Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

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Bundespräsident a.D. Joachim Gauck beglückwünscht Zuzana Čaputová, Präsidentin der Slowakischen Republik, zum Kaiser-Otto-Preis der Stadt Magdeburg

©Stefan Deutsch

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck beglückwünscht Zuzana Čaputová zum Kaiser-Otto-Preis im Dom zu Magdeburg

Laudatio auf Zuzana Čaputová, Präsidentin der Slowakischen Republik

30. August 2023, Magdeburg

Änderungen vorbehalten.
Es gilt das gesprochene Wort.

Es ist mir eine große Freude heute bei Ihnen im Dom zu Magdeburg zu sein!

Wenn wir in diesen Tagen die Zeitungen aufschlagen und die Zeitläufte betrachten, dann stellen sich schnell Gefühle von Ernüchterung, ja Erschütterung ein: Der brutale russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zerstört seit 18 Monaten das Leben von friedliebenden Menschen und bedroht zugleich die europäische Friedensordnung insgesamt. Russische Kriegsverbrechen gehören zur Tagesordnung, auch Umweltzerstörung und die Bedrohung der globalen Ernährungssicherheit gelten Putin als legitime Mittel der Kriegsführung. Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der neoimperiale Aggressor hat sich die Spaltung der westlichen Wertegemeinschaft zum Ziel gesetzt.

Auch von innen geraten die liberalen Demokratien Europas unter Druck - durch immer radikaler auftretende populistische Verführer und autoritäre Kräfte, die den Pluralismus und die Rechtsstaatlichkeit zum Teil sogar offen infrage stellen. In Teilen der Gesellschaft finden sich latente oder offene Sympathien für einen vermeintlich starken Mann an der Spitze – verbunden mit einer Geringschätzung von Toleranz und politischen Kompromissen und oft auch Verachtung für die angeblich dekadente westliche Kultur.

Umso heller strahlen in diesen Zeiten der Verunsicherung Menschen, die Hoffnung spenden, die Zuversicht ausstrahlen, und die uns durch ihr politisches Wirken daran erinnern, dass wir selbst Gestalter unseres Schicksals sind. Menschen, wie unsere Preisträgerin Präsidentin Zuzana Čaputová.

Ich bin dem Preiskomitee und der Kulturstiftung Kaiser Otto außerordentlich dankbar für die Entscheidung, die slowakische Präsidentin für ihre europäische Haltung und ihren Einsatz für Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Freiheit auszuzeichnen – und dass in diesem besonderen Jubiläumsjahr, zum 1050. Todestag Ottos des Großen.

Denn es könnte kaum eine geeignetere Preisträgerin geben. Wir ehren heute eine große Europäerin, eine beispielgebende Demokratin und eine furchtlose und mutige Anwältin der Interessen der Allgemeinheit. Ihr Wirken an der Staatsspitze der Slowakei für die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechten, den Schutz von Minderheiten sowie für eine solidarische Migrationspolitik ist ein ermutigendes Signal für ein wertebasiertes Europa.

Verehrte Frau Čaputová, Sie erinnern mit Ihrem Wirken an die Möglichkeiten, die die Demokratie jeder Bürgerin und jedem Bürger bietet, um sich für gemeinsame Ziele und die gute Sache zu verbinden und zu verbünden. Sie erinnern uns durch ihr Vorbild daran, dass die liberalen Demokratien Europas auf Werten beruhen, die wir als Bürgerinnen und Bürger gemeinsam sichern und verteidigen müssen.

Gerade in den mittel- und osteuropäischen Ländern erleben wir, dass bedroht ist, was wir mit der Samtenen oder Friedlichen Revolution errungen haben. Denn, so brachte es Zuzana Čaputová auf den Punkt: „Ohne Freiheit und Demokratie gibt es keinen Frieden – wir müssen sie weiterhin schützen.“

Sehr geehrte Damen und Herren,

unsere Preisträgerin erinnert uns an den Kern dessen, was Demokratie bedeutet: dass die Macht vom Volke ausgeht, dass die demokratische Staatsform das Werk von Menschen ist, die das Glück, aber auch die Verantwortung haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Wenn wir in die beeindruckende Biografie unserer Preisträgerin schauen, dann sehen wir zunächst eine Bürgeranwältin, eine Umweltaktivistin, eine Frau, die unbeirrt für die Rechte der Allgemeinheit streitet. Nach ihrem Jurastudium in Bratislava arbeitete Zuzana Čaputová viele Jahre als Rechtsanwältin einer gemeinnützigen Bürgerinitiative, die sich für Rechtsstaatlichkeit und mehr Transparenz bei öffentlichen Auftragsvergaben stark macht.

Einen besonders langen Atem bewies Frau Čaputová, als sie in ihrer Heimatstadt Pezinok – unweit von Bratislava – 14 Jahre lang gegen eine Giftmülldeponie kämpfte, die wegen massiver Umweltprobleme in der Kritik stand. Ausgestattet mit ihrem juristischen Fachwissen engagierte sie Künstler, lokale Unternehmen, Weinproduzenten, Studenten, Kirchenführer und andere Mitglieder der Gemeinde in einer Graswurzelkampagne zur Schließung der Deponie. Čaputová und andere Aktivisten taten sich zusammen und organisierten friedliche Proteste, Konzerte und Fotoausstellungen und sammelten Unterschriften für eine Petition an das Europäische Parlament. Sie mobilisierte nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern gewann schließlich 2013 in einem Rechtsstreit vor dem Obersten Gerichtshof der Slowakei die Schließung der alten Deponie und die Aufhebung der Genehmigung für den Bau der neuen Deponie. Das Urteil bestätigte eine frühere Entscheidung des EU-Gerichtshofs und unterstrich das Recht der Öffentlichkeit auf Beteiligung an umweltpolitischen Entscheidungen in der gesamten Europäischen Union. Der Sieg in Pezinok – die größte Mobilisierung slowakischer Bürgerinnen und Bürger in dem Ort seit der Samtenen Revolution von 1989 – war nicht nur ein wichtiger Präzedenzfall für das Recht auf eine saubere und sichere Umwelt, sondern eine Initialzündung für bürgerschaftliches Engagement in der Slowakei.

Als sie 2016 für Ihr wegweisendes umweltpolitisches Engagement ausgezeichnet wurden, sagten Sie, Frau Čaputová: „In der Slowakei lernen wir nach dem Fall des Kommunismus immer noch Lektionen über Demokratie, aber in keinem Land funktioniert die Demokratie auf Autopilot.“

Kaiser-Otto-Preisverleihung im Dom zu Magdeburg: Dr. Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Simone Borris, Oberbürgermeisterin der Stadt Magdeburg, Zuzana Čaputová, Präsidentin der Slowakischen Republik, Bundespräsident a.D. Joachim Gauck und Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (von li.)

©Stefan Deutsch

Kaiser-Otto-Preisverleihung im Dom zu Magdeburg: Dr. Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Simone Borris, Oberbürgermeisterin der Stadt Magdeburg, Zuzana Čaputová, Präsidentin der Slowakischen Republik, Bundespräsident a.D. Joachim Gauck und Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Überzeugung, dass die Demokratie von den Bürgerinnen und Bürgern getragen wird und auch von innen heraus erneuert werden kann, prägt auch den weiteren Weg unserer Preisträgerin.

Sie sagte der Korruption den Kampf an und versprach, Straftäter ohne Ausnahme zu verfolgen, vor allem die vorher so beliebten Amnestien für politische und gleichzeitig kriminelle Weggefährten nicht zuzulassen. Im Februar 2018 erschütterte der Auftragsmord an dem Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten die Slowakei und die gesamte europäische Öffentlichkeit. Die Morde lösten große Demonstrationen und bei vielen slowakischen Bürgerinnen und Bürgern den drängenden Wunsch nach Veränderung aus. Frau Čaputová gehörte zu denen, die sich für diese Veränderung stark machten, die dem Wunsch nach Gerechtigkeit Ausdruck verliehen. Kuciak hatte über Verbindungen zwischen Politik und der Mafia recherchiert und über Korruption in höchsten Kreisen berichtet. Nach wochenlangen Protesten musste der Premierminister zurücktreten. Für Zuzana Čaputová war dies eine wichtige Motivation dafür, sich selbst auf nationaler Ebene politisch zu engagieren. Gemeinsam mit weiteren Aktivisten gründete sie die Partei „Progressive Slowakei“. Mit dem Slogan „Dem Bösen die Stirn bieten“ trat sie für die Direktwahl zur Staatspräsidentin an, beklagte Korruption und Vetternwirtschaft in der slowakischen Führungselite. Mit ihrer Wahlkampagne setzte sie Zeichen der Hoffnung auf Fortschritt gegen die Angst und Spaltung, verzichtete auf persönliche Angriffe und konzentrierte sich stattdessen auf Sachthemen: auf institutionelle Reformen und politische Einmischung in die Justiz. „Die Art und Weise, wie Politik gemacht wird, und der Ton, mit dem die Menschen an Debatten herangehen, müssen sich ändern“, sagte sie.

Während des Wahlkampfs wurde sie von rechten Medien und anderen Kandidaten wegen ihres vermeintlichen „Ultraliberalismus“ angegriffen. In den Wahlkampfdebatten zeigte sie Haltung und bekräftigte ihre Unterstützung für Themen, die in weiten Teilen der slowakischen Bevölkerung als sensibel gelten, wie etwa die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren. Trotz der Angriffe ihrer politischen Gegner blieb sie mutig und standhaft, zeigte Menschlichkeit und demonstrierte Sachlichkeit, ohne sich auf die Ebene der persönlichen Beleidigung zu begeben. Damit ist sie in der slowakischen Politik, in der ein rauer Umgangston herrscht, eine Ausnahmeerscheinung.

Meine Damen und Herren,

die Wahl von Frau Čaputová zur Staatspräsidentin in der Slowakei kann als historisches Votum gegen die Macht von Korruption und Oligarchie an der Spitze der Slowakei bezeichnet werden. Ihre erfolgreiche Direktwahl als Quereinsteigerin ist ein Sieg gegen den Populismus und für eine Politik, die mit Respekt, Anstand und Demut bei den Wählern ankommt. Nach Ihrem Wahlsieg 2019 sagte Präsidentin Čaputová: „Wenn man mit sachlichen Argumenten ein gemeinsames Ziel angeht und die Menschen dafür begeistern kann, ist Vieles möglich.“

Verehrte Frau Čaputová,

als Staatspräsidentin zeigen Sie auch in der Außenpolitik Führung und bekennen sich unzweideutig zu EU, Nato und zur liberalen Demokratie, obwohl immer mehr Menschen in Ihrem Land sich durch Putins Propaganda beeinflussen lassen. Immer wieder haben Sie die hybride Art der russischen Kriegsführung als eine große Bedrohung für unsere offenen Gesellschaften benannt. In besonderer Art und Weise fordern russische Propaganda und Maßnahmen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und der Politik Ihr Land heraus. Nicht zuletzt werden Sie persönlich von der prorussischen Opposition in Ihrem Land angefeindet. Es ist das erklärte Ziel des Kremls, die Europäische Union zu spalten und die Entschlossenheit bei der Unterstützung für die Ukraine unterminieren.

Und dennoch: Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine offenbart die Slowakei unter Präsidentin Čaputová eine bemerkenswerte Solidarität mit ihrem Nachbarland. Diese Solidarität manifestiert sich nicht nur in militärischer Unterstützung gegen die Aggression aus Moskau, sondern auch in Form von humanitärer Hilfe.

Seit dem Beginn des Krieges hat die Slowakei mit einer Einwohnerzahl von nur etwa fünfeinhalb Millionen Menschen hunderttausenden Flüchtlingen Schutz geboten. Diese gelebte Humanität verdankt sich auch der klaren Haltung von Präsidentin Čaputová. Ihre liberale Gesinnung und ihre humanitäre Grundhaltung zeugen von Führungsstärke und Überzeugungskraft – vor allem in einem Land, dessen Bürger in Umfragen als besonders skeptisch gegenüber Flüchtlingen in der EU gelten.

Verehrte Frau Präsidentin,

mit klarem Blick haben Sie daran erinnert, an welch historischer Wegmarke die liberalen Demokratien stehen und dass die Errungenschaften der Samtenen Revolution auf dem Spiel stehen: „Die Demokratie kann an der Naivität der Demokraten zugrunde gehen. Wenn wir sie nicht mit demokratischen Mitteln schützen, sind wir vielleicht die letzte Generation, die sie erlebt.“

Mit den bevorstehenden Parlamentswahlen wird sich die Slowakei erneut entscheiden müssen, ob sie die offene Gesellschaft gegen autokratische und radikale Kräfte, prorussische Erzählungen und Xenophobie verteidigen kann.

Durch ihr Beispiel haben Sie gezeigt: Es steht und fällt alles mit uns! Auch und gerade heute. Es liegt an uns, ob und wie weit wir uns der Spirale von Polarisierung und Radikalisierung widersetzen. Es liegt an uns, ob und wie weit wir ein von Rechtsstaatlichkeit und Toleranz geprägtes Zusammenleben in einer Gesellschaft der Verschiedenen verteidigen. Um die Demokratie als eine Ordnung der Freiheit und Gleichheit zu erhalten, muss sie von einem verantwortungsstarken Geist ihrer Bürger getragen sein.

Und so sendet der Kaiser-Otto-Preis, den wir Ihnen nun verleihen, auch ein wichtiges Signal in unsere Gesellschaft: Polarisierung, Populismus und Spaltung stellen einen frontalen Angriff auf Vernunft, Toleranz und respektvollen Umgang in unseren Gesellschaften dar. Wir bemerken den Wert des gesellschaftlichen Friedens immer deutlicher und wir bemerken, dass er nicht selbstverständlich ist. Dies gilt in diesen Zeiten umso mehr, wenn wir auf unseren europäischen Nachbarn, die Ukraine schauen, wo die Menschen weiter unter dem brutalen russischen Angriffskrieg leiden, wo Völkerrecht und Menschenrechte dem Recht des vermeintlich Stärkeren weichen sollen. In diesen bedrückenden und unübersichtlichen Zeiten brauchen wir Menschen wie Präsidentin Čaputová umso mehr. Vor der Entschlossenheit und dem Mut von Zuzana Čaputová verneigen wir uns heute als europäische Demokratinnen und Demokraten. Denn sie ist eine Persönlichkeit, die in der Lage ist, uns Orientierung zu geben in unübersichtlichen Zeiten, die Werte nicht nur in Reden kundtut, sondern sie lebendig werden lässt.

Frau Präsidentin Čaputová, Sie haben gezeigt, wie viel Kraft dem Menschen innewohnt, dass sich die Demokratie mit Engagement und der Übernahme von Verantwortung auf menschliche Art gestalten lässt, dass sich die Dinge tatsächlich zum Guten wenden lassen. Sie sind ein Beispiel dafür, dass die liberale Demokratie auch in den unsicheren und schwierigen Zeiten, in denen sie von Innen und Außen herausgefordert wird, lebendig und anpassungsfähig ist.

Ich bin überzeugt: Wenn sich die Welt um uns herum verändert, muss die Demokratie darauf reagieren. Wenn unsere demokratischen und liberalen Länder von außen bedroht werden, müssen sie sich entschiedener wehrhaft machen. Wirklicher Frieden ist nur in Freiheit zu sichern. Wenn unsere Länder von innen angegriffen werden, müssen sie resistent werden gegen illiberale, fundamentalistische und populistische Kräfte aller Art. Die gegenwärtigen Erschütterungen und Veränderungen können unsere Demokratie am Ende nur dann wirklich bedrohen, wenn wir, die Bürgerinnen und Bürger, allein mit Angst oder Ignoranz reagieren. Menschen wie Suzana Čaputova wissen dies.

So blicken wir mit Dankbarkeit und Respekt auf Ihren mutigen und entschlossenen Einsatz für Freiheit, Demokratie und den europäischen Zusammenhalt.

Herzlichen Glückwunsch, Frau Präsidentin, zur Verleihung des Kaiser-Otto-Preises 2023.