Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Festakt zum Gründungstag der Patriotischen Gesellschaft

Menü Suche
Joachim Gauck spricht zum Festakt des Gründungstags der Patriotischen Gesellschaft

©Ibrahim Ot

Ansprache im Reimarus-Saal

Festakt zum Gründungstag der Patriotischen Gesellschaft

11. April 2018, Hamburg

Ich möchte heute ein erfreutes Dankeschön sagen, einmal tue ich es als Bürger eines freien Heimatlandes, und zum anderen als ehemaliger Präsident, der während seiner Präsidentschaft häufig die Gelegenheit bekommen hat, das vielfältige Engagement der Bürgerinnen und Bürger genauer kennenzulernen. Denn die mediale Wahrnehmung dessen, was uns umgibt, ist meistens konnotiert von den negativen Dingen und nicht so häufig von den schönen, den guten Nachrichten. Das Schöne an meinem früheren Amt bestand darin, dass ich die Wirklichkeit in Form von engagierten Menschen deutlicher und intensiver habe kennenlernen dürfen. Und so entstehen dann wunderbare Situationen, wo man als Deutscher aus dem Nordosten, aus dem Mecklenburger Raum, plötzlich zum Beispiel im tiefsten Südwesten, weit weg von der originären Heimat, Heimatgefühle entwickelt.

Wenn wir an die Geschichte des Hospitals zum Heiligen Kreuz hier in Hamburg erinnern, dann machen wir uns bewusst, dass auch vor 800 Jahren Menschen gespürt haben: Wir leben nicht nur für uns alleine. Das waren Traditionen, die sie aus ihrem christlichen Glauben mitgebracht haben und dieses Wissen darum, dass wir mit anderen verbunden sind, dass menschliches Leben ein Leben in Bezogenheit ist. Es gibt ausgesprochen harte Zeiten, in denen die Lebenssicherung der Einzelnen auf geradezu brutale Weise ins Leben tritt und man Bündnisse schließt, wo es ums Überleben geht. Und es gibt achtenswerte und ehrenwerte Formen der Gestaltung des Gemeinsamen, wo man sehr früh merkt, da gibt es einen Geist der Demokratie, bevor es die Demokratie als Staatsform gibt.

Die ersten Urkunden des demokratischen Staatshandelns finden wir in den Verfassungen von städtischen Gemeinschaften. Wenn wir uns anschauen, wann sich Universitäten und wann sich das Bewusstsein entwickelt, dass die Bürger ihr Gemeinwesen selbst gestalten wollen, dann müssen wir in diese städtischen Lebenssituationen schauen - und ganz besonders die freien Reichsstädte stehen in den Annalen als Erfinder der praktizierten Demokratie.

Was wir uns nicht hinlänglich bewusst machen ist, dass manche Dinge lange in den Köpfen von Individuen existieren, bevor sie die Kraft entwickeln, Gruppen von Menschen zu assoziieren zum gemeinsamen Handeln in Richtung ersehnter Freiheiten und Rechte, in Richtung Demokratie. Und insbesondere unsere deutsche Politiklandschaft ist nun nicht gerade gezeichnet von einer überwältigenden Form der Freiheitsliebe. Wir haben oftmals darüber klagen müssen in Deutschland, dass die Freiheit und die Freunde der Freiheit unter Wert gehandelt wurden. Im 19. Jahrhundert haben viele ihre Ideale nur in den Vereinigten Staaten verwirklichen können. Es gibt deutsche Namen und deutsche Figuren, die wir auf amerikanischen Marktplätzen sehen können, weil sie die Idee der Demokratie zusammen mit Schotten oder Franzosen dort hingebracht haben, und dort konnte ihre Demokratie blühen. Hier war sie bald verblüht nach dem Aufbruch im 19. Jahrhundert. Auch die Blütenträume des Frankfurter Parlaments reiften nicht wirklich. Der Deutsche, pragmatisch wie er sich gerne gibt, hat dann gedacht, na ja, das Chaos dort, wo die Freiheit hochgelobt wird, im französischen Nachbarland, ist so groß und unsere Fürsten sind so schlecht nicht, dass so eine natürliche Geneigtheit zur Fürstenherrschaft bei uns in Deutschland lange existierte.

Unser großer Dichter Heinrich Heine, nicht von allen unseren Vorfahren geliebt, hat einmal gesagt: Er, der Deutsche, liebt die Freiheit wohl auch, aber während der Franzose sie liebt wie eine Geliebte, glühend vor Begeisterung und der Brite sie immerhin liebt wie ein treues Eheweib, so sei doch der Deutsche geneigt, die Freiheit zu lieben, wie man seine alte Großmutter liebt. Man mag dem zustimmen oder nicht, aber etwas von einem Defizit an Freiheitsbegeisterung zeigt sich schon in so einem frühen Statement.

Wenn wir genau hinschauen, können wir wahrnehmen, dass viele Menschen in verschiedenen Zeiten die Herausforderung, ein selbstbestimmter Bürger zu sein, gerne eintauschen würden gegen eine schöne Gefolgschaft. Viele Menschen und besonders jene, die noch nicht Jahrzehnte Zeit hatten, Demokratie im eigenen Mittun zu gestalten, leben ein wenig in dieser Versuchung, mit dem Vorfindlichen nicht zufrieden zu sein und das "Eigentliche" zu erwarten. Nur, wo sind sie denn, die uns das Eigentliche bringen? Dann kommen von rechts oder von links die bekannten Verführertöne. Dazwischen stehen wir als bewusste Bürger und Bürgerinnen und fragen uns, ist es denn wirklich so schwierig, den Glanz, die Schönheit und die Kraft eines selbstbestimmten Bürgerdaseins zu ergreifen und zu begreifen? Ist es denn tatsächlich so schwierig? Und offenkundig ist das wohl öfter so. Sonst hätten wir nicht in den verschiedenen historischen Situationen in einer Verführungssituation gestanden, den einfacheren Weg zu gehen, den Weg der Gefolgschaft. Aber nicht nur die Bequemlichkeit und das Böse, sondern auch die Befähigung zur Verantwortung, das Gute ist in uns angelegt. Und diese Bewusstmachung dessen, dass wir in unserem Leben eben nicht nur zu dem geneigt sind, was sich von selbst ergibt, sondern dass wir unserer Begabung trauen, den Möglichkeiten, die in uns existieren, und dass wir solche Menschen wahrnehmen, die sich engagieren, die sich einsetzen, das ist wichtig und das müssen wir uns immer wieder sagen.

Was Sie, liebe Mitglieder der Patriotischen Gesellschaft, tun, macht meines Erachtens genau das aus, was Patriotismus kennzeichnet. Johann Ludewig Gries hat es zur Zeit der Gründung der Gesellschaft wunderbar als die "Anhänglichkeit an den Staat" bezeichnet, "in welchem man lebt, und thätiges Bestreben, diesem nützlich zu werden".

Nun muss man sich den Staat der damaligen Zeit einmal anschauen. Es war doch oftmals ein sehr ständisch gegliedertes Unternehmen. Doch trotz dieser offenkundigen Mängel einer vordemokratischen Zeit spricht hier einer von einer Anhänglichkeit an den Staat. Sie als Patriotische Gesellschaft formulieren es so: "Wir sind davon überzeugt, dass die kostbare individuelle Freiheit und Selbstbestimmung nur in Verbindung mit praktischer Verantwortung und Sorge für unser Gemeinwesen zu haben sind." Und deshalb setzen sie sich ein in einer Zeit, als Bildung und Kultur nur der Oberschicht zugedacht war, dass sich auch andere Mitglieder der Gesellschaft als Bürger fühlen können, als Teilhaber an Kultur und Bildung, denn, so viel Idealismus muss sein, es ging ja um das Glück der Menschen.

Man muss manchmal einen großen Traum haben, der es einem erlaubt oder die Kraft gibt, die kleinen Wege zu gehen. Und es ist auch eine Geschichte der demütigen Erniedrigung Hochgeborener, die uns beeindruckt, weil sie die Fähigkeit haben, Teile ihres Lebens oder ihr Leben ganz denen zu widmen, die es nötiger haben als sie selbst. Davon erzählen eben diese Geschichten der Gründungen.

Wie zum Beispiel das Schröderstift, oder das Vorwerk-Stift, ein Künstlerhaus, 1866 gegründet von Georg Friedrich Vorwerk. Hier finden wir Menschen, Stifter, Sponsoren, die mit ihrem Bürgersinn tätig geworden sind, die eben nicht auf Führung oder Gewährung von höchster Stelle gewartet haben, sondern die gemeint haben, ja, das schaffen wir. Das ist eben auch etwas, was mich immer in Hamburg beheimatet sein lassen wird, unabhängig von der Nähe zu Mecklenburg und Rostock, es ist dieses Ankommen in einem Lebensumfeld, in dem Menschen wissen, dass wir uns nur dann erfüllen, wenn wir in Bezogenheit auf andere leben. Da gibt es die großen Namen, die großen Stifter dieser Stadt und es gibt kleine Namen, die eigentlich niemand kennt außer denen, mit denen diese Person gerade in Beziehung steht.

In meiner Zeit als Bundespräsident ist es mir dann praktisch zugewachsen zu erleben, was Kurt A. Körber mit der Gründung der Körber-Stiftung geleistet hat - die Körber-Stiftung richtet mit dem Bundespräsidenten den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten aus. Oder denken Sie an Gerd Bucerius und die ZEIT-Stiftung. Oder an Philipp Reemtsma und seine Stiftung, die so verdienstvolle Editionen von Adorno, Jean Améry, Walter Benjamin unterstützte. Auch der Stifter Michael Otto, der 1993 die Michael Otto Stiftung für Umweltschutz gründete und Ehrenmitglied der Patriotischen Gesellschaft ist, gehört dazu.

Diese einzelnen Namen stehen eben für ganz viele. Es fällt uns leicht, die Namen derjenigen zu nennen, die wir verurteilen, so dass wir darüber oftmals diejenigen Namen gering achten, die es wirklich zu kennen lohnt, weil sie eben dieses Gegenbild zu einer inhumanen Welt darstellen.

Lassen Sie mich noch einen Gedanken zu unserem organisierten Gemeinwesen äußern. Unser Staat ist im Gegensatz zu dem, was man täglich liest, sehr gut organisiert. Neulich rief mich eine meiner Enkelinnen an aus Brasilien, sie hatte ein Hinflug-Ticket gekauft, keinen Rückflug. Nach ungefähr acht bis zehn Wochen in dem Land sagte sie nun in dem Telefonat: "Ich denke, dass ich demnächst zurückkomme, es ist hier doch nicht alles so einfach." Man hatte ihr erzählt, welche Busstation sie lieber nicht benutzen sollte. Sie fand es auch nicht normal, dass sie am Bankautomat kein Geld ziehen konnte. Vor ihrer Reise konnte man mit ihr nicht darüber reden, was unsere Demokratie wert ist. Nun wollte sie also zurückkommen, weil sie sich hier auf bestimmte Dinge verlassen kann. Wenn wir mal abseits vom Ärger, den wir über diese oder jene nicht geregelte Situation in der Politik haben, wenn wir uns wirklich einlassen, dann kommen wir zu einer positiven Einstellung zu unserem Land. In gewissen intellektuellen Kreisen gilt das als verdächtig. Aber ich bin sehr dafür, dass wir die Form des Denkens als Vergleich pflegen; damit meine ich einen Vergleich dessen, was um uns herum existiert. Es gibt einen anderen Vergleich, bei dem die Demokratie regelmäßig schlecht abschneidet und den kenne ich von manchen Freunden. Und was tun diese Menschen? Sie sagen, sie haben eine Vision von einem Leben, wie es sein sollte. Aber dann messen sie die vorfindliche politische Wirklichkeit an dieser Vision. Und was sie dann befällt ist regelmäßig ein enormer Verdruss über das, was um sie herum existiert. Aber eine Existenz im Grundbewusstsein des Verdrusses hat keine Zukunft. Wir würden niemals ein Kind so erziehen zur Fähigkeit zum Verdruss, wohl zur wachen Wahrnehmung der Wirklichkeit, aber nicht zur Einkehr in einer politischen Bedrücktheit und zu einer Form des Verdrusses, die entsteht, wenn wir allzu lange unsere Wirklichkeit mit dem erhofften und ersehnten und erträumten Ideal vergleichen.

Warum gehört das mit dem zusammen, was wir hier feiern, der Existenz dieser Vereinigung? Weil es hier Menschen gegeben hat, die unabhängig von dem, was sie glauben oder wie sie politisch orientiert waren, gedacht haben, es gibt naheliegende Dinge, für die wir uns zuständig erklären. Und diese Form der Ermächtigung der Einzelnen für die öffentlichen Dinge, auch – wo erforderlich – im Widerspruch zu Autoritäten, ist eben so etwas wie das Erwachen des autonomen Bürgers. Und wir sehen an verschiedenen städtischen Zentren in ganz Europa dieses frühe Erwachen von Bürgersinn, dem erst sehr spät die wirklich ausgestaltete Demokratie, die Herrschaft des Rechtes oder gar das Sozialstaatsdenken folgten. Das heißt, was wir als Individuen tun, hat mit dem Staat, mit dem öffentlichen Raum, in dem wir leben, unmittelbar etwas zu tun. Es hat nicht immer gleich Folgen, aber es bleibt nicht folgenlos. Und deshalb sind wir alle gehalten, die wir heute in einfachen, weil demokratischen Verhältnissen leben, diese Menschen zu ehren, die dieses Bewusstsein wach gehalten haben. Und warum brauchen wir es?

Ich hatte eingangs davon gesprochen, dass viele Menschen eine Neigung in sich tragen, sich selbst nicht als verantwortlich zu verstehen, sondern auf Führung warten, und meinen, in der Gefolgschaft liefe dann alles richtig. Ich habe das als Versuchung bezeichnet. Und natürlich kennen wir Versuchungen, denen wir heute nicht erliegen werden. Die Deutschen würden heute nicht einen Adolf Hitler wählen oder auch keinen Walter Ulbricht. Es gibt bestimmte Gefahren, die haben wir erlitten, daran sind wir zerbrochen. Und wir haben uns nur daraus erholen können, weil wir nicht vor der Wahrheit, vor der Schuld weggelaufen sind, sondern weil, jedenfalls hier im Westen Deutschlands, irgendwann die Erkenntnis eingekehrt ist, schau an, was du gemacht hast und dann begreife, was du verlieren kannst. Aus dieser zwar späten, aber dann doch sehr intensiven Zuwendung zum eigenen Scheitern und zur eigenen Schuld ist ein manchmal übertrieben starkes Orientiertsein am Scheitern, am Nein zu jeder Form von Patriotismus oder zur Nation entstanden. Das sind die 1960er und 1970er Jahre, in denen ganz besonders eine Form von Universalismus gepriesen, Deutschland als "postnationale Demokratie" beschrieben wurde und Heimatgefühle als reaktionär galten. Das war ein bisschen lebensfern und auch lebensfremd. Aber wichtig war es eben doch, dass die Zeitgenossen nicht mehr weggelaufen sind (in Deutschland West jedenfalls), vor der intensiven Beschäftigung mit eigenem Versagen und eigener Schuld. Damals ist eine Situation entstanden, in der die Deutschen sich wieder ernst nehmen konnten, weil sie es nicht mehr nötig hatten zu schweigen, wie es viele der Generation meiner Eltern gemacht haben. Ich bin dankbar dafür, dass Deutschland nicht zu den Ländern gehört, die nicht willens und nicht imstande sind, ihre eigenen Verbrechen und Schuldszenarien aufzuarbeiten. Davon gibt es einige, und manche machen daraus sogar eine Tugend.

Das haben wir nicht gemacht. Und darum haben wir etwas wiederentdeckt, was in anderen Ländern schon existierte, nämlich die unglaublich wichtige Rolle des Citoyen in einem Gemeinwesen. Wir haben wiederentdeckt, dass Freiheit nicht nur dann ist, wenn wir befreit werden von einem Tyrannen, sondern dass Freiheit in ihrer tiefsten und schönsten Form uns begegnet, wenn wir begreifen, dass dieses kostbare Wort nicht nur eine Freiheit von etwas beschreibt, sondern Freiheit zu etwas und für etwas.

Denn die Freiheit der Erwachsenen heißt Verantwortung. Wenn wir Menschen begegnen, die uns diese Form des Lebendigseins vermitteln können, dann blüht in uns etwas auf, dann erwacht etwas in uns. Dann ist es uns auch egal, ob wir geehrt werden oder nicht. So mancher Hamburger lässt sich ja zum Beispiel keinen Orden geben. So viele Politiker wollten Helmut Schmidt gern einen geben, aber er hat gesagt, nein, als Hanseat braucht er das nicht.

Das kann man alles so machen, aber wir brauchen eine Form des Ja-Sagens zur Existenz des Menschen, der humanistische Ideale verfolgt. Und darum liegen uns die Menschen so am Herzen, die zu dieser Form der Selbstverwirklichung gekommen sind, nicht der Größte, Stärkste, Furchterregendste zu sein, sondern der, der wahrnimmt, der fähig ist mitzuempfinden, der Empathie entwickeln kann und der diese kostbare Fähigkeit, sich selbst in die Pflicht zu nehmen und ein verantwortlicher Akteur zu werden, der das in sich erkennt.

Für andere da zu sein oder Hilfe zu leisten bei der Erziehung oder bei der Förderung der Künste, das kostet Zeit und Energie und es kostet auch Geld. Nun erleben wir bei vielen Menschen, dass die Einflussvergrößerung durch Vermehrung des Vermögens nur bedingt befriedigt. Auch die Glücksforschung weiß, dass die Vermehrung von Ansehen und Vermögen nur bis zu einem bestimmten Grad glücklich macht und deshalb sehen wir bei einigen, die vielleicht selber gar nicht mehr in der Suppenküche helfen können, weil sie zu alt sind, dass sie aber ihr Scheckbuch zücken und sagen, ich will das und jenes fördern. Und nun gewinnen plötzlich die Menschen, die diese Vermögensvorteile haben und jene, die an den Tafeln helfen oder die als Lesepaten unterwegs sind, etwas Gemeinsames. Und das ist ein Ja zu dem eigenen Leben, was sie auf anderem Wege schwer oder gar nicht zu erreichen vermögen. Wir haben uns hier versammelt als Menschen, die wissen, wie nützlich, wie politisch sinnvoll, wie menschlich angemessen und wie Glück versprechend es ist, wenn wir die Existenzform der Verantwortung in unser Leben hineinrufen. Und deshalb gehören wir und die frühen Anfänge und Anfänger solcher Ideen zusammen. Wir kennen viele von ihnen gar nicht mehr. Aber wir wissen, wir stehen in einer unverrückbaren Tradition.

Und was passiert morgen? Wenn Sie sich fragen, an wen Sie den Staffelstab übergeben können? Dann könnte man der Versuchung erliegen zu sagen, die Jugend ist es nicht, die interessiert sich nur für oberflächliche Dinge. Ich kenne dieses Vorurteil, ich habe es als Präsident überprüfen lassen: Es ist ein Vorurteil, es stimmt nicht. Die Jugend organisiert sich anders, engagiert sich zum Teil anders, und es sind nicht wenige. Das heißt, wir haben keinen Grund zur Resignation. Diese einmal in das Leben getretene Form des Daseins in Verantwortung und in Bürgergesinnung, sie lebt weiter. Wir wissen nicht genau, in welcher Form. Wir brauchen nicht nur Lehrbücher und Thesen, sondern wir brauchen lebendige Beispiele für diese Bürgergesinnung, die andere ansteckt. In der Regel sind Sie auch angesteckt worden durch das Engagement von irgendjemand. Eines meiner Ehrenämter zum Beispiel verdanke ich Hans-Jochen Vogel, dem ehemaligen Vorsitzenden der Sozialdemokraten. Er hat einen Verein gegründet mit anderen aus anderen Parteien: Gegen Vergessen – Für Demokratie. Ich bin Ehrenvorsitzender dieser Vereinigung. Und Hans-Jochen Vogel hatte die Eigenschaft, die Leute so lange zu bitten, bis sie endlich Mitglied wurden.

Es sind Mitmenschen, die uns imponieren, es ist ihre Lust und die Freude daran, die Form des Bürgerseins als verantwortungsbewusster Akteur zu einem Zukunftsmodell zu machen. Und wir haben in jedem Bereich, in dem wir tätig sind, genug Aktionsmöglichkeiten. Das trifft für Leute aus der Wirtschaft zu, das betrifft die Kunst- und Kulturszene, die Medienszene.

Und wir sind ja umgeben von anderen Menschen auch, die sich in Parteien und Gewerkschaften und Vereinen engagieren. Und das trotz des Verdrusses an der etablierten Politik. Wir sind in diesem Staat gut ausgestattet mit Leuten, die sich auch außerhalb von Bürgervereinigungen Gedanken und Sorgen machen und dann in der Politik aktiv werden, damit das Gemeinsame funktioniert. Auch wenn das im Moment schwierig ist, weil die Nation sich gerade fragt: Wer soll dazugehören und wer eigentlich nicht? Aber durch diese Phase müssen wir durch mit offenem Wort, auch mit der Bereitschaft, uns zu streiten, für unsere Werte einzutreten und vor allen Dingen nicht kleingläubig zu sein und zu glauben, dass diejenigen, die altmodische Varianten von Nationalität und Volk aufrufen, dass die plötzlich Zukunftsideen haben würden. Wir lieben das Alte durchaus, wenn es so daherkommt wie die Patriotische Vereinigung. Wir lieben das Alte, wenn es erst aufbaut und dann weiter gestaltet, wovon die Demokraten aller Zeiten geträumt haben. Wofür die Freiheitsliebenden in unterschiedlichen Zeiten gelitten haben und sogar gestorben sind. Aber wir lieben es nicht, weil es alt ist und weil wir uns noch nicht an die neue, offene Gesellschaft und unser globales Miteinander gewöhnt haben. In diese Angst lassen wir uns nicht verführen.

Wir sind hier um Ihr Anliegen zu feiern und damit eine Form des Menschendaseins, wo dieser Glanz der Freiheit als Fähigkeit zur Verantwortung erstrahlt. Ich wünsche Ihnen noch viele solcher Feiern. Meine Glückwünsche begleiten Sie!