Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Clara Schumann

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Bundespräsident a.D. Joachim Gauck im Austausch mit Sarah Wedl-Wilson, Rektorin der Hochschule für Musik Hanns Eisler

©Janine Escher

Austausch mit Sarah Wedl-Wilson, Rektorin der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin

200. Geburtstag von Clara Schumann

02. November 2019, Berlin

Änderungen vorhalten.
Es gilt das gesprochene Wort.

 Welch ein schönes Geschenk!

"Er sei Dir wert; wie schön sie blüht,

die Blume verblüht; was tiefer glüht,

du hegst es im Herzen auf treuem Herd,

die Kunst sie bleib Dir wert!"

Wir hörten es soeben in diesem zauberhaften Vokal-Quartett "Die Orange und Myrthe hier" – meisterlich vorgetragen von den Damen und Herren Professoren – komponiert von Robert Schumann als Beigabe zu seinem Geschenk für seine Frau Clara zum 34. Geburtstag, einen Flügel.  

Ja, welch ein schönes Geschenk, das es vermag, uns auch 166 Jahre später ebenso zu begeistern und über den Lauf der Zeit den Flügel zum profanen Beiwerk degradiert. 

Und es führt uns vor Augen, welch‘ ein Geschenk, die Musik, die Kunst für uns alle ist, zeitlos über die Jahrhunderte hinweg, Inspiration, Quelle der Freude, der Muße und des Trostes oder wie Clara Schumann es 1874 an Johannes Brahms schrieb: "In allen Prüfungen hatte ich die Kunst als treue, helfende Freundin mir zur Seite, jetzt fehlt sie mir, und mir ist`s, als verliere ich ohne sie allen Halt fürs Leben." Die Zeilen der 55-jährigen Clara Schumann offenbaren uns, nicht nur wie bedeutend die Kunst für ihr Leben, sondern auch, dass es nicht frei von Entbehrungen, Schicksalsschlägen, von Prüfungen war. Die Kunst aber ist ihre Freundin, ihr Halt im Leben. 

Und wenn wir heute ein "Fest für Clara" anlässlich ihres 200. Geburtstages feiern, dann ehren wir hier und jetzt sie selbst, ihr vielfältiges Lebenswerk, ihre Musik, aber darüber hinaus ehren wir die Kunst an sich und damit das, was uns oft selbst Halt, Trost und Ermutigung geben kann im Leben. Wir feiern Clara Schumann heute als Quelle der Inspiration, die sich nicht nur aus ihrem künstlerischen Wirken erschließt, sondern auch aus ihrem Leben mit all den Widersprüchen, den unterschiedlichen Anforderungen, die geprägt sind durch die Erwartungen des sozialen Umfelds und den Zumutungen der Zeit. 

Inspiration durch Clara Schumann ist jedoch nicht ohne eine gewisse Verunsicherung zu haben. Denn wer sich mit ihr befasst, ist auf Interpretation und Einordnung angewiesen und dies gilt nicht trotz der unglaublichen Fülle an Quellenmaterial, sondern gerade wegen dieser. Material, das Stoff für eine ganze Reihe von Romanen bilden würde und es ermöglicht, dass es in den letzten Wochen und Monaten ein ganzes Konvolut an Neuerscheinungen über Clara Schumann aus den unterschiedlichsten Perspektiven gab.  

Und schon die Suche nach einer Überschrift bildet ein Wagnis und kommt selten ohne Auslassungen aus: Tochter, Wunderkind, Komponistin, Virtuosin, Ehefrau, Pianistin, Mutter, Witwe, Interpretin, Pädagogin, Geliebte, Herausgeberin. Sie wissen es: Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen.  

So freut es mich sehr, dass die Hochschule für Musik Hanns Eisler unter der künstlerischen Leitung von Frau ter Horst sich auf das Wagnis Clara Schumann eingelassen und gestern und heute unter sieben Überschriften ganz unterschiedliche Perspektiven auf das Leben von Clara Schumann bietet. Dafür sage ich Ihnen Dank – auch ganz persönlich, denn es freut mich, wenn meine Gefühle von Zuneigung und Freude an der Musik durch neue Sichtweisen und neues Wissen ergänzt werden.  

Sie spüren, es ist mir eine große Freude mit Ihnen das "Fest für Clara" zu begehen –wie es mir ein Anliegen war, meine Amtszeit als Bundespräsident am Bonner Dienstsitz mit einem Kulturabend zu Ehren von Clara und Robert Schumann ausklingen zu lassen. Ein Ausklang, im wahrsten Sinne des Wortes und wie man ihn sich schöner nicht wünschen kann. Diesem habe ich wohl auch die Einladung zum heutigen Abend zu verdanken, denn als Gastgeber war es schon vor zwei einhalb Jahren an mir, einige Worte an die Gäste zu richten und etwas Einordnendes über dieses ungeheuer produktive Künstlerehepaar zu sagen.  

Nun habe ich mir in Vorbereitung auf den heutigen Abend das Manuskript von damals noch einmal zur Hand genommen – vielleicht ließe sich der ein oder andere Gedanke übernehmen. Zunächst einmal musste ich jedoch feststellen, dass mir der Blick auf diese Verbindung von Clara Wieck und Robert Schumann eine Nuance zu männlich und damit vielleicht auch etwas zu eingedunkelt geraten war. 

Bei einem erneuten Blick auf Clara ist mir zweierlei deutlich geworden: Zum einen, dass das Leben von Clara vollkommen aus der Zeit gefallen ist – modern und altertümlich zugleich. Modern erscheint schon die frühe Trennung der Eltern. Die Mutter, Mariane Wieck, selbst Pianistin und Sängerin, und für die damalige Zeit vollkommen ungewöhnlich, dadurch wirtschaftlich unabhängig, trennte sich bald von Ihrem Mann, dem Instrumentenhändler und Klavierpädagogen Friedrich Wieck. Antiquiert erscheint heute das damalige Sorgerecht, das die Kinder dem Vater zusprach. Diesen würde man heute wohl, wiederum modern, als Helikoptervater bezeichnen, der Claras Karriere als "Wunderkind" früh und ehrgeizig befördert und eifersüchtig über sie wacht. Das ging bekanntlich soweit und dies erscheint uns heute zum Glück unvorstellbar, dass Robert Schumann die Heirat gegen den Willen des Vaters vor Gericht erzwingen musste.  

Was dann folgt, ist nicht nur pure Romantik, sondern das harte Ringen zweier großer Künstler um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um wirtschaftliche Unabhängigkeit und künstlerischen Erfolg, um eheliche Nähe und Freiheiten, das stete Suchen nach Kompromissen in einer Partnerschaft, in der die Gleichberechtigung von Frau und Mann noch lange nicht errungen ist. Eine Ehe, die gleichwohl mit all ihrer Dramatik in die romantische Epoche gehörte, eine Zeit des Widerspruchs, auch der Exaltiertheit, der Innerlichkeit wie der Revolte, einer rastlosen Dynamik und Unbehaustheit und der beständigen Sehnsucht nach Heimkehr.  

Für kuschelige Heimeligkeit jedenfalls steht diese Romantik nicht. Dass beide Schumanns ihre Ehe als Arbeitsgemeinschaft überhaupt leben und gegen alle Widerstände durchsetzen konnten, beweist schließlich auch, dass ungeachtet aller Prägungen durch den Zeitgeist hier zwei Menschen zueinander gefunden haben,

denen Liberalität, Toleranz und wohl auch die Anerkennung aller Fährnisse und Unvollkommenheiten des Lebens zu eigen ist. 

Zum anderen lassen sich anhand der Biografie von Clara Schumann und ihrem künstlerischen Wirken der Gegensatz von Leben und Kunst, von Wissen und Poesie, vom Lebbaren und Vorstellbaren deutlich nachvollziehen und sie selbst hat mit ihrem schon erwähnten Zitat die Brücke zwischen beiden geschlagen: Die Kunst kann dem Leben Halt geben. Und wahrlich nicht nur Halt, sondern auch Gestalt, kann Augen und Ohren öffnen und denen, die dies erfahren, neue Lebensräume eröffnen. 

Damals entstehen die Idee der Freiheit des Künstlers und die Einsicht, dass man weder dem Künstler noch dem Menschen im Allgemeinen mit allzu vereinfachenden Ansichten gerecht wird. Was Aufklärung und Rationalismus damals den Menschen an Gewissheiten über ihre Herkunft und den Sinn ihres Seins genommen hatten, das begriffen die Romantiker als Verlust, mit dem sie sich nicht abfinden wollten. Sie legten Lebensgefühle offen, die Menschen auch heute kennen. Das Gefühl des Ausgesetztseins, der Heimatlosigkeit und der Protest dagegen ist ein unsere gesamte Moderne begleitendes und durchaus gegenwärtiges Lebensgefühl. Es erscheint in Wellen nach bestimmten Jahrzehnten immer wieder und wird dann in einer Gesellschaft relevant, manchmal in einer Weise, die man akzeptiert, manchmal in einer Weise, die befremdlich, verwirrend oder gar reaktionär ist.  

Zum Erbe der Romantik gehört schließlich auch die Reaktion auf diese Entwurzelung, der Versuch, die Wirklichkeit einem ästhetischen Modell, dem Willen des Künstlermenschen zu unterwerfen. Die entstellte, verzerrte Form dieses Konzepts, der Glaube an eine speziell dem Deutschen eigene kulturelle Tiefe, die etwa dem rationalen Politikdiskurs westlicher Länder überlegen sei, ja schließlich auch eine hysterische Selbstüberschätzung und andererseits eine nihilistische Zerstörungswut, auch das entwickelte sich im politischen Raum als ein Erbe der Romantik.  

Es ist hier nicht der Ort, aufzuweisen, wie sich dieses Erbe dann später im zwanzigsten Jahrhundert darstellt. Aber sich die Abwege und die dieser Epoche folgenden Abgründe zu vergegenwärtigen, scheint mir doch angemessen. Wenn wir uns heute allerdings dem kulturellen und künstlerischen Erbe der Romantik widmen, dann wird unser Herz weit und wir nehmen einen unglaublichen Reichtum wahr. Und die Musik wird zur Leitdisziplin der Kunst in der Romantik. Musik verspricht den Menschen nicht grade Erlösung, aber doch Heilung.  

Für Novalis redet sie "eine allgemeine Sprache" und das heißt doch: Eine für alle gültige und alle verbindende. Sie macht den Geist frei und verhilft ihm dazu, menschlicher, eigentlicher zu werden.Der Blick auf das Leben und Wirken von Clara Schumann hilft uns trotz oder gerade wegen all der harten Prüfungen, der kleinen und großen Widersprüche, dem Hellen und Dunklem im Leben der Clara Schumann zu erkennen, welche Kraft und Freude uns aus der Kunst, aus der Musik eröffnet werden kann.  

Die Musik und deren Interpretation ist es, die einen weiteren Zugang zu unserer Wahrnehmung findet und so Türen in unsere Seelen öffnet, die ansonsten verschlossen blieben. So verbinden sich das Bekannte mit dem Unbekannten, das Leben mit der Kunst, der Alltag und mit dem Wunderbaren. Welch‘ ein schönes Geschenk! 

Ja, verehrte Damen und Herren, in Umkehrung des Üblichen sind heute Abend wir, die Gäste dieser besonderen Geburtstagsfestes, die Beschenkten und dafür danken wir der Hochschule für Musik Hanns Eisler und insbesondere den Künstlerinnen und Künstlern dieses schönen Abends.

Herzlichen Dank!