Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Pressekonferenz Exilmuseum zum Archtekturwettbewerb

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In der ersten Reihe sitzen während der Pressekonferenz Herta Müller, Joachim Gauck und Bernd Schultz

©Till Budde

Herta Müller, Joachim Gauck und Bernd Schultz bei der Pressekonferenz

Ansprache anlässlich des Architekturwettbewerbs des Exilmuseums

14. August 2020, Berlin

Am 14. August 2020 wurde auf einer Pressekonferenz das Ergebnis des Realisierungswettbewerbs für das künftige Exilmuseum in Berlin bekannt gegeben. Vor der Vorstellung des Siegerentwurfs von Dorte Mandrup hielten Herta Müller und Joachim Gauck, die gemeinsam die Schirmherrschaft über die Stiftung Exilmuseum inne haben, eine Ansprache zur Bedeutung dieser Initiative aus der Berliner Bürgerschaft.

 

Änderung vorbehalten.

Es gilt das gesprochene Wort.

Es ist mir eine große Freude heute an diesem schönen Sommertag bei Ihnen zu sein. Meine Freude ist deshalb so groß, weil wir nun gemeinsam an einem bedeutenden Schritt eines Projektes teilhaben werden, dass noch im Werden ist. Wir haben teil, wie aus einer Idee, ein besonderer Ort werden kann.

Aber gestatten Sie mir, dass ich zunächst etwas aushole: Vor über 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg und Deutschland wurde durch die alliierten Streitkräfte vom mörderischen System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft befreit. Damit greife ich eine Formulierung auf, mit der Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag, also vor über 35 Jahren, den nachhaltigen Wandel der Erinnerungskultur im Westen Deutschlands besiegelte.

Vor mehr als 75 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde auch das Konzentrationslager Ausschwitz durch Soldaten der Roten Armee befreit. Und seit bald 25 Jahren wird im Deutschen Bundestag und an zahlreichen anderen Orten an diesen Tag an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht.

Das Erinnern ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft geworden. Sie alle wissen, dies war nicht immer so und es hat Jahrzehnte gebraucht, bis sich bei der Mehrheit der Gesellschaft die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass das Verschweigen von Verstrickung, die Leugnung von Verbrechen und eigener Schuld schädlich für den seelischen wie den politischen Wandel sind. Im Rückblick ist es beschämend, wie lange es gedauert hat, bis das Selbstmitleid allzu vieler Deutscher durch Empathie und Sympathie mit den Opfern ersetzt wurde.

Im Laufe der Zeit hat Deutschland-West, wie später auch das wiedervereinigte Deutschland, die Konfrontation mit den Verbrechen der Vergangenheit zu einem Kernbestand seiner Geschichtserzählung gemacht. Die Mehrheit der Deutschen hatte begriffen, wir sind immer auch das, was wir einmal waren. Und was bei den einen Anerkennung der Fakten, Erschrecken Scham oder Trauer auslöste, reizte andere zu trotzigem Verharren in Empathielosigkeit. So waren die vergangenen Jahrzehnte nicht nur die Zeit eines moralischen und politischen Fortschritts sondern auch Jahre geschichtspolitischer Auseinandersetzungen. Auch dadurch sind wir zum glaubwürdigen Partner für ein friedvolles und gleichberechtigtes Zusammenleben von Bürgern und Nationen in Europa und darüber hinaus geworden, akzeptiert sogar von vielen Opfern und ihren Nachkommen. Und nicht zu vergessen: für uns selber war der Wille, „in der Wahrheit zu leben“ deshalb befreiend, weil er uns ermöglichte, wieder Vertrauen zu uns selbst zu entwickeln.

Zugleich wissen wir auch: unser Gedenken kann zu einem Ritual erstarren, gefüllt mit stets gleichen Beschwörungsformeln. Mahnmale, Gedenkorte und –tafeln oder auch Museen allein bewahren uns nicht davor, im Hier und Heute gleichgültig zu werden. Leider müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass Populisten und Extremisten am rechten Rand unserer Gesellschaft versuchen, unsere Art des Gedenkens zu diffamieren, ja eine selbstkritische Form des Erinnerns lächerlich zu machen. Dem werden wir uns entschieden entgegenstellen.

Joachim Gauck spricht anlässlich der Pressekonferenz des Exilmuseums zur Vorstellung des Siegerentwurfs beim Architekturwettbewerb

©Till Budde

Ansprache bei der Pressekonferenz des Exilmuseums

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe aus zwei Gründen einen so großen Bogen geschlagen.

Erstens weil es uns zur Frage führt, die weniger Wohlwollende so formulieren würden: Wozu braucht es noch ein Exilmuseum, dass die individuellen Exilschicksale der NS-Zeit exemplarisch erzählen möchte? Ich finde, die eigentliche Frage lautet: warum erst jetzt?

Zweitens und dies ist bereits ein Teil der Antwort: Das Erinnern an das Menschheitsverbrechen Holocaust hat in der Vergangenheit verschiedentlich neue Formen angenommen und auch immer wieder die notwenigen Bezüge in die Gegenwart hergestellt.

So erkennen wir, dass es erst im Laufe der Zeit möglich wird, andere, neue Perspektiven auf unsere Geschichte zu entwickeln. Manche Fragen an die eigene Geschichte werden auch erst dann gestellt, wenn sie einen Bezug zum aktuellen Geschehen haben, wenn der Blick zurück, die Reflexion über das Vergangene, es vermag, Impulse bzw. Antworten für Gegenwart und Zukunft zu geben. Seit vielen Jahren sind es die Bilder von Flüchtlingen und Migranten, von Frauen, Männern und Kindern, die sich auf den Weg machen, um eine neue Heimat abseits von Verfolgung, Krieg und Gewalt, Hunger und Not zu finden, die uns bewegen und nachdenklich machen. Die Zeit ist eine andere, aber die Zeit ist geprägt von dem Leid von Millionen Menschen, die dort, wo sie beheimatet sind, nicht mehr leben können.

Dieser Gegenwartsbezug könnte ein Grund dafür sein, dass wir heute die Geschichte des stärker als es bisher gelungen ist in den Fokus rücken. Es sind Geschichten des persönlichen Verlusts, deren Dimension aber weit über das Persönliche hinausgeht. Dieses bisher viel zu wenig beachtete Drama von Vertreibung und Exil, von Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, um ihr Leben zu retten, gehört zu unserer gemeinsamen Geschichte. Wir brauchen die Erinnerung daran, um ein vollständiges Bild unserer Vergangenheit zu gewinnen.

Die unzähligen Schicksale, von denen das Exilmuseum erzählen wird, sind zunächst Anlass für das Mitgefühl gegenüber denen, die gehen mussten. Zugleich aber auch für Bewunderung über gelebte Entschlossenheit und Humanität. Ohne das Exil wäre die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts eine andere gewesen. Wir wären heute auch nicht die, die wir werden konnten, weil Einigen – viel zu Wenigen – die Flucht ins Exil gelang. Wer wären wir ohne die Frauen und Männer, die aus dem Exil zurückkehrten und mit ihrer Glaubwürdigkeit und Standfestigkeit die tiefgreifende Erneuerung unseres Landes befördert haben? Ich denke etwa an Ernst Reuter und Willy Brandt oder Fritz Bauer. Wer wären wir ohne all die Künstler und Schauspieler, die Architekten und Schriftsteller, Wissenschaftler, Unternehmer, die im Exil eine neue Existenz aufbauten und zu beachtlichen Erfolgen führten.

Dies führt auch zu einem anderem, dem individuellen Teil der Antwort, auf die Frage, warum erst jetzt ein Exilmuseum entsteht: Es braucht Personen, die es vermögen, einen neuen Schwerpunkt in der Geschichtserzählung zu setzen und im öffentlichen Diskurs zu artikulieren. Wir wissen, dass an verschiedenen Orten in Deutschland schon an das Exil erinnert wird und Exponate existieren, die von hohem Wert sind, aber wir sind der Meinung, dass hier in Berlin ganz zentral eine Schwerpunktsetzung nötig ist.

Für dieses Vorhaben brauchte es unter anderem eine hochgeschätzte Literaturnobelpreisträgerin um den Anstoß zur Gründung eines zentralen Museums zu geben. Dafür danke ich Dir, liebe Herta Müller, sehr und es ist mir eine Freude und Ehre die Schirmherrschaft über das Exilmuseum mit Dir zu teilen. Über die genaue Entstehungsgeschichte wirst Du gleich noch berichten.

Erlauben Sie mir aber bitte, dass ich meinen Dank noch erweitere. Ich bin bewegt und begeistert von dieser bürgerschaftlichen Initiative und den Personen, die dahinter stehen. Um ein so bedeutendes Vorhaben, zum Erfolg zu bringen braucht es neben der Ideengeberin viele andere engagierte Bürgerinnen und Bürger: Etwa einen Mäzen. In diesem Fall einen Kunstliebhaber, dessen bedeutende Zuwendung den finanziellen Grundstein für das Museum legte. Verehrter Bernd Schultz, Ihr nicht nur finanzielles Engagement ist beispielgebend für zivilgesellschaftliches, altruistisches Handeln und dafür werden wir Ihnen bleibend dankbar sein.

Aber auch Idee und Geld allein sind noch keine Erfolgsgaranten. Es braucht noch weitere begeisterte Menschen, die mitwirken wollen, auch solche, die es etwa vermögen, potentielle Fallstricke bei der Realisierung eines neuen Museums zu erkennen. Es braucht Menschen, die sich mit der öffentlichen Verwaltung, mit der Konzeption und Finanzierung eines Museums oder auch mit der örtlichen Kulturszene auskennen. Für all dies fanden sich ausgewiesene Spezialisten: etwa der ehemaligen Staatssekretär für Kultur in Berlin und vielfachen Vorstand von Stiftungen, André Schmitz; den Mitinitiator des Stiftungsnetzwerks Berlin, Kai Drabe; die Kulturmanagerin Ruth Ur sowie den ausgewiesenen Museumsförderer Peter Raue. Auch wissenschaftlich könnte das Projekt mit Prof. Dr. Christoph Stölzl als Gründungsdirektor und seinem Team kaum besser aufgestellt sein.

Ihnen und all den weiteren Damen und Herren, die seit Jahren viel Zeit und Herzblut in das Exilmuseums gesteckt haben, danke ich und gratuliere ganz herzlich zu diesem wichtigen Meilenstein!

Das Werden schreitet voran. Aus einer Idee wird ein Ort. Und ich bin mit Ihnen gespannt darauf, zu erfahren, wie dieser Ort einmal aussehen wird.