Preisverleihung an Karolos Papoulias
01. November 2019, Berlin
Änderungen vorbehalten.
Es gilt das gesprochene Wort.
Eine ganze Reihe von Gründen sprechen dafür, dass das, was wir hier heute erleben, eine besondere Stunde ist.
Wir ehren einen besonderen Mann, dessen jahrzehntelanges Wirken Anerkennung weit über die Grenzen seines Vaterlandes gefunden hat – und das immer wieder auf besondere Weise mit Deutschland verbunden war, in schlimmen Zeiten wie an guten Tagen.
Es ehren ihn nicht nur die Deutsch-Griechischen Gesellschaften, sondern eigentlich alle Deutschen, die der Freiheit gewogen sind, dafür, dass er, der aus dem Widerstand gegen die Besatzung Griechenlands kommt, so unendlich viele Schritte auf Deutschland zugegangen ist. Als Privatperson, als Politiker und als Staatspräsident.
Der Lebensweg unseres Preisträgers, das kann man wohl sagen, spiegelt viel wieder von den unterschiedlichen Phasen, den Brüchen, den Widersprüchen der Beziehungen zwischen unseren Ländern, aber eben auch von ihren positiven, inspirierenden Phasen und jenen, die Grund zur Hoffnung geben.
Und so ist es für einen Deutschen, der 1940, im Krieg geboren wurde, keine Routine, einen Griechen, der in seiner Jugend im Widerstand gegen deutsche Besatzung und gegen den Nationalsozialismus kämpfte, zu ehren und ihm Dank zu sagen. Eine besondere Stunde, auch für mich.
Vielen hier im Raum steht die Biografie unseres Preisträgers vor Augen. Ich spreche dennoch einige seiner Stationen an, über die ich mir Gedanken gemacht habe.
1929 wird Karolos Papoulias geboren, die Regierungen der zweiten Republik wechselten sich häufig ab. Das Land, das Karolos Papoulias einmal als eine verspätete Demokratie geschildert hat, erlebte innere und äußere Konflikte. Und hier in Deutschland war das Jahr 1929 nach einer Phase gewisser Stabilität geprägt von Ereignissen, die die Republik schwächten und gar zu ihrem Verhängnis beitrugen: die Weltwirtschaftskrise begann, die Arbeitslosenzahlen stiegen, die Konfrontation der Extreme nahm zu, der langjährige Außenminister Gustav Stresemann verstarb. Wenige Monate später, 1930, wurde die NSDAP zweitstärkste Kraft und zog mit uniformierten Abgeordneten in den Reichstag ein. Drei Jahre später wird Hitler Reichskanzler. Nicht durch einen Putsch, sondern gestützt auf Mehrheiten im deutschen Parlament. Im Oktober 1940 erlebt der 11-jährige Karolos Papoulias den Einmarsch von Truppen des faschistischen Italiens, wenige Monate später die deutsche Besetzung Griechenlands. Aktiv schließt er sich dem linken Widerstand an.
Im Jahr 2014 waren wir gemeinsam an Orten Ihres Landes, an denen Deutsche abscheuliche Verbrechen begangen haben, etwa in Ioannina oder in Lingiades, einem kleinen Ort, an dem 83 Menschen durch Flammen und Kugeln zu Tode kamen. Entsetzliche Morde, begangen von Deutschen. Das jüngste Opfer war zwei Monate, das älteste 100 Jahre alt.
Staatspräsident Papoulias hat den deutschen Bundespräsidenten den schweren Weg an diese Orte nicht alleine gehen lassen. Er ist mit mir gegangen und hat mir die Hand gereicht – und dies in einer Zeit, 2014, als die Beziehungen zwischen unseren Ländern durchaus angespannt waren.
Damals war es mir wichtig zu sagen:
"Es bewegt mein Herz, dass Sie, Herr Staatspräsident Papoulias, mit mir hierher gereist sind. Ich bin Ihnen dafür zutiefst dankbar.
Dass wir uns gemeinsam auch dem schwierigen Teil unserer Vergangenheit stellen können, ist für mich eines der großen Wunder, die durch Versöhnung entstehen. Für diese Versöhnung haben Sie, Herr Präsident, sich ganz persönlich eingesetzt. Für diese Versöhnung stehen Sie selbst.
Als junger Mann haben Sie gegen die deutschen Besatzer gekämpft. Sie haben gelitten, Ihre Familie, Freunde und Weggefährten haben gelitten. Sie haben Menschen verloren, die Ihnen nahe standen. Und doch haben Sie den Deutschen die Hand gereicht, und mir – als Repräsentanten meines Landes – heute an diesem Ort erneut. Sie, Herr Präsident, zeigen, dass Versöhnung selbst nach tiefem Leid möglich ist."
Soweit meine Worte von 2014, die auch einen wichtigen Teil meiner Freude ausdrücken darüber, dass er heute hier geehrt wird.
Nach tiefstem Leid Versöhnung, davon sprach ich damals. Karolos Papoulias hat Versöhnung nicht nur angemahnt, er hat sie gestaltet und gelebt, auch im Persönlichen. Er kam als Student in das Land, das Ihre Heimat zwei Jahrzehnte vorher besetzt hatte – und damals, 1961, doch nur wenig Interesse zeigte an Aufarbeitung und erschreckend wenig Empathie für die Opfer des Nationalsozialismus und des Krieges, zu dem eben in besonderer Weise auch die Besetzung Griechenlands gehörte. Er lebte in München und in Köln und dort erlebte er auch den Militärputsch der Obristen des Jahres 1967. Weil sein Doktorvater, Professor Gerhard Kegel, angesichts griechischer Geheimdienstaktivitäten gegen Oppositionelle um seine Sicherheit fürchtete, gab er ihm einen Schlüssel zu seinem Landhaus in der Eifel. Das Land, das einst so großes Unrecht und ein so schlimmes Mordgeschehen über sein Land gebracht hatte, wurde Ihm Zuflucht in Zeiten neuen Unrechts in der Heimat.
Er promovierte rechtsvergleichend über „Besitz im deutschen und griechischen Recht“, aber emotional wichtiger und prägender als die wissenschaftliche Arbeit war wohl eher all das, was er an Oppositionsarbeit von Köln aus koordinierte und anstieß. Er gründete die „Sozialdemokratische Union Griechenlands im Exil“, übrigens zu den Hochzeiten der deutschen Sozialdemokratie unter Bundeskanzler Willy Brandt.
Dass in Westdeutschland ein linker Emigrant, ein Widerstandskämpfer gegen Hitler, Regierungschef wurde, der Deutschlands Vergangenheit ansprach und Versöhnung suchte – das muss ihm damals, als sein Land selber in Unfreiheit blieb, Ermutigung gewesen sein.
Karolos Papoulias, blieb bis April 1974 in Köln, als Wissenschaftler, als Familienvater, als Journalist der Deutschen Welle. Und dann erlebte er, was ich für mich selber mit dem Herbst 1989 verbinde: Befreiung.
Unmittelbar nach dem Sturz der Obristen kehrte er heim in sein Land, in dem nicht mehr Ohnmacht und Unterdrückung herrschten, sondern die demokratische Entwicklung erstmals eine echte Chance bekommen hatte. Vielleicht teilen wir manches Gefühl der Jahre 1974 und 1989.
Und ganz sicher teilen wir eine Erfahrung, die viele machen, die Befreiung erleben, nämlich: Befreiung ist schön, ist Euphorie, ist Glück, ist eigentlich ein perfekter Zustand. Freiheit hingegen ist verbunden mit Risiken, Mühsal, mit Rückschlägen, mit Kompromissen, mit Zwischenschritten, mit Enttäuschungen, oftmals mit Angst. Und dennoch gibt es keine Alternative dazu, die einmal errungene Freiheit zu gestalten, selbst um den Preis des Unperfekten. Menschen können an diesem Widerspruch verzweifeln. "Dafür haben wir nicht gekämpft! Dafür sind wir nicht auf die Straße gegangen!" – Diese Frustration der Befreiten im Angesicht ihrer Freiheit haben Sie sicher in Griechenland so erlebt wie ich in Ostdeutschland.
Denn es stimmt ja: Selbst in der Freiheit gibt es Mängel und Grund, Kritik zu üben. Aber das, was uns beide verbindet mit unzähligen aktiven Menschen ist: Wir wissen, dass der Kern der Freiheit darin liegt, Verantwortung anzunehmen. Und dies heißt eben, die Welt, so wie wir sie vorfinden, zu gestalten. Man darf den Anspruch haben, sie zu verbessern. Aber die Illusion, Perfektion zu erreichen, führt zu Frustration, oftmals zu Ideologie und selten zum Erreichen eines Fortschritts.
Er selber ist den Weg gegangen, den demokratisch engagierte Menschen gehen: Er hat Ideen und Konzepte entwickelt, Verbündete gesammelt und Vorschläge und seine Person zur Wahl gestellt. Als Abgeordneter des griechischen Parlaments, in der PASOK und auch in zahlreichen Runden der griechisch-deutschen Freundschaft. Als Außenminister hat er Griechenlands Weg in die Europäische Gemeinschaft mitgestaltet, durchaus willens und in der Lage, sehr klare nationale Interessen zu vertreten, ohne den Geist der europäischen Einigung aus den Augen zu verlieren. Auch um Befriedung der Verhältnisse zu den Nachbarn hat er sich bemüht und Verdienste erworben: die schwierigen Beziehungen zu Albanien, Türkei und Bulgarien hat er versucht, an vielen Stellen zu normalisieren und zu entwickeln.
Und immer wieder ging es Ihm um die besonderen Beziehungen zu Deutschland und den Deutschen. Gerade als jemand, der die Deutschen kennt und persönliche Beziehungen und Freundschaften pflegt, konnte er griechische Positionen und Sichtweisen offen darstellen und um Lösungen werben. Ich habe das als Amtskollege erlebt und ich ahne, dass ich, wenn wir uns als Minister getroffen hätten, in ihm einen hartnäckigen Verhandlungspartner erlebt hätte. Begegnet sind wir uns aber erst in späten Jahren und in Positionen, in denen Detailverhandlungen und Streitigkeiten im Detail nicht nötig waren. Wir mussten als Präsidenten Differenzen nicht verdecken, aber konnten doch das Große und Geglückte in den Blick nehmen. Auch dafür bin ich dankbar.
Was wir ebenfalls gemeinsam in den Blick genommen haben und uns beide sicher weiter beschäftigt, ist die Frage nach der Zukunft der griechisch-deutschen Beziehungen. Als Bundespräsident habe ich mich eingesetzt für die Errichtung eines Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds. Dass seine Finanzierung bis 2021 in gleicher Höhe verlängert wurde, habe ich mit Freude vernommen. Er verbindet beides: Die Aufarbeitung der Vergangenheit mit dem Blick auf das, was an Beziehungen etwa in Wissenschaft und Verwaltung heute wächst. Das Abkommen zur Gründung eines Deutsch-Griechischen Jugendwerkes wurde in diesem Sommer unterzeichnet. Möge es junge Menschen aus unseren Ländern verbinden und viele Anstöße geben für Kooperationen, Austausch, Dialog und eine gemeinsame Zukunft – das ist mein Wunsch und ich weiß, es ist auch der von Präsident Papoulias!
Auch die wirtschaftlichen Beziehungen werden immer enger. In zwei Wochen wird die deutsche Botschaft in Athen mit der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer ein Innovationsforum in Athen durchführen. Die Start-Up-Community in Griechenland stößt auf waches Interesse aus Deutschland. Wir freuen uns über die Leistungen der griechischen Unternehmensgründer und es ist gut, wenn Deutsche und Griechen sich da weiter vernetzen. Wir blicken in die Zukunft und freuen uns über jede positive Inspiration, die aus unserer Beziehung erwächst.
Inspiration geben uns nun schon seit 100 Jahren Ehrenamtliche, engagierte Bürgerinnen und Bürger, die in den Zusammenschlüssen der deutsch-griechischen Partnerschaftsvereine aktiv sind. Vor 100 Jahren waren es zuerst die Hamburger, die Kontakte zu Griechen knüpften. Seit 1961 gibt es die Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften, in deren Mitgliedsgruppen das geschieht, was wir uns wünschen zwischen unseren Ländern: echtes Interesse, wachsendes Verständnis, vertiefter Austausch, gelebte Solidarität. Ich freue mich ganz besonders darüber zu sehen, dass sich Menschen engagieren als ehrenamtliche Botschafter zwischen zwei Ländern, die die Vergangenheit vielfach getrennt hat, die aber Ja sagen zu ihrer gemeinsamen Zukunft. Haben Sie Dank für dieses Engagement und Dank dafür, dass Sie uns heute hier zusammenbringen.
Lieber Karolos Papoulias, wir grüßen Sie, dieser Tag soll Sie ehren und Ihren Lebensweg. Sie stehen mit diesem Lebensweg immer wieder bildlich für das, was die deutsch-griechischen Beziehungen gerade prägt. Deutschland hat Grund, dankbar zu sein für das, was Präsident Papoulias, geleistet hat in der Verbindung unserer beiden Länder über Jahrzehnte hinweg. Ich bin Ihm dankbar für die Art und Weise, wie er mir als Amtskollege begegnet ist. Und ich als Bürger, als im Krieg geborener Deutscher, bin dankbar für seine Großherzigkeit, für seine Offenheit, auch für seine Weitsicht. Dass er als Präsident den Bürgerinnen und Bürgern seines Vaterlandes Orientierung und Halt gegeben hat in einer sehr schweren Zeit, das hat in Deutschland große Achtung gefunden.
Erlauben Sie mir, liebe Anwesende, zu Schluss noch einmal Bezug zu nehmen auf unseren gemeinsamen Besuch in Lingiades. Ich wiederhole meine Worte, weil sie etwas beschreiben, was Präsident Papoulias und mir, wichtig war, damals und auch gewiss wichtig ist heute, in Zeiten, in denen Demokraten vor neuen Herausforderungen stehen.
"Wenn wir Erinnerungswege beschreiten, dann nicht, weil wir auf die Vergangenheit fixiert wären. Auch nicht, weil wir noch in ihrem Bann stehen. Aber wir schauen auf die Vergangenheit, um ihre Botschaft für die Gegenwart und Zukunft zu vernehmen: Vergesst niemals, dass Ihr wählen könnt zwischen Böse und Gut. Schützt und schätzt den Frieden. Lasst allen Menschen ihre Würde und ihre Rechte. Und schließlich: Achtet und sucht die Wahrheit. Sie ist eine Schwester der Versöhnung."
Ich gratuliere zur Verleihung des Ehrenrings und freue mich, dass ich ihnen allen heute erneut begegnen darf!