Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Verleihung Kunstpreis Euward

Menü Suche
Bundespräsident a.D. Joachim Gauck beim Ausstellungsrundgang mit (v. li.): Joachim Gengenbach (Vorsitzender der Augustinum Stiftung), Desmond Tjonakoy (3. Preis), Belén Sánchez (2. Preis), Dr. Monika Jagfeld (Mitglied der euward-Jury), Dr. Andrea Lissoni (Künstlerischer Geschäftsführer Haus der Kunst), Klaus Mecherlein (euward-Kurator), Samaneh Atef (1. Preis) und Prof. Dr. Colin D. Rhodes (Mitglied der euward-Jury)

©Augustinum / Christian Topp

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck beim Ausstellungsrundgang mit (v. li.): Joachim Gengenbach (Vorsitzender der Augustinum Stiftung), Desmond Tjonakoy (3. Preis), Belén Sánchez (2. Preis), Dr. Monika Jagfeld (Mitglied der euward-Jury), Dr. Andrea Lissoni (Künstlerischer Geschäftsführer Haus der Kunst), Klaus Mecherlein (euward-Kurator), Samaneh Atef (1. Preis) und Prof. Dr. Colin D. Rhodes (Mitglied der euward-Jury)

Ausstellungseröffnung anlässlich der Preisverleihung des Euward9

16. Mai 2024, München

Ich freue mich sehr, dass ich bei Ihnen sein kann, denn wir erleben am heutigen Tag, was es bedeutet, wenn wir von gelebter Inklusion sprechen. Wir erleben Menschen, die in ihrer Verschiedenheit durch kreatives Schaffen und durch die Kunst verbunden sind.

Was ich vor wenigen Augenblicken bei dem Ausstellungsrundgang gesehen habe, hat mich sehr beeindruckt. Hier im Haus der Kunst, sorgfältig ausgesucht und kuratiert von einer international besetzen Jury, sehen wir Kunstwerke von Künstlerinnen und Künstlern, die der allgemeinen Öffentlichkeit nicht ohne Weiteres zugänglich sind. Und der Preis, der am heutigen Tag verliehen wird, soll dazu beitragen, diese Lücke zu schließen und bewusst wahrzunehmen, was der Wahrnehmung wert ist.

Wir sehen, so habe ich es mir gerade erklären lassen, einen Einblick in zeitgenössische europäische Kunst im Kontext von geistiger Behinderung. Und wenn ich Sie, liebe Künstlerinnen und Künstler, hier so erlebe, dann wünschte ich mir, dass alle Ausstellungsbesucher diese Freude, diesen Begeisterungsfunken, auch beim Betrachten der Bilder spüren: Hier ist etwas ganz Besonderes geschaffen worden, und es ist etwas Besonderes gelungen!

Der Europäische Kunstpreis Euward wird heute an Samaneh Atef, Belén Sánchez und Desmond Tjonakoy verliehen.

Sie, Frau Atef, beschäftigen sich mit Leid und Unterdrückung von Frauen. Sie konnten selbst 2020 den Iran veranlassen.

Sie Frau Sánchez nutzen Ihren Körper für Performances, die ihre eigene Geschichte als Handlung inszenieren.

Und Sie, Herr Tjonakoy, setzen sich in Ihren Zeichnungen mit der Geschichte und Kultur der Black Community auseinander.

Sie alle drei werden in diesem Jahr ausgezeichnet. Dazu an dieser Stelle schon einmal meinen herzlichen Glückwunsch. Ich verzichte nun auf eine eingehende Würdigung, denn wir werden zu Ihnen und Ihren Werken gleich noch vertiefend hören.

Neben Ihnen sind weitere 16 nominierte Künstlerinnen und Künstler aus 25 Ländern in der Ausstellung zu sehen. Insgesamt haben sich 240 Künstler aus ganz Europa auf den diesjährigen Euward, den European Award, beworben. Was für ein großer Erfolg! Ein Erfolg, der auf sehr spezielle Weise zeigt, dass Kunst keine Grenzen kennt – keine geistigen und keine nationalen Grenzen.

Zum neunten Mal seit dem Jahr 2000 wird nun dieser europäische Kunstpreis auf Initiative von Herrn Mecherlein und der Augustinum Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kunst hier in München verliehen. Es ist die wichtigste Auszeichnung für Kunst im Kontext von geistiger Behinderung und damit ein Zeichen eines ganz besonderen Engagements.

Und dieses besondere Engagement fällt immer mehr auf. So wurde der letzte Euward, der zum achten Mal verliehene europäische Kunstpreis für Malerei und Grafik im Kontext geistiger Behinderung, mit dem Deutschen Kulturförderpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft 2022/2023 ausgezeichnet. Das freut mich sehr, denn der Euward-Preis verdient öffentliche Aufmerksamkeit – und damit auch die Augustinum-Stiftung.

Nun ist eine Stiftung selbst vielleicht keine Persönlichkeit, kein Individuum – aber sie wird doch in ganz hohem Maße von Individuen, von Persönlichkeiten geprägt – und sie fördert nun ihrerseits auch wieder Individuen und individuelle Wege, oder erschließt der Öffentlichkeit neue Sichtweisen und erweitert damit Empathie und Solidarität. Dies geschieht hier in einem außergewöhnlichen Maß, mit außergewöhnlicher Leidenschaft, mit außergewöhnlicher Kennerschaft – und, verdientermaßen, mit außergewöhnlichem Erfolg.

Die diakonische Einrichtung Augustinum wirkt seit nunmehr 70 Jahren für Menschen in besonderen Lebenssituationen. 1954 gegründet arbeiten Sie heute mit rund 5.000 Beschäftigten an etwa 40 Standorten in ganz Deutschland.

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck anlässlich der Euward9-Preisverleihung im Haus der Kunst

©Augustinum / Christian Topp

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck anlässlich der Euward9-Preisverleihung im Haus der Kunst

Das Augustinum steht mit seinem christlichen Menschenbild und den Werten der Diakonie für Gemeinschaft, für Austausch und Zugewandtheit. Bekannt sind vor allem ihre Senioreneinrichtungen. Nicht so bekannt ist ihr Einsatz für die Kunst.

Sie, die Sie mitwirken und es den Künstlerinnen und Künstlern ermöglichen, hier auszustellen, Sie alle haben Teil an dieser besonderen Form von Glück. Es entsteht, wenn wir uns aufeinander beziehen, wenn wir Verantwortung übernehmen, wenn wir die Gaben, die in uns stecken, nicht nur für uns nutzen, sondern auch für die Menschen, die mit diesen Gaben viel anfangen können. Wenn wir uns zutrauen, über und hinauswachsen, verändern sich Lebensumstände – und es entsteht unerwartetes Glück. Dieses Glück, man kann es auch Ihnen ansehen.

Verehrte Damen und Herren,

ist es nicht erstaunlich, dass wir erst seit sehr kurzer Zeit, wenn wir auf den Euward schauen seit nicht mal 25 Jahren, in der Kunst anerkennen, was Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen künstlerisch leisten? Dass wir bis vor 25 Jahren künstlerische Arbeiten eines Teils der Bevölkerung ignoriert haben?

Wenn wir uns die Vielfalt der ausgestellten Werke hier vor Augen führen, dann blicken wir auch dankbar auf diejenigen, die öffentliche Zugänge für Kunst im Sinne der Inklusion verbreitern. Ich erinnere mich an das Diktum von Joseph Beuys: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Er meinte damit die schöpferische Kraft, die Kreativität, die allen von uns innewohnt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Recht auf Teilhabe, auf Inklusion gibt es in Deutschland noch nicht so lange – erst seit 2009.  Aber die Idee des gleichen Rechts für alle ist viel älter. Sie ist Bestandteil verschiedener internationaler Konventionen seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948. Echte Inklusion gedeiht, wenn Mut, Offenheit und Veränderungsbereitschaft Hand in Hand gehen. Echte Inklusion braucht Räume für Begegnungen und Austausch. Und es ist schön, dass wir einen dieser Räume heute hier gemeinsam erleben können. 

Inklusion folgt einem zutiefst humanen Prinzip: allen Menschen, ungeachtet ihrer angeborenen oder erworbenen Unterschiede, soll die bestmögliche Teilhabe, die bestmöglichen Entwicklungschancen zugänglich sein.

Wenn ich das so ausspreche, dann ist mir bewusst: Trotz der positiven Veränderungen vergangener Jahre hat Deutschland noch eine gute Wegstrecke zurückzulegen, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Barrierefreiheit etwa muss für alle Menschen in unserem Land gelten, um die gleichen Grundlagen für ein selbstbestimmtes Leben zu schaffen. 

In der politischen Praxis mag dies einer Kraftanstrengung gleichkommen – aber es ist eben auch ein Gewinn, der sich nicht allein materiell bemisst, sondern an dem universellen Kriterium der Menschenwürde. Jeder Mensch hat das Anrecht auf seine eigene Entfaltung als Mensch. Es gibt einen allen gemeinsamen moralischen Kompass, der alle gleichermaßen fühlen lässt, wenn ein Mensch erniedrigt, gedemütigt, beleidigt wird. Denn die Würde ist dem Menschen angeboren. Er ist damit befähigt und beauftragt, alle Mitmenschen als seinesgleichen zu respektieren und Schaden von ihnen fernzuhalten.

Hier an diesem Ort wird nun dieses besondere Potential gewürdigt, das entstehen kann, wenn Menschen mit einem speziellen Blick auf die Welt künstlerisch tätig sind.

Während meiner Amtszeit als Bundespräsident habe ich häufiger erleben dürfen, welche Kraft, Stärke, Leistungsfähigkeit und Kreativität in Menschen steckt, denen die Möglichkeit gegeben wird, sich zu entfalten, sich auszudrücken. Ob als Schauspieler etwa beim RambaZamba Theater in Berlin oder als Sportlerinnen und Sportler bei den Special Olympics.

Und nun also Sie hier in der Bildenden Kunst. Ich freue mich sehr, heute hier als Schirmherr an dieser Ausstellungseröffnung mitwirken zu können. Denn die Malerei schafft ähnlich wie die Musik Räume, die uns besondere Möglichkeiten des Austausches erlauben.

Mit der Malerei erreichen Sie, liebe Künstlerinnen und Künstler, unser Herz und so kommen wir zu einem Austausch auf einer Ebene, die sich der Sprache entzieht, die jeder Mensch versteht. Ich danke Ihnen dafür.