Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

ehrenamtskongress Bayern

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Bundespräsident a.D. Joachim Gauck hält eine Rede - ARCHIVBILD

©Bundesregierung - Sandra Steins

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck hält eine Rede - ARCHIVBILD

Festrede beim Ehrenamtskongress Bayern

02. Juli 2021, Nürnberg

Änderungen vorbehalten.

Es gilt das gesprochene Wort.

Wie schön, dass ich heute hier bei Ihnen in Nürnberg sein und zumindest zu Einigen unmittelbar und zu Vielen digital sprechen kann. Schön, nicht nur, weil es mir immer eine große Freude ist in Bayern und insbesondere in Nürnberg zu sein; schön, nicht nur, weil das Land (und heute auch die Sonne am weiß-blauen Himmel) wieder strahlt nach langen Monaten des Schattens, den die Corona-Pandemie über den gesamten Globus gelegt hat. Sondern ganz besonders schön, weil ich hier auf Menschen treffe, die unser Land bei jedem Wetter und auch bei jeder Krise zum Leuchten bringen. Ich freue mich, Frauen und Männern zu begegnen, die das pflegen, was unser Land besser macht und zum Strahlen bringt: Ein Netzwerk des Guten, des Solidarischen und des Demokratischen.

Über Ihre Einladung, liebe Frau Professor Rosenkranz, die ja nun schon ein wenig zurückliegt, habe ich mich sehr gefreut und ich sage Ihnen auch, warum ich sie so gerne angenommen habe: Es gibt in diesem Land viele Gelegenheiten, all das zu beklagen und zu benennen, was nicht funktioniert - auch das muss sein, denn nur so lässt sich aus Fehlern lernen und ein notwendiger Wandel gestalten. Aber ich finde doch, dass dabei das Lob des Guten, die Wertschätzung für das Funktionierende oft zu kurz kommt. Und so freue ich mich, dass ich heute einmal mal loben und anerkennen kann, was unser Land schöner macht. Und ich hoffe, dass ich Sie in Ihrer Funktion als Multiplikatoren - ansprechen darf, damit Sie meine Worte des Dankes in Ihre Netzwerke weitertragen.

Anerkennung und Wertschätzung im Ehrenamt sind wichtig, Sie wissen es selbst, denn schließlich motiviert sie die Engagierten und hoffentlich auch einige Noch-Nicht-Engagierten gleichermaßen. Und sie schaffen verlässliche Bindungen innerhalb der jeweiligen Organisationen und der lokalen Netzwerke. Damit in der Öffentlichkeit über das, was funktioniert und gut läuft, berichtet werden kann, sind die mittlerweile überall im Land verliehenen Ehrenamtspreise überaus hilfreich. Oder auch das, was in meiner Amtszeit zu meinen nobelsten und schönsten Aufgaben zählte; nein, nicht die Begegnungen mit Königinnen und Präsidenten - das war auch schön, aber was ich meine ist die Verleihung von Orden an verdienstvolle Menschen. So hatte ich als Bundespräsident das Glück sehr, sehr vielen Menschen zu begegnen, die unsere Gesellschaft besser und schöner machen, indem sie sich einfach zuständig fühlen – ohne dass ihnen das einer gesagt hätte. Zuständig für Hilfe und Anteilnahme, für Toleranz, für Verständigung, für Versöhnung, zuständig manchmal auch dafür, neue Wege zu weisen oder Talente zu fördern oder künftigen Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen. Frauen und Männer, Jung und Alt, die mit ihrem ehrenamtlichen Engagement auf ganz unterschiedliche Weise Verantwortung übernommen haben. Manche engagieren sich in der Freiwilligen Feuerwehr oder für Schüler, die forschen wollen. Andere für das Handwerk oder das Unternehmertum, etwa durch Hilfen für junge Existenzgründerinnen.

Oder sie machen sich durch ihre kommunalpolitische Arbeit um das Gemeinwohl verdient, auch durch den Einsatz für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ebenso kann eine Begegnungsstätte zur Völkerverständigung zum Lebensprojekt werden. Und sehr häufig sind es die Bedürfnisse jüngerer, schutzbedürftiger, schwächerer oder behinderter Menschen, die den Wunsch geweckt haben, ehrenamtlich aktiv zu werden. Dank der Entschlossenheit zu helfen, sind Verbände, Vereine, sind Stiftungen gewachsen. Wie bei einem Stein, den man ins Wasser wirft, hat das ehrenamtliche Engagement überall im Land Kreise gezogen. Manches, was in jungen Jahren vor der Haustür begonnen hat, ist inzwischen überregional, national oder sogar grenzüberschreitend weiter vorangetrieben worden. So sind Netze verantwortungsvollen Miteinanders entstanden. Oder schauen wir auf unsere Kirchen und Kirchgemeinden: Ohne die ehrenamtliche Mitwirkung der Gemeindemitglieder wäre Vieles nicht möglich. Und viele Engagierte sind gleich in mehreren Bereichen aktiv: Sie verbinden zum Beispiel Umwelt- und Naturschutz oder Musik und Kunst mit Jugendarbeit, mit der Hilfe für Flüchtlinge und dem Werben für ein tolerantes Miteinander. Überhaupt bewundere ich, mit wie viel Phantasie und Tatkraft die verschiedensten Menschen signalisieren: Ihr gehört dazu! Wie es euch ergeht, was ihr euch erhofft, das ist uns, den Ehrenamtlichen, wichtig. Sie machen also das Schicksal anderer zu ihrem persönlichen Anliegen. Und diese Haltung ist es, die unser aller Achtung und Wertschätzung verdient.

Es ist schwer mit diesen Inhalten für Schlagzeilen zu sorgen, aber umso wichtiger ist es, immer wieder im Kleinen und Großen von dem zu berichten, was vorbildhaft ist. Im Kongressprogramm heißt es dann auch beim entsprechenden Workshop „Fundament Anerkennung – die Gestaltung von Wertschätzung im Engagement“ so schön: „Sie (die Anerkennung) lockt an, sie bindet, sie baut Beziehungen, sie hilft zurückzugeben und sie schafft Begegnung.“

Aus diesem Grund und vielleicht jetzt noch einmal zum Mitschreiben: Das Ehrenamt macht unser Land schöner. Es bringt unsere Gesellschaft zum Strahlen und dafür gebührt Allen, die das Netzwerk Ehrenamt pflegen und sich zum Wohle der Gemeinschaft engagieren, unser Dank und unsere Anerkennung!

Und allen, die Lob, Anerkennung und Worte des Dankes nicht ausreichend davon überzeugen, sich selbst ehrenamtlich zu engagieren, mögen vielleicht folgende, nicht ganz so altruistische Fakten zum Ehrenamt bringen: Ehrenamtliche leben länger, ehrenamtliches Engagement wirkt Einsamkeit entgegen und kann Glücksgefühle auslösen. Der Hirnforscher Manfred Spitzer ist sogar der Meinung, dass „rein rechnerisch (…) man allein durch Ehrenämter die Streichung einer ganzen Reihe von Langzeitmedikationen ausgleichen“ könnte. Auf dem Beipackzettel zur Pille „Ehrenamt“ sollte - so viel Realitätssinn muss sein - dann aber auch vermerkt werden, dass die Einnahme in bestimmten Fällen zu Frust, Überforderung, Vernachlässigung von Familie und Freundeskreis und anderen sozialen Spannungen führen kann. Im Workshop „Nähe und Distanz – im Spannungsfeld von Hilfe, Selbstfürsorge und Übergriffigkeit“ wurden gestern hoffentlich erfolgreiche Gegenmittel präsentiert.

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute möchte ich aber nicht nur das Konkrete loben und anerkennen, sondern auch auf etwas ganz Grundsätzliches eingehen, auf die Beziehung zwischen liberaler Demokratie und Ehrenamt. Manchen fällt dabei zunächst einmal ein, dass sich der Staat allzu oft darauf verlässt, dass dort wo er selbst aufgrund knapper Kassen sein Engagement einschränkt, sich zu selbstverständlich auf das freiwillige Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger verlässt. Diese Kritik ist sicherlich oftmals berechtigt und darüber muss in jedem Einzelfall debattiert werden.

Was für mich aber in dieser Beziehung zentral ist, ist die Notwendigkeit des zivilgesellschaftlichen Engagements für die Überlebensfähigkeit der liberalen Demokratie, deren Fragilität uns erst in den letzten Jahren wieder deutlich vor Augen geführt wurde. Insbesondere die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten hat Viele aufgeschreckt.

Aber auch die Entwicklungen in einigen europäischen Ländern sind besorgniserregend und belegen erneut den Befund, dass sich Demokratien auch zurück entwickeln können. Und trotz der beispiellosen Erfolgsgeschichte, die unser Land seit dem Ende des zweiten Weltkrieges erleben durfte, trotz Demokratiewunder, Wirtschaftswunder, Westbindung, Wiedervereinigung, europäische Integration, Sicherheit und Wohlstand – politische und wirtschaftliche Stabilität, sehen wir neuerdings Empörungs- und Wutwellen eines Teils der Bevölkerung und müssen eingestehen: Eine uneingeschränkte Akzeptanz der Demokratie kann auch bei uns nicht mehr automatisch vorausgesetzt werden und der demokratische Staat kann aus sich selbst heraus seinen eigenen Fortbestand nur bedingt sichern. Damit spreche ich das an, was Ernst-Wolfgang Böckenförde in einem anderen Zusammenhang bereits in den 1960er Jahren formuliert hat und seitdem vielfach als Böckenförde-Diktum diskutiert wurde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Und heute lässt sich besser nachvollziehen, was Ernst-Wolfgang Böckenförde meinte, wenn er weiter ausführte: „Das ist das große Wagnis, das er (der Staat), um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben (…)“

Das Wagnis, das der demokratische Staat, um der Freiheit willen, eingegangen ist - so muss man heute feststellen - war sogar noch größer, als es Böckenförde in den 1960er Jahren beschrieb, denn das was der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel schon zuvor für die modernen westlichen Gesellschaften beschrieb, sollte zunehmend auch für die deutsche Gesellschaft gelten: sie sind nicht homogen, sondern heterogen. Folglich spielt für die liberale Demokratie der Pluralismus eine ganz zentrale Rolle.

In liberalen Gesellschaften existieren verschiedene, teilweise auch miteinander konkurrierende Gruppen, angefangen von Gewerkschaften, Vereinen und Parteien bis zu – würden wir heute sagen - Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen, ethnischen, sexuellen, religiösen Interessengruppen. Pluralismus, wie er hier als Grundlage einer liberalen Demokratie gesehen wird, ist aber gezeichnet von Diskurs und oftmals auch von Streit. Dem Staat und seinen Institutionen fällt in diesem Rahmen die Aufgabe zu, einen organisierten Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen zu ermöglichen. Dies gelingt bei uns im Wesentlichen mittels der ausdifferenzierten Parteienlandschaft, die die Mehrheiten in unseren Parlamenten schafft – aber nicht ausschließlich.

Nachdem Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft geworden ist und auch multiethnische und multikulturelle Gruppen sichtbarer in unserem Alltag mitbestimmen, brauchen wir für die Gestaltung der Demokratie umso mehr auch das Gemeinsame, das, was die Verschiedenen miteinander verbindet. Nur so kann eine innere Regulierung erfolgen und damit aus der Verbindung von Partikularinteressen Gemeinschaft erwachsen. Eine Gemeinschaft, die sich auf einen allgemein akzeptierten Wertekodex berufen kann und diesen in politischen Kontroversen als Richtschnur nutzt. In der pluralisierten Welt von heute brauchen wir für den Zusammenhalt der Gesellschaft diesen Grundkonsens dringender denn je. Und der Zusammenhalt entsteht nicht nur dort, wo Menschen zusammen lernen, arbeiten und leben, sondern ganz besonders dort wo sie sich gemeinsam mit und für Andere engagieren, wo gemeinsame Ziele motivieren und man im Streben nach einem gemeinsamen Erfolg oder auch der ertragenen Niederlage zusammengeschweißt wird. Über soziale Kohäsion in einer heterogenen Gruppe entsteht dort das, was der demokratische Staat mit seinen eigenen Mitteln nicht oder nur schwer erreichen kann.

Die liberale Demokratie lebt also davon, dass aktive Bürgerinnen und Bürger, ob ehrenamtlich oder hauptberuflich, sich engagieren und dadurch auch neue Begegnungen von Menschen ermöglichen.

Laut Zahlen des jüngst veröffentlichten fünften Freiwilligensurveys mit Daten aus dem Jahr 2019 machen dies 28,8 Millionen Menschen. Dies sind 39,7 Prozent aller Deutschen über 14 Jahren. Dies ist gegenüber den vorherigen Erhebungen eine erfreulich stabile Anzahl von Engagierten. Die Statistik führt aber auch vor Augen, dass sich etwa die Hälfte der Bevölkerung (noch) nicht engagiert und wo es Unterschiede gibt: So engagiert man sich auf dem Land etwas mehr als in der Stadt, im Osten etwas weniger als im Westen, in der Lebensmitte stärker als im Rentenalter, ohne Migrationshintergrund häufiger als mit und auch ein höherer Bildungsabschluss macht es wahrscheinlicher, dass sich jemand freiwillig engagiert. Mich wundert es nicht: In Bayern ist sogar fast jede und jeder Zweite ehrenamtlich engagiert.

Die Zahlen erfassen wohl nicht alle, die sich in unserer Gesellschaft für andere engagieren. So dürfte es in der Nachbarschaftshilfe und insbesondere unter Zugewanderten ungezähltes Engagement geben. Und Viele werden nachvollziehbare Gründe haben sich nicht in organisierter Form zu engagieren, ist es doch schon ohne Ehrenamt zuweilen schwierig Familie und Beruf unter einen Hut und in den eng getakteten Tagesablauf zu bringen. Zahlen und Statistiken sind immer interpretationsbedürftig und nicht frei von Schwachstellen, sie liefern aber zumindest den ein oder anderen Hinweis, wo es sich lohnen könnte, bestimmte Gruppen noch gezielter anzusprechen und für das Ehrenamt zu gewinnen. Gerade bei den älteren Menschen erscheint mir das Potential noch nicht ausgeschöpft zu sein.

Es lässt sich aber auch nicht verschweigen, dass wiederum Andere sich nicht engagieren wollen, was in unserer freiheitlichen Gesellschaft auch ihr gutes Recht ist, sich dann aber zum Teil gut in der Rolle des allwissenden Kommentators gefallen. Erst ist dann oft zu hören: “Ich halte mich lieber zurück, es bringt ja eh' nichts, man kann ja doch nichts machen." Und wenn dann andere tatsächlich etwas gemacht, sich engagiert haben, heißt es bei denselben Leuten mit großer Regelmäßigkeit: „Hätten die mich mal gefragt, ich hätte gewusst, wie man es richtig macht.“

 Es ist eben viel bequemer, im vertrauten Umfeld, in den sozialen Medien, im Supermarkt oder am Stammtisch seinen Senf dazuzugeben und die anderen zu kritisieren, die natürlich auch mal Fehler machen, als sich selber an den Gemeinschaftsaufgaben zu beteiligen und selber Mitverantwortung zu übernehmen.

Aber unsere liberale Demokratie lebt auf allen Ebenen davon, dass es Engagierte gibt, die das Vorfindliche realistisch anschauen, sich damit aber nicht zufriedengeben. Die sagen: "Wir packen das an, wir suchen den begrenzten Fortschritt, die etwas bessere Lösung, das, was jetzt gerade möglich ist. Und wir lassen uns dabei von Rückschlägen, von Vorläufigen und Nichtperfekten nicht abschrecken."  Wenn wir Perfektion als Maßstab anlegen, werden wir die Arbeit nie beginnen müssen. Denn Perfektion ist nicht zu erreichen. Perfektion ist aber immer eine wunderbare Ausrede für alle, die etwa den Kompromiss per se "faul" finden und sich lieber zurücklehnen und gar nichts tun. Sie verfolgen, was geschieht, aus der Distanz und beschränken sich auf besserwisserische Kommentare. Sobald Probleme allerdings sie selbst betreffen, etwa wenn die Sporthalle wegen Sanierung vorübergehend geschlossen ist oder wenn ihre Kinder wegen Corona getestet werden sollen, protestieren sie laut oder stehen sogar auf der Straße. Für sie ist die Demokratie kein fragiles Konstrukt, das stetig - auch von ihnen selbst - gefestigt werden muss, sondern eine Institution, an die sie als vermeintliche Kunden Ansprüche stellen können. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeiten nutzen sich auf lokaler Ebene zu beteiligen, sich einbringen, vielleicht einmal an einer Ratssitzung teilnehmen. Vielleicht gelingt es mit der fortschreitenden Digitalisierung die Schwellen zur Beteiligung noch weiter zu senken - nach dem Motto „raus aus den Ratssaal oder Vereinsheim, rein ins Netz“.

Neben denen, die sich nur meckernd von der Seitenlinie melden, gibt es allerdings auch diejenigen, die unsere liberale Demokratie teils verdeckt, aber zunehmend auch offen angreifen oder sogar beseitigen wollen. Die Spannbreite des Extremismus ist groß, Hass und Hetze sickern in alle Bereiche der Gesellschaft ein und drohen zu zerstören, was der übergroßen Mehrheit so wichtig ist: Ein freiheitliches-liberales und friedliches Miteinander. Eine ernstzunehmende Gefahr für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und in der Folge auch für unsere Demokratie geht von denjenigen aus, die selbst vor Mordtaten und feigen Anschlägen nicht zurückschrecken, die versuchen das demokratische Fundament von innen mit dem Gift der Fremdenfeindlichkeit, Rassismus oder Antisemitismus zu zersetzen. Und eine Gefahr geht von denjenigen aus, die mit Lügen und Verschwörungsmythen versuchen, das so wichtige Vertrauen der Menschen untereinander und gegenüber dem demokratischen Staat zu untergraben. Diese Angriffe erfolgen von staatlich gesteuerten Trollen aus dem Ausland, aber auch von Feinden der offenen Gesellschaft aus dem Inneren. Dies klingt zunächst einmal nach einer Aufgabe für den Staat, seine Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden. Ja, das auch. Aber eine gesellschaftliche Resilienz lässt sich nur erreichen, wenn alle gesellschaftlichen Institutionen sich dem entgegenstellen. Dass dies eine Herausforderung für das Ehrenamt ist, haben Sie erkannt und gestern das Thema „Verschwörungsmythen – Wie kann man diesen (präventiv) begegnen?“ aufgerufen. Entgegen der anfänglichen Euphorie zeigt sich in letzter Zeit deutlicher, dass mit der zunehmenden Digitalisierung nicht nur eine schier grenzenlose Verbreitung von Wissen und Informationen, sondern auch von Falschmeldungen und Desinformation einhergeht. Es ist unabdingbar, dass sich die liberale Demokratie auch auf diesem Gebiet als wehrhaft erweist und sich möglichst vielen Institutionen den neuen digitalen Paralellwelten entgegenstellen wie etwa das Bayerische Sozialministerium, das die „Aktion gegen Verschwörungsmythen“ ins Leben gerufen hat. Denn es bleibt richtig, was wir schon lange wissen: In der Informationsflut brauchen wir als mündige Bürgerinnen und Bürger umso mehr das Instrument der Medienkompetenz.

Sehr geehrte Damen und Herren,

für die vergangenen Jahrzehnte können wir mit Sicherheit sagen, dass es sich gelohnt hat, der Freiheit willen, ein Wagnis einzugehen und ich bin mir sicher, dass Böckenförde auch mit der Feststellung „Freiheit ist ansteckend“ Recht hatte. So ist der Liberalismus weitgehend eingegangen in die politische DNA unseres Staates und seiner Bürgerinnen und Bürger. Toleranz, Respekt, die Fähigkeit zum Kompromiss und die Achtung der Rechte von Minderheiten bilden einen grundlegenden „programmatischen Bestand“ unserer Demokratie. Die liberale Idee wird verwirklicht in der sozialen Marktwirtschaft, in der der Markt sozial eingehegt wird und keineswegs alles entscheidet, und genauso in den internationalen Beziehungen, wo das Recht des Stärkeren nicht die Beziehungen zum Schwächeren dominieren soll. Sie durchwebt die Werte und Haltungen aller Parteien und Bewegungen, die sich die Verteidigung von Freiheit gegen staatliche Willkür oder auch gegen eine – wie John Stuart Mill sie nannte – „Tyrannei der Mehrheit“ verschrieben haben.

Unsere liberale Demokratie steht auf einem stabilen Fundament. Wir können uns mit Zuversicht den aktuellen Herausforderungen stellen und mit begründetem Optimismus in die Zukunft schauen, denn wir wissen: Nicht nur unsere stabile Rechtsordnung, nicht nur unsere stabile Institutionen begründen diese Zuversicht. Es gibt Bürgerinnen und Bürger, die stets bereit sind, für sich und für andere Verantwortung zu übernehmen, die willens sind, sich für ihr Gemeinwesen zu engagieren, die erkannt haben, Demokratie ist nicht, sondern Demokratie wird. Jeden Tag auf das Neue. Haben Sie vielen Dank, dass Sie alle auf unterschiedliche Art und Weise daran mitwirken!