Ansprache bei der Offiziersschule des Heeres
08. September 2022, Dresden
Änderungen vorbehalten.
Es gilt das gesprochene Wort.
Es ist mir eine große Freude heute an diesem besonderen Tag bei Ihnen zu sein. Es gibt mir noch einmal die Gelegenheit meine Wertschätzung und meine Verbundenheit mit Ihnen und der gesamten Bundeswehr zum Ausdruck zu bringen. Dies mag für Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Situation und aus dem Munde eines ehemaligen Bundespräsidenten selbstverständlicher klingen als es für mich ist.
Soldaten und Militär hatten für mich und auch in dieser traditionsreichen Kaserne lange Zeit eine ganz andere Bedeutung. Seit über 140 Jahren werden hier in der Albertstadt Offiziere ausgebildet. Sie dienten die längste Zeit allerdings nicht den Bürgern, sondern Königen und Kaisern, Revisionisten und Diktatoren. Wenn ich selbst an die Zeit bis zu meinem 50. Lebensjahr zurückdenke, verbinde ich mit diesem Ort und allem Militärischen keine guten Gefühle. Ich erinnere mich an all diese Aufmärsche in der DDR, an die Militarisierung der Schulen, an die Erziehung zum Hass im Offizierscorps, und unter den Soldaten, an die militärische „Absicherung“ einer unmenschlichen Grenze – und zwar nicht gegen einen Aggressor, sondern gegen das eigene Volk. Eine Armee, die „Volksarmee“ hieß, aber es nicht war. Ich habe das Militärische also kennengelernt als eine – nicht nur physische – Begrenzung von Freiheit.
Vor 33 Jahren haben aber mutige Frauen und Männer auf den Straßen hier in Dresden und vielen anderen Städten der ehemaligen DDR die Angst vor ihren Unterdrückern und deren Panzern überwunden. So wurde auch für diesen Teil Deutschlands in einer friedlichen Revolution die Freiheit errungen, die Sie geschworen haben, tapfer zu verteidigen. Diese Armee, die Bundeswehr, ist keine Begrenzung der Freiheit, sondern eine Stütze der Freiheit.
Wenn wir also auf die wechselvolle Geschichte dieses Ortes blicken, dann können wir sagen: Welch ein Glück, dass es gelungen ist, nach all den Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland und nach den Gräueln des Krieges, nach all dem überbordenden Militarismus in diesem Land eine Armee zu schaffen ,die tatsächlich eine Armee des Volkes ist, diesmal im besten Sinne, kein Staat im Staate in preußischer Tradition, keine Parteienarmee, sondern eine „Parlamentsarmee“, an demokratische Werte gebunden, an Grundgesetz und Soldatengesetz; rekrutiert aus eigenverantwortlichen Bürgern und Bürgerinnen.
Liebe Soldatinnen und Soldaten,
Sie schützen und verteidigen das, was uns am wichtigsten ist, auch über die Grenzen unseres Landes hinaus: Freiheit und Sicherheit, Menschenwürde und das Recht jedes Einzelnen auf Unversehrtheit. Sie handeln dabei im Auftrag einer freiheitlichen Demokratie. Sie sind als „Staatsbürger in Uniform“ Teil dieser Gesellschaft. Sie stehen mit Ihrem Dienst für diese Gesellschaft ein.
Nach der Deutschen Einheit 1990 wurde aus der Bundeswehr eine „Armee der Einheit“ - aus Soldaten, die einst vielleicht aufeinander hätten schießen müssen, wurden Kameraden. Die „Armee der Einheit“ war aber auch eine „Armee des Schrumpfens“. Schließlich waren wir nach dem Zerfall von Sowjetunion und Warschauer Pakt, dem gefühlten „Ende der Geschichte“, nur noch „von Freunden umzingelt“. Statt der Landes- und Bündnisverteidigung stand nun der friedensschaffende und -sichernde Einsatz im Ausland mehr und mehr im Fokus – etwa in Somalia und auf dem Balkan. Es reifte die Erkenntnis, dass man sich als wirtschaftlich starkes, exportorientiertes Land nicht dauerhaft wird heraushalten können aus den Krisen und Kriegen dieser Welt und dass man Verantwortung trägt für eine Ordnung, die Sicherheit und Frieden auch zu unserem Wohle garantiert. Nach und nach wurde auch klar, dass die nationale Gewissheit von „Nie wieder Krieg“ nicht mit einer bedingungslos pazifistischen Haltung realisierbar ist. Und schließlich verlangten auch unsere Partner und Verbündeten, dass sich Deutschland von seiner Sonderrolle emanzipiert und sich stärker innerhalb des Bündnisses engagiert. Nach den schrecklichen Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 sollte es an unserer Solidarität mit unserem transatlantischen Verbündeten keinen Zweifel geben. Und so lässt sich auch nachvollziehen, dass „unsere Sicherheit (...) nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt“ wurde, um eine Formulierung des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck aufzugreifen.
Zur Überraschung großer Teile der deutschen Öffentlichkeit wurde unsere Freiheit in Afghanistan dann nicht nur durch das Bohren von Brunnen und den Aufbau von Schulen, sondern in heftigen Gefechten verteidigt. Immer häufiger standen Ihre Kameradinnen und Kameraden teils über Stunden im Feuerkampf mit gegnerischen Kräften – etwa am Karfreitag 2010. Die im Gefecht gefallenen und verwundeten Soldaten kehrten dann in eine Gesellschaft zurück, die dies zur Kenntnis nahm, die konfrontiert wurde mit teilweise traumatisierten Rückkehrern, aber eine Zäsur blieb es für die Bundeswehr allein. Dass es in unserer Mitte wieder Kriegsversehrte gibt hat unsere Gesellschaft damals mehrheitlich verdrängt. Dabei sind es Menschen wie Sie – aus der Mitte der Gesellschaft -, die für ihren Einsatz für Deutschland ihre seelische oder körperliche Gesundheit oder gar ihr Leben riskieren.
Während die Bundeswehr am Hindukusch das Kämpfen wieder lernen musste, wurde in der Heimat der Wandel zur Einsatzarmee unter anderem durch eine weitere Verkleinerung der Truppenstärke und die Aussetzung der Wehrpflicht vollzogen. Es war eine Zeit in der das Aufgabenspektrum der Bundeswehr ausgeweitet, die Haushaltsmittel aber im Zuge der Finanzkrise gesenkt wurden. Die Befähigung der Bundeswehr zur Landesverteidigung wurde zu einem theoretischen Konstrukt. Die Vollausstattung der Truppe galt als zu kostspielig, Reserven wurden aufgelöst, Depots leergeräumt.
Ein erstes Erschrecken gab es dann 2014 nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Angriff auf die Ostukraine durch Russland. Der Glaube, die Wahrung von Stabilität und Frieden in Europa habe endgültig Vorrang gewonnen gegenüber dem Machtstreben entpuppte sich endgültig als irrig. Jeder und jedem, der es sehen wollte, stand klar vor Augen: am Rande von Europa gibt es eine kriegerische Auseinandersetzung um neue Grenzen und um eine neue Ordnung. Stabilität und Frieden in Europa sind nun seit acht Jahren durch Russland in Gefahr. Verschärfend mussten wir nach der Wahl von Donald Trump erkennen, dass der jahrzehntealte amerikanische Schutzschirm immer tiefere Risse bekam. Beide Entwicklungen hätten unsere verteidigungspolitischen Gewissheiten nachdrücklich erschüttern müssen.
So hätte Deutschland bereits vor Jahren seine Politik, seine Wirtschaft und seine Verteidigungsbereitschaft entschiedener und substantieller den neuen Umständen anpassen können. Einiges wurde auch angepackt: bei der Bundeswehr vollzog man eine Trendwende zu mehr Personal, Material und Haushaltsmitteln. Innerhalb der NATO einigte man sich auf eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Konzepte und Strategien wurden angepasst, die Präsenz von Truppen im Osten des Bündnisses durchaus robust verstärkt.
Und doch folgt am 24. Februar der große Schock. Russland greift nach der ganzen Ukraine und beginnt einen Krieg, den die allermeisten in Europa nicht mehr für möglich gehalten haben. Auch in der Bundeswehr ist das Erschrecken groß und Ihr Inspekteur, Generalleutnant Mais, gesteht: „die Bundeswehr, das Heer, (...), steht mehr oder weniger blank da.“
Es ist uns seit 2014 augenscheinlich weder gelungen, die Verteidigungsbereitschaft wesentlich zu erhöhen noch haben wir uns aus den wirtschaftlichen und allen voran der energiepolitischen Abhängigkeit von Russland gelöst. Im Gegenteil: Diese wurde noch drastisch erhöht. Die Regierung hat nun viele Anstrengungen unternommen, um diese sicherheits- und außenpolitische Fehleinschätzung zu korrigieren. Mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr können wichtige Beschaffungen und notwendige Investitionen realisiert werden. Im Rekordtempo machen wir uns von russischen Energielieferungen unabhängig. Und am Wichtigsten: Wir zeigen uns solidarisch mit den mutigen Menschen in der Ukraine, die Ihr Land tapfer, entschlossen und mit viel militärischen Geschick verteidigen. Dass auch aus dem Parlament heraus die Diskussion über den Umfang der finanziellen, humanitären, aber insbesondere der militärischen Unterstützung fortgesetzt wird, begrüße ich sehr.
Eine nachhaltige Kurskorrektur wird uns allen aber mehr abverlangen, als das kurzfristige Abstellen der größten Mängel. Und dabei stehen an erster Stelle die Fragen: Warum sind wir erst so spät aufgewacht? Warum haben so Viele Wunsch mit Wirklichkeit verwechselt und die nackten Tatsachen - etwa die fehlende Rechtsstaatlichkeit Russlands, die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung, die politischen Morde und die neoimperialen Aggressionen des Kreml ignoriert oder verniedlicht?
Neben wirtschaftlichen Partikularinteressen spielte sicherlich auch eine Rolle, dass wir in unserem Land nach wie vor ein Defizit an strategischem Wissen und strategischer Entschlossenheit haben. Wir haben über viele Jahre Bedrohungsszenarien nicht angemessen mitgedacht und vorbereitet. Wir waren insgesamt zu sorglos. Und weite Teile der Gesellschaft waren froh, dass ihnen existentielle Debatten über unsere Sicherheit und darüber, wie wir uns im Ernstfall verteidigen können, erspart blieben.
Auch gibt es so etwas wie eine natürliche Abscheu gegen Gewalt. Gewalt, auch militärische Gewalt, wird ja immer ein Übel bleiben. Aber sie kann – solange wir in der Welt leben, in der wir leben – eben nicht in einer geheilten, sondern in einer tief gespaltenen Welt, sie kann in einer solchen Welt notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits bösartige, rechtbrechende Gewalt zu überwinden oder zu unterbinden. Allerdings müssen wir dann, wenn wir zu dem letzten Mittel der militärischen Gewalt greifen, diese gut begründen. Wir müssen abwägen: darüber, ob wir mit ihr die gewünschten Ziele erreichen oder ob wir schlimmstenfalls neue Gewalt erschaffen. Wir müssen aber auch darüber diskutieren, ob wir die Mittel haben, die für die Verteidigung unseres Landes und unserer Bündnispartner notwendig sind. Und was stellen wir dem Machtstreben von Russland und China und anderen Autokratien und Diktaturen entgegen? Wir sollten uns nicht davor scheuen, über die personelle Verstärkung der Bundeswehr, vielleicht auch über die Wehrpflicht oder andere Formen und Konzepte der Zivilverteidigung zu diskutieren. Und diese Debatte darf nicht nur in den Führungsstäben und im Parlament geführt werden. Diese Debatte gehört in die Mitte der Gesellschaft.
Liebe Soldatinnen und Soldaten,
was wir jetzt brauchen in den gesellschaftlichen Debatten sind auch die Erfahrungen aus Einsätzen, das militärische Fachwissen aus der Praxis und sicherheitspolitische Einschätzungen von Staatsbürgern in Uniform. Bringen Sie sich in Ihrem Umfeld und auch in der Öffentlichkeit ein mit Ihren Einschätzungen.
Eine Kultur des offenen sicherheitspolitischen und militärischen Diskurses schadet weder Bundeswehr noch Gesellschaft. Im Gegenteil: Die Debatte wird bereichert, wenn wir etwa den Einsatzbericht eines Kommandooffiziers über die Evakuierungsmission in Kabul in einem Wochenmagazin nachlesen können. Es ist gut, wenn wir die Debatte über vermeintliche Leistungsschwäche und Stress im Dienst nachvollziehen können.
Beitragen zu den notwendigen öffentlichen Debatten können Sie auch mit der Haltung, die Sie verkörpern: Freiheit, so ist es für Sie im Soldatenberuf selbstverständlich geworden, ist ohne Verantwortung nicht zu haben. Ist diese Haltung aber auch in unserer Gesellschaft selbstverständlich? Freiheit und Wohlergehen sehen viele als Bringschuld der Politik und des Staates. Manche verwechseln dabei Freiheit mit Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit oder auch Hedonismus. Und vergessen dabei allzu gern, dass eine funktionierende Demokratie auch Einsatz fordert, Aufmerksamkeit, Mut, und eben manchmal auch das Äußerste, was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben, um die Gemeinschaft zu schützen.
Diese Bereitschaft zur Hingabe ist selten in einer freiheitsverwöhnten Gesellschaft, in der zwar jeder für sich selbst Verantwortung zu übernehmen hat – aber zu viele meinen, damit schon genug Verantwortung zu tragen. Hier, in der Bundeswehr, treffe ich überall auf Menschen mit der Bereitschaft, sich für etwas einzusetzen oder um den Wahlspruch der Offizierschule des Heeres aufzugreifen: Sie dienen in Freiheit.
Damit sind Sie eine Verbindung mit diesem Land eingegangen, die weit über das normale Verhältnis zwischen Bürgern und Staat hinausgeht. Ein Verhältnis das aber nicht nur aus besonderen Pflichten, wie sie im Soldatengesetz stehen, und einer Fürsorgepflicht des Dienstherren besteht, sondern auch aus einem besonderen Vertrauensverhältnis.
Staat und Gesellschaft dürfen darauf vertrauen,
-
dass Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, im extremsten Fall mit Ihrem Leben
einstehen für dieses Land,
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dass Sie fest auf dem Boden unserer Verfassung stehen,
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und dass Sie die Rechte und die Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger achten und
angemessen vertreten.
Umgekehrt dürfen Sie darauf vertrauen,
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dass das Parlament verantwortungsvoll über den Einsatz seiner Armee debattiert und entscheidet,
-
dass die Bundeswehr den Erfordernissen entsprechend finanziert und ausgestattet wird
-
und militärische Expertise bei Entscheidungen angemessen berücksichtigt wir
Sie haben es gelernt: Führung und insbesondere Führung mit Auftrag funktioniert nur mit Vertrauen. Nach all meinen Begegnungen mit Soldatinnen und Soldaten in den letzten Jahren und heute kann ich aus vollem Herzen sagen: Für diese Bundeswehr bin ich dankbar! Und ich traue Ihnen zu, dass Sie unser Land und unsere Bündnispartner tapfer verteidigen. Für diese wichtige Aufgabe wünsche ich Ihnen viel Glück, Mut, Selbst- und Gottvertrauen. Und allen Soldatinnen und Soldaten, die heute befördert werden, wünsche ich alles Gute im neuen Dienstgrad!