verurteilte Deine Partei mit einer klaren Erkenntnis: "Die Sozialisten sind unbeugsame und kompromisslose Gegner des Faschismus wie des Kommunismus".
Wer in diesem Geiste lebte und politisch handelte, war 1968 gedanklich ein Verbündeter derer, die sich in der CSSR, der DDR oder anderen Staaten des sowjetischen Imperiums nach Freiheit sehnten. Und deshalb waren wir, Heinz, – ohne uns zu kennen – schon damals Verbündete im Geiste der Freiheit.
Es gab da also Verbindendes in unserer Haltung, aber unsere Lebensrealität war eine ganz andere. 1970 war ich Pastor in Rostock. Du warst in Wien an der Gründung von Amnesty international Österreich beteiligt und Kandidat für die Nationalratswahl. Bruno Kreisky wurde 1970 Bundeskanzler, Du bei einer Neuwahl ein Jahr später Mitglied des Nationalrates. Für Dich begannen Jahrzehnte intensiver politischer Gestaltung. Mit Bruno Kreisky machtest Du Dich an die, so hieß es damals, "Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche". In meiner Rostocker Heimat hingegen begannen mit dem Wechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker bleierne Jahre.
Um Deine Existenz als ermächtigter Bürger in dieser Zeit hätte ich Dich damals gewiss beneidet. Und dies umso mehr, als Du in einer Zeit den Raum des Politischen betratst, in der Österreich, wie es Politologen beschrieben haben, zu einem "anerkannten und allseitig geschätzten Akteur in der internationalen Politik" wurde, dessen "Meinung zunehmendes internationales Gewicht bekommt und dem Vermittlungsdienste in Spannungszonen der internationalen Politik übertragen werden".
Als Klubobmann der Sozialdemokraten im neutralen Österreich überbrachtest Du Fidel Castro eine Note von Bruno Kreisky und Willy Brandt gegen den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan. An der Seite Bruno Kreiskys warst Du oft auf internationaler Bühne, denn der Bundeskanzler band die Klubobleute – in Deutschland würde man sagen, die Fraktionsvorsitzenden – in viele Konsultationen mit ein. Wenn Du heute auch "stellvertretend für die Veränderungen des 20. Jahrhunderts, die von seinem Land ausgingen" ausgezeichnet wirst, denke ich auch an diese Zeit, in der Du österreichische Außenpolitik als junger Parlamentarier mitgestaltet hast.
Dein Lebensweg führte Dich später für vier Jahre als Minister in ein Regierungsamt. Aber schon 1987 wurdest Du wieder Klubobmann und wagtest Dich damit mitten hinein in mitunter schwierige Debatten, durch die Österreich in dieser Zeit ging. Die Koalition der SPÖ mit der Volkspartei zusammenzuhalten, trotz oft unterschiedlicher Meinungen den Ausgleich möglich zu machen: auch damit hast Du Dich um Dein Land und seine politische Kultur verdient gemacht.
Und noch auf ein anderes Verdienst des Parlamentariers Heinz Fischer will ich hier hinweisen. Am 1. Mai 1989 bist Du, lieber Heinz, als Klubobmann nach Budapest gereist und hast eine Rede vor der ungarischen Sozialdemokratischen Partei gehalten, die damals "nicht legal, aber auch nicht illegal" war, bei einer Kundgebung, die "nicht genehmigt, aber auch nicht verboten" war, wie Du es in Deinen Erinnerungen schreibst.
Du hast Deinen Blick nach Osten gerichtet, wie es Österreich traditionell aufmerksam und auch heute noch tut. Deine erste Auslandsreise als Präsident ging 2004 nach Budapest. Aber Du hast, nicht nur den Kontakt zu den Herrschenden gesucht, sondern auch Nähe und Austausch zu den noch Beherrschten, zu der sich gerade entwickelnden Zivilgesellschaft.
Was für eine starke moralische Unterstützung derartige Besuche damals für viele Menschen im sowjetischen Einflussbereich bedeuteten, weiß ich aus eigener Erfahrung – gerade weil sich die meisten Politiker in den freien Staaten des Westens auf offizielle Beziehungen zu den Herrschenden beschränkten. In Deinem Besuch Anfang Mai 1989 in Budapest zeigte sie sich wieder: Deine unbestechliche antitotalitäre Haltung, Deine Solidarität mit den Demokraten auch in unfreien Staaten.
Lieber Heinz,
Du wirst hier heute ausgezeichnet auch für Verdienste um Europa. Und so habe ich Dich kennengelernt: Als jemanden, der mit guten Gründen, aber auch mit vollem Herzen Ja sagt zu Europa. Der Weg Österreichs in die Europäische Union war indes länger, als das heute den meisten vor Augen stehen mag. Jahrzehntelang wurde die Mitgliedschaft in der EG als Widerspruch gesehen zur "immerwährenden Neutralität", die ja in Österreich Verfassungsrang hat. Doch Du hast früher als so manche andere erkannt, dass ein Ja zur EU kein Nein zur Neutralität bedeuten musste. Das hast Du gemeinsam mit anderen so formuliert, damit auch viele Skeptiker überzeugt und so wesentlich den Beitritt 1995 vorbereitet. Als Du später an der Spitze Deines Heimatlandes standest, war der österreichische Bundespräsident aus dem Kreis der Staatsoberhäupter, die die europäische Einigung mitgestalten, schon längst nicht mehr wegzudenken. Und ich war immer sehr dankbar dafür, Dich in diesem Kreis gegenwärtig zu wissen.
Lieber Heinz, jedes Staatsoberhaupt füllt sein Amt auf seine ganz eigene Weise aus. Aber wenn ich mich während meiner Zeit als Bundespräsident das ein oder andere Mal bei anderen Staatsoberhäuptern zu orientieren versuchte, so gehörtest Du ganz gewiss dazu.
Ich spreche jetzt nicht von Deiner – Du musst es ertragen – herausragenden Popularität bei den Bürgerinnen und Bürgern. Der österreichische Bundespräsident wird ja direkt vom Volke gewählt, und Heinz Fischer erreichte nach mehr als 52 Prozent bei der ersten Wahl fast 80 Prozent bei seiner zweiten Wahl.
Sondern beim Thema "Vorbild" spreche ich vor allem davon, wie Du dieses, auch in Österreich mitunter etwas unklar definierte Amt ausgefüllt hast und von Deiner Haltung, Deiner Souveränität, die Du dabei gezeigt hast.
Das Amt des Bundespräsidenten und die Persönlichkeit des Amtsträgers, so hast Du es einmal beschrieben, müssten zu einer "harmonischen Einheit" werden. Es brauche Authentizität, Glaubwürdigkeit und Kontakt zu allen Gruppen der Bevölkerung. Und schließlich müsse der Bundespräsident jeden Tag daran arbeiten, dass alle Menschen zu ihm Vertrauen haben könnten.
Lieber Heinz, ich habe als Bürger und als Präsident erlebt und kann es bezeugen, dass Du all diese Kriterien als Präsident in glänzender Weise erfüllen konntest. Und deshalb konnte Dir all das gelingen, wofür Du heute geehrt wirst und wofür Dir in Österreich zurecht Rosen gestreut wurden, als Du die Hofburg 2016 verlassen hast.
Du magst die Menschen, und die Menschen mögen Dich, das war bei meinen Besuchen in Österreich immer wieder zu spüren. Das hat Dich in schwierigen Stunden als Präsident getragen, Dich befähigt und gestärkt dazu, Dein Amt auszuüben in der Weise, wie es gut war für Österreich und Europa.
Herr Bundespräsident, lieber Heinz, lieber Freund, hier in Thüringen, der Mitte Deutschlands, und jedenfalls gedanklich in der Mitte Europas, ehren wir Dich heute für alles, was Du in Deinem Leben – als Präsident, aber auch davor und danach, in harter Arbeit und mit großer Vorausschau für Europa getan hast und tust. Wenn Dir die Formulierung aus dem Gothaer Programm gefällt, dann auch für Deine Arbeit an der Vision der "Verbrüderung aller Menschen"…. aber ganz persönlich dafür, dass Du lieber Heinz, so bist, wie Du bist. Du hast Österreich und Europa wohlgetan, Du bist weiter um das europäische Einigungswerk bemüht – und dafür danken wir Dir!