Dankesworte anlässlich der Verleihung des Alfred-Delp-Preises
15. September 2024, Lampertheim
Es gilt das gesprochene Wort!
Haben Sie vielen Dank für Ihre bewegenden und wertschätzenden Worte. Wenn ich heute diese besondere Auszeichnung entgegennehme, so verstehe ich sie auch als Ermutigung für all jene Menschen, die in diesen Tagen für die Freiheit, für Gerechtigkeit und für die Demokratie einstehen.
Ich danke der Stadt Lampertheim und dem Preiskomitee für diese Ehrung, die an einen Mann erinnert, dessen Mut und Entschlossenheit uns allen leuchtendes Beispiel sind: Alfred Delp.
Als Jesuitenpater, Theologe und Widerstandskämpfer war Delp ein Mensch, der sich den düstersten Mächten seiner Zeit entgegenstellte. Sein Name steht für einen unerschütterlichen Glauben an die Würde des Menschen und die Unantastbarkeit der Freiheit. Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft leistete er Widerstand gegen ein Regime, dem Menschlichkeit nichts galt und das uns bis heute die tiefsten Abgründe dessen vor Augen führt, zu dem Menschen fähig sind. Delp zahlte für seinen Mut und seine Überzeugungen mit dem Leben.
„Es sollen andere einmal besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“ Diesen Satz sprach Alfred Delp nach der Verkündigung seines Todesurteils am 11. Januar 1945.
Heute sind zahlreiche Straßen und Schulen nach Alfred Delp benannt, jüngst auch eine katholische Pfarrgemeinde hier in Lampertheim: Bürstadt, Biblis und Groß-Rohrheim sind nun Alfred-Delp-Gemeinden. Und seit 1995 ist er hier in Ihrer Stadt Ehrenbürger.
Alfred Delp lenkt unseren Blick nicht nur auf die Zeit des Nationalsozialismus, sondern zugleich auf Lichtpunkte, die uns daran erinnern, was uns als Menschen ausmacht. Wir sehen in der Person Alfred Delp einen unauslöschlichen Humanismus, einen tiefen christlichen Glauben, überragenden Mut und Standfestigkeit. Delps Geschichte und die Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus machen uns bewusst, dass Freiheit und die Achtung der Würde des Menschen keine Selbstverständlichkeit sind.
Lieber Herr von Moltke,
wenn ich Sie hier stehen und sprechen sehe, dann denke ich unweigerlich an den großen Helden des Widerstands, Ihren Vater Helmuth James Graf von Moltke. Auch er war ein Mann, der sein Leben dem Kampf gegen das Unrecht widmete und dabei das höchste persönliche Opfer brachte. Helmuth James Graf von Moltke und Alfred Delp, sie standen in jener dunklen Zeit Seite an Seite, geeint durch das Wissen, dass es Werte gibt, die über das eigene Leben hinaustragen. Diese Werte zu verteidigen, war ihre Mission, und diese Mission verbindet und verpflichtet uns über die Generationen hinweg.
Dass Sie mir heute den Alfred-Delp-Preis verleihen, erfüllt mich vor allem mit Demut. Alfred Delp erinnert uns daran, wie kostbar die Demokratie ist und führt uns zugleich Ihre Gefährdung und Zerbrechlichkeit vor Augen. Seine Geschichte lehrt uns, dass Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich sind, sondern immer wieder aufs Neue errungen, verteidigt und bewahrt werden müssen.
Bis zu meinem 50. Geburtstag erlebte ich in der DDR hautnah, was es bedeutet, in einem System zu leben, das die Freiheit unterdrückt und das Recht missachtet.
Ich erlebte, was Angst und Ohnmacht, das Gefühl der Ausweglosigkeit, mit Menschen machen kann. Doch ich erlebte auch, wie Menschen ihre Angst überwanden, wie sie den Mut fassten, der sich schließlich in der Friedlichen Revolution von 1989 Bahn brach. Diese Erfahrung hat mich geprägt und mir gezeigt, dass es immer Hoffnung gibt, solange es Menschen gibt, die sich einsetzen, die Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen und sich engagieren.
Verehrte Damen und Herren,
in einer Zeit, da Europa durch einen brutalen Angriffskrieg herausgefordert ist, gewinnt das Lebenszeugnis von aktivem Widerstand zusätzlich Bedeutung. Wir erkennen daran, dass es eine menschliche Möglichkeit ist, Ängste zu überwinden und im Kampf für das Gute Mut und Tatkraft zu gewinnen.
Wir blicken in diesen Tagen vor allem in den Osten Deutschlands und auf die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. In Thüringen wurde die rechtsextremistische AfD stärkste Kraft und kann wohl auch ohne Regierungsbeteiligung in grundlegenden Fragen politischen Einfluss nehmen. Bei den Landtagswahlen in Sachsen wurde die CDU nur knapp stärkste Kraft , die AfD folgt direkt dahinter.
Doch nicht nur in Ostdeutschland sind populistische Verführer populär. Weltweit sehen wir die Feinde der Demokratie auf dem Vormarsch. Sie setzen auf die Verbreitung von Hass und Lügen, auf Meinungen statt Fakten. Sie emotionalisieren und wiegeln auf, anstatt Mehrheiten für tragfähige, demokratische Lösungen zu organisieren. Sie profitieren von den Ängsten, die Gesellschaften im Umbruch, in der Transformation begleiten. Konzepte für die Zukunft sucht man bei ihnen vergebens.
Sehr verehrte Damen und Herren,
in einer Zeit, in der sich viele Menschen verunsichert fühlen, sind wir als Demokraten aufgerufen, uns stärker denn je für die Werte einsetzen, die uns verbinden und die wir lieben: für Freiheit, für Gerechtigkeit und für die Würde des Menschen, die Conditio Humana.
Wir leben in einem geeinten Europa, das nach den Schrecken des Krieges zusammengefunden hat, das unmenschliche Systeme überwunden hat, in dem, trotz der Erfolge der Populisten, Abwägung und Kompromiss an der Tagesordnung sind, in der das Recht die Macht kontrolliert und nicht das Recht des Stärkeren gilt. Unsere Demokratie lebt vom Engagement der Vielen, von der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, vom Vertrauen in die Institutionen und von der Bereitschaft, im Diskurs unterschiedliche Meinungen auszuhalten. Ohne das Verständnis für die Perspektiven anderer, ohne den Willen zum Kompromiss, können demokratische Gesellschaften nicht funktionieren.
Alfred Delp und Helmuth James Graf von Moltke stehen bis heute für eine Vision der Menschlichkeit, die in den dunkelsten Stunden unseres Kontinents Hoffnung schenkte. Sie erinnern uns daran, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist. Dass die Demokratie die einzige Staatsform ist, die Freiheit und Menschenwürde garantiert und uns Bürgerinnen und Bürgern ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.
„Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind.“ Diese Worte schrieb Alfred Delp im Gefängnis vor fast genau 80 Jahren - am 17. November 1944. Sie sind uns überliefert, weil es ihm gelang, sie aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Lassen Sie uns heute auch in Erinnerung an den Mut und die Kraft, die ihm sein tiefer Glauben schenkte, an diese Botschaft erinnern und daran,
- dass wir in der Lage sind, für die Freiheit und Würde eines jeden Menschen einzutreten,
- dass wir nicht gleichgültig werden gegenüber den Angriffen auf unsere demokratischen Werte,
- dass wir wachsam bleiben und uns den Kräften entgegenstellen, die unsere Gesellschaft spalten wollen.
Es liegt an uns, unsere Demokratie zu verteidigen – indem wir uns politisch engagieren, indem wir uns für diejenigen einsetzen, deren Stimmen nicht gehört werden.
Lassen Sie uns im Geiste von Alfred Delp gemeinsam dafür sorgen, dass sie auch in Zukunft stark und widerstandsfähig bleibt.
Vielen Dank.