Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Einleitende Worte Benefizkonzert in der Gedächtniskirche

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Ansprache beim Benefizkonzert für die Ukraine in der Berliner Gedächtniskirche

11. März 2022

Änderungen vorbehalten.

Es gilt das gesprochene Wort.


Ich begrüße Sie zu einer Veranstaltung, die sich an die Seite von Menschen stellt, die in der Ukraine von einem Kriegsbrandstifter heimgesucht sind.

Ich danke Daniel Hope für seine Initiative und seine Initiativen, der Firma Bechstein für Ihre Solidarität und Spendenbereitschaft den Künstlern für Ihre Bereitschaft, mit ihren Mitteln Herzen der Menschen zu bewegen und der Evang. Kirche für ihr Engagement und jetzt für die Bereitstellung dieses Gotteshauses.

Und ich danke Ihnen allen, hier und wo immer Sie zugeschaltet sind, für Ihre Empathie mit den Opfern von Niedertracht und Krieg. Bei dieser Gelegenheit will ich insbesondere denen danken, die den vielen Flüchtlingen helfen, sie aufnehmen oder mit Spenden unterstützen.

Denn die Menschen in Deutschland wollen etwas tun, sie zeigen hohe Opferbereitschaft, sind mehrheitlich sogar dafür, noch härtere Sanktionen gegen den Aggressor zu akzeptieren, als es die Politik gegenwärtig beschlossen hat.

Was können wir tun, wenn militärischer Beistand nicht erfolgen kann?

Als erstes: den Lügen des Aggressors nicht glauben!

Sodann: keine Äquidistanz zu den Konfliktparteien einnehmen, es gibt einen Täter, es gibt ein Opfer. Es zeugt nicht von Friedensliebe, wenn man Täter nicht Täter nennt, es ist auch kein Zeichen von Friedensliebe, offenkundig existierende Feindschaft nicht erkennen und benennen zu wollen. Feindschaft gegen die Freiheit, gegen die Humanität.

Drittens: die Überfallenen wollen sich schützen und verteidigen. Sie sind es, die entscheiden, ob sie kämpfen wollen oder ob sie aufgeben müssen.

Viertens: wenn die Angegriffenen uns um Verteidigungswaffen bitten, ist es keine Absage an unsere Friedenspolitik, wenn wir dieser Bitte folgen.

Liebe Zuhörer und Zuschauerinnen, falls es jemand von Ihnen irritiert haben sollte, dass ich an einem Ort des Friedens von real existierenderer Feindschaft spreche, so will ich eins eindeutig klarmachen: ich spreche nicht von Feindschaft zwischen Deutschen und Russen.

Ich empfinde nichts dergleichen, habe vielmehr ein tiefes Mitgefühl für die Millionen von Menschen in Russland, die noch nie in ihrer Geschichte eine wirkliche Demokratie mit einem funktionierenden Rechtsstaat, einer Gewaltenteilung und uneingeschränkte Menschen-und Bürgerrechte erlebt haben. Und zudem befinden sich die Menschen dort in staatlich organisierten Gefilden der Ahnungslosigkeit  - ohne freie Medien und mit beständigen Attacken gegen die Meinungsfreiheit erleiden die Massen wie in Zeiten der Diktaturen einen Verlust von Wirklichkeit. – Wie könnten wir ohne Mitgefühl sein für eine so um ihre Entwicklungsmöglichkeiten gebrachte Bevölkerung?

Aber wenn ein alt-neuer Hass der Mächtigen nicht nur die Demokratie im eigenen Land bedroht, sondern Demokraten im Nachbarland als Faschisten verleumdet und gar einen brutalen Angriffskrieg startet, ja, dann haben wir es tatsächlich mit Feindschaft zu tun.

Wir sehen es nun überdeutlich: wo derartige Feindschaft ist, müssen die Friedfertigen einander beistehen. Sie, also wir werden neu lernen müssen: was uns lieb und teuer ist, unsere Freiheit, unsere Lebensweise, unser Land, unser geeintes Europa, wir müsse es verteidigen. Auf allen verschiedenen Ebenen, politisch, ökonomisch, kulturell oder militärisch.

Am heutigen Abend tun es die Künstler auf Ihre Weise.

Unser Tun wird so etwas wie ein Abwehrkampf sein. Es ist zu erwarten, dass er uns auch etwas kosten wird, dass er Unbequemlichkeiten, ja vielleicht eine Einschränkung von Lebensqualität mit sich bringen wird.

Aber das ist das Mindeste, was wir zu leisten haben, wollen wir solidarisch mit denen sein, die so viel größere Opfer bringen, wenn sie für ihre (und letztlich auch unsere) Freiheit kämpfen und sterben. Viele Menschen in unserem Land wissen es und andere ahnen es:

Wir können bedeutend mehr ertragen und leisten, als unsere Ängste es uns einreden.