Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Appell der Heimatschutzdivision

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Bundespräsident a.D. Joachim Gauck beim feierlichen Aufstellungsappell der Heimatschutzdivision

©Marco Dorow

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck beim feierlichen Aufstellungsappell der Heimatschutzdivision

Festrede zum Appell der Heimatschutzdivision

14. März 2025, Berlin

Bundespräsident a. D. Joachim Gauck nahm als Festredner am feierlichen Aufstellungsappell der Heimatschutzdivision in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin teil. Mit der Aufstellung dieses neuen Großverbandes werden die Heimatschutzkräfte der Bundeswehr unter einem gemeinsamen Kommando gebündelt. Sie leisten einen entscheidenden Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit Deutschlands, insbesondere beim Schutz Kritischer Infrastruktur im Inland.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Wenn wir uns heute hier in der Julius-Leber-Kaserne zum Appell der Heimatschutzdivision versammeln, dann ist dies zugleich ein Moment des Nachdenkens darüber, was wir eigentlich schützen wollen, wenn wir von Heimatschutz sprechen.

Der Ort dieses Appells gibt uns Hinweise. Julius Leber war vieles: Sozialdemokrat, Offizier, Publizist, Widerstandskämpfer. Aber vor allem war er ein Mann, der seine Heimat liebte – so sehr, dass er bereit war, alles zu geben, um sie gegen ihre Feinde zu verteidigen. Und die Feinde dieser Heimat, das waren für ihn nicht nur Angreifer von außen. Es waren jene, die von innen heraus Freiheit, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit zerstörten.

Leber wusste: Heimat ist der Raum, in dem Freiheit gelebt wird. Und als diese Freiheit von den Nationalsozialisten bedroht wurde, hat er sich ihnen entgegengestellt – aus Überzeugung, aus Mut, aus Verantwortung. Für diesen Mut hat er mit seinem Leben bezahlt.

Wenn wir also heute von Heimatschutz sprechen, dann tun wir das an einem Ort, der uns mahnt: Der Schutz der Heimat ist immer auch der Schutz unserer demokratischen Ordnung – gegen ihre Feinde. Der Schutz der Heimat ist der Schutz der Menschenrechte, des friedlichen Zusammenlebens, der Freiheit jedes Einzelnen.

Und genau das ist es, was den heutigen Tag so bedeutsam macht.

Die Aufstellung der Heimatschutzdivision ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass sich unser Land seiner Verantwortung stellt. Ein Zeichen dafür, dass wir verstanden haben: Sicherheit und Freiheit entstehen nicht von selbst. Und es gibt keinen Automatismus, dass sie fortbestehen. Wir brauchen die Bereitschaft, unsere Art zu leben zu schützen und, wenn nötig, zu verteidigen.

Zu dieser Erkenntnis war es ein langer Weg. Um es vorsichtig auszudrücken: Die Grundannahmen der deutschen Außen- und Si­cherheitspolitik erwiesen sich als fehlerbehaftet. Selbst noch nach der Annexion der Krim 2014 hat die deutsche Politik an dem Bemühen um partnerschaftliche Bezie­hungen mit einem immer aggressiver auftretenden Russland festgehalten.

Heute sehen wir, dass wir damit einer verführerische Illusion gefolgt sind, mit der sich insbesondere bei der Bundeswehr Sparmaßnahmen rechtfertigen ließen: weniger Personal, weniger Material, weniger Bereitschaft. Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, Reserven aufgelöst, Fähigkeiten abgebaut.

Die Vorstellung, Bedrohungen ließen sich durch wohlmeinende Intentionen, durch Handelsverflechtungen und diplomatische Bemühungen allein abwehren, war eine gefährliche Fehleinschätzung.

Erst der russische Überfall auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 hat unser Land aus dem Wunschdenken gerissen. Und – aktuell – die ersten Wochen der zweiten Präsidentschaft Trumps haben uns einer tiefen Gewissheit beraubt: Die transatlantische Partnerschaft ist nicht unverbrüchlich. Es zeichnen sich epochale Veränderungen ab – mit dramatischen Folgen für die deutsche und die europäische Politik.

Die Welt um uns herum verändert sich im rasanten Tempo. Doch wohlfeile Empörung oder das Zurückfallen in gewonhte Denkmuster werden uns nicht weiterhelfen. Das neo-imperiale Russland, neue Drohungen gegen unsere Verbündeten aus den USA, der mögliche Rückzug Amerikas aus der Verantwortung für Europa – all das zwingt uns, uns neu aufzustellen.

Wenn sich die Lage ändert, dann müssen wir es auch tun. Der Verteidigungsminister hat es auf eine griffige Formel gebracht: „Die Lage bestimmt den Auftrag.“ Dies erfordert einen grundlegenden und dauerhaften Mentalitätswandel in Politik und vor allem auch in der Breite der Gesellschaft.

Wir brauchen mehr Realismus – auch für die Natur der Bedrohungen, die immer komplexer werden. Wir müssen ernsthaft wahrnehmen, wie skrupellos und destruktiv die Gegner der Freiheit sind, wie verletzlich moderne Gesellschaften, wie verwundbar unsere liberalen Demokratien sind: Die Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit verschwimmen. Sabotage, Cyberangriffe, Desinformation, Angriffe auf unsere kritischen Netze und Verkehrswege – all das ist längst Teil der Realität, all das trifft uns dort, wo wir uns einst sicher fühlten.

Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass wir heute eine neue Ernsthaftigkeit in der sicherheitspolitischen Debatte erleben. Deutschland beginnt, sich neu zu ordnen. Es signalisiert endlich, dass es bereit ist, Verantwortung mit der notwendigen Entschlossenheit zu tragen. Dies war lange überfällig, ist aber erforderlich für einen europäischen Aufbruch, den wir brauchen. Ein Europa, das nicht abhängig wartet, sondern selbstbewusst handelt. Ein Europa, das erkennt, dass unsere Sicherheit keine Dienstleistung ist, die andere für uns erbringen, sondern eine Aufgabe, die wir selbst wahrnehmen müssen. Und dieser Aufbruch beginnt auch hier – mit Ihnen, mit Ihrer Bereitschaft, Ihr Land und seine Werte zu schützen.

Es geht um unsere Zukunftsfähigkeit als wehrhaftes Land, das sich schützen und verteidigen kann. Es geht um die Sicherheit unseres Gemeinwesens. Um den Schutz dessen, was unser Zusammenleben möglich macht – Bahnhöfe, Häfen, Pipelines, Kommunikationswege.

Es geht um die Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern, als Staatsbürger in Uniform Verantwortung zu übernehmen. Um Soldatinnen und Soldaten, aktive wie inaktive, die sagen: Diese Heimat ist es wert, dass wir für sie einstehen.

Jetzt ist die Zeit für eine Haltung der Entschlossenheit, der Wehrhaftigkeit und der Verantwortung. Und diese Haltung muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen.

Liebe Soldatinnen und Soldaten, durch Ihren Dienst leisten Sie genau zu dieser Haltung einen wichtigen Beitrag. Sie dienen Deutschland, und Sie dienen als Vorbilder für andere. Ich bitte Sie: erzählen Sie in Ihren Familien-, Freundes- und Bekanntenkreisen, warum Ihr Dienst wichtig ist. Helfen Sie mit, dass wir eine Debatte über unsere Sicherheit führen, die den neuen Realitäten entspricht – eine Debatte, die unser Land insgesamt stärkt.

Denn wenn wir unsere Heimat schützen wollen, dann müssen wir zuerst verstehen, dass unsere Freiheit und Sicherheit immer auch von uns selbst abhängen.

Viele von Ihnen, die künftig in den Heimatschutzkräften dienen, tun dies als Reservistinnen und Reservisten. Sie führen ein Leben als Fachkräfte in Unternehmen, Lehrer, Polizistinnen, Handwerker oder Ärzte. Und zugleich sind Sie bereit, Uniform zu tragen, Verantwortung zu übernehmen und Ihr Wissen und Können für unser Land einzubringen.

Gerade diese Verwurzelung in der Gesellschaft ist eine unserer größten Stärken. Denn sie schafft Vertrauen. Vertrauen, dass der Heimatschutz nicht abgehoben und fern der Bevölkerung stattfindet, sondern aus der Mitte der Gesellschaft heraus getragen wird.

Aber Sie leisten noch mehr: Sie stehen ein für die existenziellen Grundlagen unserer Bundesrepublik. Die Erkenntnis, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist. Dass Demokratie Verteidigung braucht. Dass Heimat Schutz braucht – nicht nur durch den Staat, sondern durch uns alle. Und deshalb sage ich auch in aller Deutlichkeit: Heimatschutz ist nicht nur Aufgabe der Bundeswehr. Es ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Mentalitätswandel jetzt!

Denn Sicherheit entsteht nicht allein durch die Stärke der Bundeswehr – sie entsteht durch das Zusammenspiel aller Kräfte unseres Landes. Sie umfasst den Schutz unserer Infrastruktur, unserer Kommunikationswege, unserer Energieversorgung, ja sogar unserer digitalen Räume.

Das bedeutet: Heimatschutz beginnt nicht erst mit dem Soldaten in Uniform. Er beginnt mit dem Polizisten, der kritische Einrichtungen schützt. Mit dem Techniker, der unser Stromnetz sichert. Mit der Ärztin, die in einer Krise handlungsfähig bleibt. Mit dem Unternehmer, der seine Produktion resilient aufstellt.

Diese vernetzte Verteidigung braucht einen neuen Geist der Verantwortung – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Denn eines ist klar: Wenn wir als Demokratie wehrhaft bleiben wollen, dürfen wir nicht nur auf den Ernstfall irgendwie reagieren – wir müssen vorbereitet sein.

Und genau dafür stehen Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten der Heimatschutzdivision. Sie sind das Bindeglied zwischen militärischem Schutz und ziviler Widerstandsfähigkeit. Sie verkörpern die Idee der Gesamtverteidigung – als Staatsbürger in Uniform, die unser Land schützen.

Heimatschutz bedeutet letztlich: Wir alle tragen Verantwortung. Und wir alle sind Teil der Verteidigung unseres Landes.

In diesem Sinne brauchen wir Arbeitgeber, die ihren Beschäftigten den Dienst in der Reserve ermöglichen. Wir brauchen Familien, die diesen Dienst mittragen. Wir brauchen Bürgerinnen und Bürger, die verstehen, dass Verteidigung nicht nur an den Außengrenzen beginnt, sondern hier, in unserem Alltag.

Und wir brauchen eine politische Kultur, die Verantwortung nicht scheut. Die für die Ausrüstung und Befähigung unserer Streitkräfte sorgt. Die den Dienst an der Gemeinschaft ehrt und unterstützt.

Die Verteidigung unseres Landes ist keine Selbstverständlichkeit. Sie verlangt Vorbereitung. Sie verlangt Bereitschaft. Sie verlangt – und das hat Julius Leber uns vorgemacht – Haltung.

Liebe Soldatinnen und Soldaten, ich danke Ihnen für Ihren Dienst, für Ihren Mut und für Ihre Entschlossenheit.

Die Aufstellung der Heimatschutzdivision ist ein starkes Zeichen: Unser Land ist bereit, sich zu schützen – mit Kraft, mit Verstand und mit einer klaren Haltung für Freiheit und Demokratie.

Für diese Aufgabe wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Möge Ihnen die Kraft nie ausgehen, die Ausdauer nie fehlen, und mögen Sie immer Menschen an Ihrer Seite wissen, die Ihre Arbeit stützen und schätzen.

Für unsere Heimat. Für unsere Freiheit. Für unsere Demokratie.