Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

taize jugendtreffen

Menü Suche
Bundespräsident a.D. Joachim Gauck steht am Rednerpult inmitten der Teilnehmer des Mittagsgebets

©Privat

Joachim Gauck spricht zu den jugendlichen Teilnehmern des Mittagsgebets

Mittagsgebet des Europäischen Jugendtreffens von Taizé

30. Dezember 2022, Rostock

Ich komme von weit her.

Damit meine ich nicht die Entfernung von Berlin nach Rostock, das ist nicht so weit. Aber ich komme ja auch aus einer anderen Zeit und für Sie, für junge Menschen ist die Zeit, die mich beeinflusst und geprägt hat, eine ganz ferne Zeit, eine andere Ära. Die Stadt, in der Sie sich treffen ist meine Heimatstadt, hier wurde ich 1940 geboren; es war Krieg. 1945 waren große Teile der Stadt zerstört, die Menschen waren desorientiert. Nicht nur die Gebäude waren zerstört, unzählige Menschen waren körperlich und seelisch am Ende. Es ging dann nur langsam aufwärts in diesem Teil Deutschlands.

Auf das Dunkel der Nazizeit folgte ein neues Dunkel: statt der Freiheit bekamen die Menschen hier eine neue Diktatur. Ich habe auch in meiner Familie erlebt, was viele Menschen im Land erleben mussten: Unschuldige wurden behandelt wie Schuldige: verfolgt, eingekerkert, deportiert. Das Recht war in der Hand der Macht, Bürgerrechte galten wenig oder gar nicht. Ich bin dennoch hier geblieben, und das hatte einen Grund. In meiner Schulzeit war mir die christliche Botschaft wichtig geworden, als ich nach geistigen Alternativen zum repressiven Kommunismus suchte.

Als Erwachsener wurde ich Pastor in dieser Stadt, zeitweilig auch Stadtjugendpastor – immer belauert von bösartigen Mitarbeitern unserer Geheimpolizei (Stasi).

Damals hatte ich zum ersten Mal Kontakt mit Jugendlichen, die mit Brüdern aus Taizé zusammengekommen waren. In den kirchlichen Jugendgruppen wuchs in den 80er Jahren der Wille, der Diktatur etwas entgegenzusetzen; die Menschenrechts- und Friedensthematik spielte eine Rolle, wie auch Umweltthemen. Und bei so manchen entdeckte ich eine spirituelle Sehnsucht.
Ohne mein Zutun tauchten plötzlich Hymnen, Meditationen und Gebete aus Taizé auf, nicht nur Themen spielten dann eine Rolle sondern ein tieferes spirituelles MITEINANDER wurde gesucht. Viele Menschen brauchten ja eine innere Stärke um in Zeiten der Diktatur einen eigenen Weg, auch einen eigenen Glaubensweg zu wagen.

Im Jahr 1989 waren unsere kirchlichen Gruppen in den meisten Orten die Kerne einer Protestszene, die sich im Herbst dann zu einer breiten Demokratiebewegung entwickelte. Am Ende ist daraus eine friedliche Revolution geworden; das Land wurde demokratisch, bald folgte die Wiedervereinigung Deutschlands und geheimnisvollerweise wurde der Mann, der jetzt vor Euch steht, ein Bundespräsident.

In dem Bibeltext, den wir gelesen haben kommt das Wort „Licht“ vor.
Es gibt einen Grund, warum ich mich zu Beginn persönlich vorgestellt habe: Ich bin einer, der dem Dunkel entronnen ist.

Deshalb lese ich den Text so, als wäre „Licht“ die zentrale Botschaft in ihm.
Der Briefschreiber bezieht sich auf eine göttliche Offenbarung, die Jesus als den Sohn Gottes beschreibt. Wir kommen von Weihnachten her, dem Fest, das Christen in aller Welt feiern um sich an die Geburt des Gottessohnes in Bethlehem zu erinnern. Der Autor des Briefes will erreichen, dass die Empfänger seiner Botschaft begreifen, dass die Menschwerdung Gottes etwas mit ihrem eigenen Leben zu tun haben solle: ihr Leben wird sich ändern müssen, zum Guten hin, wird sich unterscheiden müssen vom Leben derer, für die es normal ist in Unrecht und Sünde ihr Leben zu verbringen. Wo Leben in der Nachfolge Jesu tatsächlich begonnen wird, da geschieht so etwas wie dies: „ein Licht geht auf an einem dunklen Ort“ (V. 19 unseres Textes).

Als ich eingangs sagte, ich käme von weit her, hatte ich ja die Dimension Zeit im Blick. Ein Blick weit zurück in meine Kindheit: Winter 1946/47, viel Kälte, viel Dunkelheit wegen dauernder Stromsperren. Das Kind fürchtet sich im Dunklen. Aber dann ist eine Kerze da; so schwach ihr Leuchten, aber so stark ihre Wirkung!

Denn der Raum hatte sich verwandelt, und eine einzige Kerze hatte die ganze Angst vertrieben. Das „Licht“- Wort unseres Textes erinnert mich an eine andere Stelle aus dem Neuen Testament. Dort wird den Glaubenden zugesprochen, sie seien „Kinder des Lichts“.

Wieder schaue ich in mein Leben: alle möglichen Sorgen von einst kommen in meinen Blick, auch Ängste und Unsicherheit - und so viele Fragen!
Wie leicht hätte aus all dem ein Irrgarten werden können oder ein gefesseltes Dasein. Aber das ist nicht geschehen. Und zwar nicht, weil ich einen so starken Charakter habe, sondern weil mir „Kinder des Lichts“ begegnet sind an all den Stationen meines Lebens, an denen ich allein nicht weiter wusste. Das waren erwachsene Frauen und Männer, ein oder zweimal auch Jugendliche - wohl niemand von ihnen ist sich als eine Erleuchtete vorgekommen. Aber das Dasein dieser/dieses Einzelnen in einer ganz speziellen Drucksituation, vermochte eine Kraft in mir zu erwecken, eine Angst zu nehmen, einen Weg zu öffnen.

Wir ahnen gar nicht, was wir für andere bedeuten können! Ihr ahnt noch gar nicht, was Ihr für andere bedeuten werdet!

Ich stelle mir gerade vor, dass Euer Treffen, Euer geistiges und geistliches Miteinander euch zu Menschen machen kann, die in dunklen Zeiten einem Licht folgen und zu einem Licht für andere werden können.

Als ich meine Kindheitserinnerung mit der einen Kerze im Raum vorgetragen habe, da haben viele hier im Raum wahrscheinlich die Bilder aus der Ukraine vor Augen gehabt, wo Menschen mit Dunkelheit und Kälte zu kämpfen haben, weil ein bösartiger Aggressor das Land bombardiert. Was wären die Opfer des Krieges ohne den Beistand anderer Menschen, die Ihnen zur Seite stehen?

Schauen wir die Probleme an, die Politik wie Zivilgesellschaft zurzeit beschäftigen: Wird die Weltgemeinschaft imstande sein, die notwendigen Entscheidungen in der Klimaproblematik zu fällen?
Wird es eine gerechtere Weltordnung geben, werden Unterdrückung und Unfreiheit weitere Gesellschaften ruinieren?

Wie schützen wir in unseren Ländern die Demokratie vor ihren Feinden? Wie gehen wir in Europa mit den Menschen um, die zu uns geflüchtet sind?

Schon diese wenigen Sätze verweisen auf eine Welt, die keine Zukunft haben kann, wenn nicht Menschen da sind, die bereit sind, sich mit ihren Fähigkeiten und Kräften zu engagieren - weltweit oder vor der eigenen Haustür.
Und ich stelle mir vor, wie ein solches Leben in Bezogenheit auf andere nicht nur Leuchtkraft entwickelt und andere Menschen ansteckt, sondern auch Euer eigenes Leben zu einem eminent wertvollen und schönen macht.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
ich bin mit dem Begriff „Licht“ in unserem Bibelabschnitt etwas eigenmächtig umgegangen, ich denke, es ist deutlich geworden warum ich das getan habe.
Aber zum Abschluss will ich doch darauf hinweisen, dass in unserem Text mit „Licht“ das prophetische Wort gemeint ist, das den Glaubenden versichert, dass mit dem irdischen Jesus Gott selbst unter uns präsent sein will.

Dazu will ich jetzt keine theologischen Kommentare geben, sondern auf etwas verweisen, was nicht nur ich, sondern unzählige Menschen erfahren haben:
Es gibt Worte, die kannst du dir nicht selber sagen, es sind Worte, die eine eigene Qualität haben, sie sind lebensverändernd. Menschen, die die ungewöhnliche Wirkungsmacht solcher Worte erfahren haben, sprechen dann in der Bibel von Gottes Wort. Und der Schreiber des Briefes erinnert daran: Ihr seid die, die das Wort brauchen, das ihr euch selbst nicht geben könnt.

Diese Erinnerung können auch Menschen mit viel Lebenserfahrung ganz gut gebrauchen, ich will sie mir also auch selbst noch einmal zumuten.
Ich kann mich nicht selber segnen, ich bitte mein Gegenüber, bitte Gott um diesen Segen, und seine Verheißung ist, dass ich selber ein Segen sein kann.

Und wenn ich nun auf Eure Versammlung im Geiste von Taizé sehe, dann stelle ich mir vor, dass Ihr nicht singt, betet und diskutiert um aus der Welt zu fliehen, sondern dass Eure Suche nach dem, was die Welt nicht geben kann, Euren Glauben stärkt, der diese Welt nicht verachtet sondern sie besser machen will.