Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Freiheitspreis Naumann-Stiftung

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Bundespräsident a.D. Joachim Gauck hält eine Rede - ARCHIVBILD

©Guido Bergmann - Bundesregierung

Rede in der Paulskirche - ARCHIVBILD

Verleihung des Freiheitspreises der Friedrich-Naumann-Stiftung

17. November 2018, Frankfurt/M.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich habe eine wirklich lange Rede vorbereitet, aber eigentlich möchte ich jetzt nur eine Rede aus dem Herzen heraus halten, als Dank für die wunderbaren Geschenke, die ich empfangen habe. Durch diese unerwartet sensiblen, tiefschürfenden und weitgespannten Gedanken, die mir heute geschenkt worden sind von all denen, die zu mir gesprochen haben.

Liebe Frau Beer, dass ich aus dem Munde einer FDP-Spitzenpolitikerin an das Evangelium erinnert werde, ist ein dieser Geschenke. All das hat mich zutiefst bestärkt und so lebt eigentlich jetzt in meinem Herzen eine andere Rede.

Aber wir wollen auch nachdenken und uns nicht nur glücklich fühlen in solchen Stunden der Ehrungen und Würdigungen und der schönen Rückschau, wie wir sie eben von Ihnen, lieber Herr Prof. Heuß, gehört haben. Das war schon sehr bewegend.

Aber natürlich, lieber Herr Prof. Paqué, zuerst steht ein ganz tief gefühlter Dank an Sie, an die Stiftung, an die Kuratorien, die mir diesen Preis zugesprochen haben. Und, natürlich, Herr Bürgermeister, ist es mir eine Ehre, ihn hier in der Stadt Frankfurt am Main und in der Paulskirche entgegenzunehmen. Mir sind diese Traditionen durchaus bewusst und Sie machen auch einen Teil meiner politischen Identität aus.

Wenn ich ihn von der Stiftung entgegennehme, von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, dann auch deshalb, weil ich mir vor Augen geführt habe in Ihren Berichten, mit welcher Intensität Sie auch international über die Menschenrechte nachdenken und dazu arbeiten – insbesondere wenn es um Presse- und Meinungsfreiheit geht, um das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Menschenrechten. Dort haben Sie sich engagiert, das gefällt mir. Und das ist einer der Gründe, warum ich mich freue, von Ihnen diesen Preis entgegenzunehmen.

Ich gebe natürlich zu, dass es vor ein paar Jahren, und das klang hier schon an in den Reden, leichter gewesen wäre, eine Dankesrede für einen Freiheitspreis zu halten. 2018 – das sind doch andere politische Erfahrungen und auch andere Gefühle, die in uns und um uns herum sind. 1998 oder 2008 wäre es leichter gewesen, mit Freunden der Freiheit, wie Sie es alle sind, das Lob der Freiheit zu singen. Wir fühlten uns damals eben wie die Sieger der Geschichte.

Meine Damen und Herren, das waren wir auch. Nur dass die Geschichte eben nicht am Ende ist, sondern dass Siege für die Freiheit immer wieder errungen werden müssen, egal von welcher Seite die Bedrohungen nun auch kommen.

Wir hätten damals, vor zehn oder 20 Jahren, natürlich schon gewusst, dass Freiheit immer weiter gestaltet werden muss. Das hat sich in uns eingelagert, dieses Wissen. Aber wir wären uns doch sicherer gewesen als heute, dass die Ideen einer freien und offenen Gesellschaft in Europa und in den Vereinigten Staaten und irgendwann auch weltweit zu Hause gewesen wären. Wir hätten gewusst, dass die Strahlkraft dieser Gedanken viele Länder, die diesen Weg noch nicht beschritten hatten, einladen würde, auch auf diesen Weg einzuschwenken. Das erschien uns nur eine Frage der Zeit.

Ich war als Bundespräsident 2016 bei Ihnen, bei Ihrem europäischen Zukunftskongress in Berlin. Damals standen die Zeichen schon an der Wand: Es gab den Brexit-Beschluss und es gab die Wahlen in den USA. So blickte ich bei meiner damaligen Rede auf den schon erwähnten Ralf Dahrendorf und kam auf einen Text von 1997. Er prophezeite damals, dass die Globalisierung zu einer Gegenbewegung führen würde, nämlich einerseits zu Rückzugsbewegungen, die ihr Heil im kleineren, eben im überschaubaren Nationalstaat sehen würden, vielleicht auch in einer Region. Heute, da würden wir hinzufügen, auch ein Rückzug in identitäre Bewegungen, in bestimmten Gruppen, in Bezug auf Ethnie, Geschlecht, oder andere Gruppenzugehörigkeiten.

Worum geht es dabei eigentlich? Vielleicht geht es darum, dass Leute versuchen, sich zu beheimaten. Und zwar zu beheimaten, in dem, was ihnen vertraut ist. Beheimatung im Vertrauten, im Zusammensein mit Gleichen.

Ist die Freiheit so verunsichernd, dass sie automatisch diesen Rückzug auslöst? Darüber haben viele Leute, Psychologen, Politikwissenschaftler und andere nachgedacht, und wir werden es weiter tun. Das Thema wird uns weiter beschäftigen.

Und noch vor einer anderen Gegenbewegung zur Globalisierung warnte Dahrendorf damals, vor 20 Jahren, nämlich vor der Gefahr, dass, "die Entwicklung zur Globalisierung und ihre sozialen Folgen eher Autoritäten als demokratischen Verfassungen Vorschub leisten". Ein Jahrhundert des Autoritarismus, so sagte er, sei keineswegs die unwahrscheinlichste Prognose für das 21. Jahrhundert.

Wir neigen uns nochmal mit großem Respekt vor Ralf Dahrendorf, den wir schmerzlich vermissen in dieser Zeit der wichtigen Debatten um Liberalität. Das Epitheton "liberaler Vordenker" war schon fast zu einem Namensbestandteil geworden für ihn. Es zeigt sich nochmal, wie berechtigt diese Bezeichnung war.

Jedenfalls hätte er uns immer vor Selbstzufriedenheit gewarnt und diese angeblich zwangsläufige Entwicklung hin zur Freiheit mit seinen Fragezeichen versehen.

Und tatsächlich haben uns nun die letzten Jahre unsanfter, als wir uns das wirklich gewünscht haben, daran erinnert, dass Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte in ihrem Bestand eben nie ein für alle Mal gesichert sind und nicht automatisch immer zur weiterer Blüte gelangen. All diese Errungenschaften, wir wissen es, wir ahnen es, wir befürchten es, sie können sich auch zurückentwickeln. Demokratien, so hat es ein kluger Mensch einmal gesagt, von dem wir alle viel gelernt haben, bieten den unglaublichen Vorteil, dass man Regierungen ohne Gewalt friedlich loswerden kann. Aber sie bieten auch die Gefahr, dass auf ganz demokratischem Wege das ausgehöhlt wird, was geschaffen worden ist an Demokratie. Es lässt sich abschaffen, eigenständig, eigenhändig und ganz ohne Gewalt.

Ich spreche hier heute bei einer Stiftung und im Kreise von Menschen, die sich der freien Demokratie in ganz besonderer Weise verpflichtet fühlt, die den politischen Liberalismus in Deutschland mit seinen unterschiedlichen Akzenten gestalten. In vielen Ihrer Bemühungen fühle ich mich Ihnen nahe. Besonders wenn Sie mitunter ganz gegen den Zeitgeist, gegen das Populäre und auch gegen demoskopische Trends wachsame Hüter sind für den Freiraum des Einzelnen und die Selbstentfaltung in den unterschiedlichen Lebensbereichen.

Wir sind aber auch jenseits des parteipolitischen Liberalismus verbunden mit allen Menschen in unserem Land, die als Demokraten unsere liberale Ordnung bewahren und mit Leben erfüllen wollen. Wir alle, die wir Ja sagen zu bürgerlicher Verantwortung und Ja zu unserer demokratischen Gesellschaft, wir sind Freunde der Freiheit. Und so spreche ich Sie heute alle an.

Ich glaube, es würde sich lohnen, wenn wir Freunde der Freiheit uns gemeinsam anschauen, wo wir vielleicht etwas zu selbstzufrieden waren in den zurückliegenden Jahrzehnten, wie ich es eingangs für mich selbst beschrieben habe. Nämlich einerseits in der allzu sicheren Annahme, dass die liberale Demokratie des Westens sich auf diesem Siegeszug befindet, und andererseits in der zu geringen Aufmerksamkeit dafür, dass dieselbe Freiheit, die wir lieben und gestalten wollen, viele Menschen mit Angst erfüllt.

Ich spreche aus eigener Erfahrung, wenn ich sage: Freiheit und Demokratie sind Sehnsuchtsziele für Menschen in Unfreiheit und Unterdrückung. Sie haben freundlicherweise das auch ausbuchstabiert, lieber Herr Heuß, als Sie verschiedenen Stationen meines Lebens nachgegangen sind.

Ich spreche ebenfalls aus eigener Erfahrung, wenn ich hinzufüge: Die Freiheit der Moderne, die den Menschen aus seiner fest umrissenen Rolle in der traditionellen Gesellschaft löst, sie schenkt ihm nicht alleine Freiheit und Unabhängigkeit, sie nimmt ihm auch so etwas wie Beheimatung, natürliche Bindung und Halt.

Tatsächlich wollten die Bürger in den kommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas das westliche, das demokratische und das freiheitliche Modell Europas. Sie gingen dafür auf die Straße, erlitten manche Diskriminierung und einige wanderten sogar ins Gefängnis.

Doch sobald die heiß ersehnte Freiheit dann Wirklichkeit geworden war, fühlten sich viele unter den Sehnsüchtigen überfordert und einsam. Rat- und hilflos standen viele von ihnen vor dieser Vielzahl von Möglichkeiten, und sie fürchteten die Übernahme von Verantwortung.

Haben wir, wenn wir mit leuchtenden Augen von der Freiheit schwärmten, die ambivalenten Gefühle derer, die in der Freiheit bestehen müssen, eigentlich immer ausreichend berücksichtigt?

Ich würde für mich sagen: Nein. Wir müssen uns klarmachen: die Globalisierung, die Digitalisierung oder andere große Veränderungen, die gerade erst beginnen, bringen uns allen eine ganz große Vielzahl neuer Möglichkeiten. Aber die Vielzahl der Möglichkeiten ist eben nicht verbunden mit dem Glück über eine vielfache schöne Auswahl zu verfügen. Freiheit umfasst eben auch eine Zukunft, die, weil sie nicht von dominanten Eliten, einem starken Fürsten oder einem vielleicht einem „guten“ Diktator gestaltet wird, Verunsicherndes enthält, auch Befremdliches, manchmal sogar Bedrohliches.

Offenkundig empfanden und empfinden viele von denen, die sich nach Freiheit gesehnt haben, nicht Glück und Ermächtigung, sondern Gefühle von Fremdheit und Überforderung.

Unsicherheit ist für viele Menschen der Beginn eines Entwicklungssprungs, weil sie sich herausgefordert sehen, weil sie positiv denken und aktiv gestalten können und wollen. Aber als Gesellschaft müssen wir auch erkennen: Der Innovationsdruck in Kombination mit Enttraditionalisierung ist für immer mehr Menschen unerträglich. Risikokompetenz und Sicherheitsbedürfnis sind asymmetrisch verteilt, so sagt es der Mentalitätsforscher Hartmut Böhne.

Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Es ist eine ganz normale Entwicklung auf dem Weg zur Freiheit, diese Ambivalenz zu sehen, und oftmals gerade auch in Feierstunden möchte man keine Ambivalenz, sondern eine Eindeutigkeit, die Eindeutigkeit einer überströmenden Freude. Aber zu unserem Realitätssinn gehört der Blick auf die Ambivalenzen unseres Lebens. Wir müssen dann eben erkennen: Ja, die einen sind Nutznießer einer Entwicklung, die sie beherrschen lernen und die neue Möglichkeiten verspricht, und die anderen, sie fühlen sich von Abstieg bedroht und fühlen sich überfordert. Sie könnten die Verlierer sein, materiell, kulturell, und das fürchten sie. Furcht wird immer beackert, das ist ein Feld, auf dem viele tätig sind, und wir hörten es heute mehrfach, die Populisten zuallererst.

Einige von den Verunsicherten folgen dann den politischen Verführern. Wir wollen gerade auch angesichts dieses Nutzens der Ängste die Angststrategien der Verführer deutlich machen.

Ambivalenz, wie wir sie feststellen, kann uns nicht daran hindern, das, was gestaltbar ist, zu gestalten. Unsere schöpferischen Potenziale wollen ins Leben treten. Wir wollen erkennen, dass Wandel ein Element von Zukunft ist und dass es ohne Wandel keine Zukunft gibt. Dazu gehört eben, dass wir diese Ängste nicht leugnen, sie durchaus ernstnehmen, aber ihnen nicht folgen.

Viele hier im Saal werden das erkannt haben in ihrem Leben, deshalb sind Sie aktive Demokraten geworden. Aber vielleicht haben wir, wenn ich uns erneut als parteiübergreifende Freunde der Freiheit ansprechen darf, generell bisweilen unterschätzt, dass Menschen, um sich mit dem Wandel anzufreunden, technologischer Wandel, wirtschaftlicher, kultureller oder politischer Wandel, Zeit brauchen und Möglichkeiten der Einübung in ihr Leben, um ihn zu integrieren in ihr Leben.

Das sollten wir auch sehen, wenn wir auf die Transformationsgesellschaften in Mittel- und Osteuropa schauen. Zu bestimmten Positionen der Freiheit oder auch unseres Rechtsstaates oder zu bestimmten kulturellen Errungenschaften wird im Osten Europas weniger deutlich Ja gesagt. Aber, meine Damen und Herren, das ist kein Charaktermangel. Sondern es ist der Mangel an Zeit der Einübung in die Demokratie, in ihre Ambivalenz, in ihre Fähigkeit, Debatten zu führen, bevor Entscheidungen gefällt werden. In ihre Fähigkeit, dass nicht nur schwarz-weiß die Wirklichkeit widerspiegelt, sondern ein differenziertes Meinungsbild wachsen kann, und dass uns das überhaupt nicht bedroht. All das will eingeübt sein, und das dauert Jahrzehnte. Und Sie im Westen hatten diese Einübungszeit in vielen Jahrzehnten. Die fehlt Mittelosteuropa und darum ist die politische Kultur in einigen Teilen eben immer noch anders.

In dieser Übergangszeit gibt es auch diese Faktoren der Unsicherheit. Übrigens nicht nur da, sondern wir sehen es auch in den etablierten Gesellschaften hier im Südwesten Deutschlands, im Süden, oder auch in Skandinavien. Das zeigt doch, dass die Moderne nicht jeden einlädt, seine Potenziale an Ermächtigung auszuschöpfen, sondern dass Gefühle von Ohnmacht und Resignation im politischen Raum so existieren, wie bei manchen Individuen Flucht in eine Krankheit existiert, um vor der harten Realität auszuweichen. Es ist durchaus festzustellen, dass es in allen möglichen Gesellschaftsschichten eine Flucht gibt in Gefühle der Ohnmacht, damit der Resignation, und das kann dann zu Wut und Aggression führen. Das erleben wir gerade.

Dies gilt besonders dann, wenn sich so vieles ändert und wenn sich so vieles so schnell ändert, wie es gerade heute ist. Da denken wir nicht daran, dass wir das nicht zum ersten Mal erleben. Aber wir sollten uns mal erinnern, auf den Weg zurück machen zum Beispiel ins ausgehende Mittelalter. Denken Sie mal, was die Menschen gefühlt haben mussten, als die Kopernikanische Wende dieses alte antike über Generationsketten festgefügte Weltbild der Menschen veränderte.

Oder der Beginn des Maschinenzeitalters. Die Menschen fragten sich: "Was wir mit unseren Händen schaffen, das ist gar nichts mehr wert? Metallene Ungetüme sollen ersetzen, was Generationen vor uns mit ihren Händen geschaffen haben? Das kann ja nur das Ende der Kultur sein." Und so wollten viele Menschen alle Maschinen kaputthauen. Unsicherheit war das Gefühl. Kulturell liebte man dann die Romantik. Natürlich ist es schön, romantische Musik zu hören. Auch ein romantisches Gedicht ist nicht schlecht. Aber Romantik in der Politik, ein urdeutscher Zug, über den könnte ich ganze Vorlesungen halten.

Alles eine Antwort auf die Verunsicherungen der Moderne, auf die Herausforderungen, die auf uns zukommen, wenn wir uns als Gestalter begreifen müssen. Wenn wir daran denken, dass unser Industriezeitalter, wie wir es kennen, abgelöst wird durch das Informationszeitalter, mit der weltweiten Vernetzung, mit diesen ganzen technologischen Ungetümen. Auch Daniela und ich haben manche trübe Stunde, weil ein tägliches Scheitern in dieser Beziehung unsere Lebenswege begleitet.

Und dann gibt es noch die ganzen Überlegungen mit der künstlichen Intelligenz. Da mag man sich fragen: Was wird, wenn die Computer uns regieren und wir nicht mehr sie? Was wird aus dem Menschen? Wie ist sein Selbstverständnis in der Zukunft? Welche Rolle wird er überhaupt in der Welt spielen? Wird er noch die Maschinen beherrschen oder sie ihn? Wir stehen, so urteilte der kürzlich verstorbene Soziologe und moderne Forscher Zygmunt Bauman, vor Herausforderungen, die in der Geschichte ohne Beispiel sind.

Das kann uns auch erklären, warum so viele Menschen in einer Unübersichtlichkeit leben und das einstige Sehnsuchtsziel Freiheit viele Menschen eben verunsichert und manche abschreckt. Das ist die Situation, die uns als Herausforderung vor den Füßen liegt.

Manchmal stehen wir selber vor diesen verführerischen Fragen, wenn irgendwelche populistischen Alleskönner uns einladen, doch dieser "überbordenden Freiheit", wie sie es nennen, Lebewohl zu sagen. Sie sagen uns, wir könnten uns doch aufmachen, die schönen Dinge wie früher wieder zu errichten, etwa einen überschaubaren, homogenen Nationalstaat. Und wir müssten auch nicht für alle Dinge unseres Lebens selber Verantwortung übernehmen. Wir könnten uns schon von geeigneten Führungspersönlichkeiten auch sagen lassen, wo es langgeht, und das Leben nicht nur im gefahrvollen Freien der freien Selbstbestimmung fristen.

Das ist natürlich eine Verlockung. Es ist ein Rauschmittel, das angeboten wird und relativ billig zu haben ist. Dieses Element von Einladung in eine Inferiorität sollten wir wahrnehmen und es bewusst ablehnen.

Merkwürdig, meine Damen und Herren, wie früh scharfsichtige Denker die Probleme, die mit der Freiheit über uns kommt, mit der Freiheit, die wir ersehnt haben und immer wieder ersehnen, gesehen haben. Schon im 19. Jahrhundert nannte der Philosoph Søren Kierkegaard Angst den "Schwindel der Freiheit". Jene Freiheit, die ebenso viele Möglichkeiten zum Guten und Schlechten in sich birgt, die uns dann manchmal schwindlig macht, die Ängste weckt und Ernüchterung bringt über die liberale Demokratie.

Diese Ernüchterung macht sich in Teilen unserer Bevölkerung breit, ebenso wie das Misstrauen, das oft daraus folgt, gegenüber Regierungen oder gegenüber traditionellen Parteien, von denen sich viele Bürger gar nicht mehr vertreten sehen. Wenn dazu eine Enttäuschung über eine Ordnung kommt, die den Bürgern weniger Einfluss und weniger orientierende Beheimatung gibt als diese sich das einst erhofft hatten, dann haben wir eine schwierige Zeit, und die ist jetzt.

Und bei den meisten dieser Menschen, die verunsichert oder unzufrieden sind, handelt es sich, das wollen wir auch sehen und nüchtern bleiben, um enttäuschte Demokraten. Sie befinden sich in einem Dickicht aus Ängsten und Unsicherheiten. Aber es sind nicht Feinde der Demokratie. Ich stütze mich da auf eine Studie der Bertelsmann Stiftung von Mitte des letzten Jahres.

Die Chancen, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, stehen also nicht schlecht. Man muss sich immer wieder in verschiedenen Etappen seines Lebens klarmachen, dass wir denen, die uns Angst machen wollen, nicht noch zusätzlich unsere Angst schenken müssen. Das wollen wir nicht tun. Indem wir sie ernstnehmen, geben wir unsere Potenziale nicht billig auf dem Markt der Eitelkeiten preis.

Also müssen wir auch ein bisschen praktisch denken. Wie können wir dafür sorgen, dass Menschen sich neu beheimateten in dieser unübersichtlichen gesellschaftlichen Situation?

Einmal sollten wir schon sehen: Es kann nicht einfach hingenommen werden, wenn in Europa, wenn in der Welt, wenn bei uns ein Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Schichten zu beobachten ist. Wir haben andere Traditionen als in den Vereinigten Staaten. Aber wenn solche Elemente auftauchen in Europa, sollen wir es sehen und darauf reagieren. Gelingt es der Politik in Europa, die verschiedenen Teile der Bevölkerungen im Blick zu halten und ihre unterschiedlichen sozialen und kulturellen Interessen zu berücksichtigen? Daran können wir arbeiten. Da werden Ideen entwickelt. Sie haben vorhin Ihre Einrichtung, die Stiftung, als eine Denkfabrik bezeichnet. Wir wollen, wenn wir denken, auch Ziele definieren, auf die es sich lohnt hinzudenken, und nicht nur Ornamente machen für unsere intellektuellen Debatten. Ornamente haben wir genug. Verständliche Sprache in der Politik haben wir zu wenig.

Zu dieser Gefahr des Auseinanderdriftens gehört natürlich auch, dass wir im eigenen Land Gegenden anschauen, wo die Leute allerhand Beispiele bringen können dafür, dass es ihnen schlechter geht als anderswo. Es ist nicht nur in Ostdeutschland, aber in vielen ostdeutschen Gebieten und Gemeinden sind die Einwohner in einer besonderen schwierigen Situation, weil ihre Fabriken einst dicht gemacht wurden und das letzte Geschäft oder die Gaststätte geschlossen hat, das erleben wir auch in Teilen des Westens. Manchmal kann man das Ja zur Demokratie auch dadurch stabilisieren, dass man in einer Kommune auf dem Land eben die letzte Busverbindung nicht auch noch abstellt, sondern sie einfach existieren lässt und da als Politik das nötige Geld auch aufbringt.

Dann wünsche ich mir natürlich auch, dass der eine oder andere Arzt nicht nur an den Universitäten, sondern auch in der Fläche sich ansiedelt, um dort nah den Menschen zu sein, die ihn selbstverständlich brauchen.

Manchmal sind es solche ganz praktischen Dinge. Ich sprach über die Gefahr der Entheimatung und der Beziehungslosigkeit. Viele praktische Elemente und einige große kulturelle und politische organisieren das Gefühl der Beheimatung.

Wenn es stimmt, was von einigen Soziologen bereits prognostiziert wird und sich bereits massiv abzeichnet, dann steuern wir auf eine weitere Form von, ich scheue mich fast, dieses Wort zu nehmen, von Klassengesellschaften. Einige von Ihnen ahnen ja, dass ich kein Marxist bin, aber gelegentlich kann man den Begriff einer Klasse schon mal in die politische Debatte einbringen.

Ich sehe das im Moment so: Auf der einen Seite konstituiert sich eine neue Mittelschicht, hochqualifiziert, international vernetzt, die ganz fluid in der Wissensgesellschaft, Wirtschaft oder Kulturgesellschaft international tätig ist. Sie haben ihr Leben individualistisch auf Selbstverwirklichung angelegt, sind eigentlich überall zu Hause, in beliebigen Ländern dieser Welt. Viele sitzen hier bei uns. Das ist nicht schlecht, meine Damen und Herren, man muss sich nicht genieren, wenn man Kosmopolit ist, ja?

Aber wir müssen uns klarmachen, dass das nicht everybody’s Sache ist. Manche fühlen sich oft von diesem Wandel bedroht. Sie fühlen sich an einen Ort gebunden und sie können auch selten mit Anerkennung rechnen. Diese Gruppen sind gar nicht primär dadurch getrennt, dass sie unterschiedlich viel verdienen. Die junge Webdesign-Studentin hat sicherlich sogar weniger Geld zur Verfügung als der ländliche Angestellte, der mit Angst auf die vielfältigen Veränderungen blickt. Viel schärfer trennt sie nämlich etwas, und zwar der letztlich kulturell bedingte unterschiedliche Blick darauf, was die Veränderungen bedeuten: Ist es etwas, auf das ich mich freuen kann, auf das ich bewusst zugehe, oder ist es etwas, was ich fürchten muss, was über mich und meine Kinder und Enkel kommt, und dem ich nicht entfliehen kann?

Für die einen also bedeutet Globalisierung unkompliziertes Reisen, erweiterte Berufschancen und für die anderen Bedrohung, zum Beispiel über Verlust des Arbeitsplatzes. Die Kinder der einen fühlen sich wohl in einer internationalen Schule und die anderen erleben ethnische Konflikte in Schulen, die in sozialen Brennpunkten angesiedelt sind.

Wenn wir diese Phänomene anschauen, dann erkennen wir einen Gestaltungsauftrag an unsere Politiker. Übrigens durchaus auch an liberale Gestalterinnen und Gestalter. Auch wer als Liberaler dem Freiraum des Einzelnen besonderes Gewicht einräumt, wird sich doch die Frage erlauben, ob wir ausreichend darum bemüht sind, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht einfach nebeneinander und schon gar nicht gegeneinander, sondern miteinander leben zu lassen.

Dazu sollten wir das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit ernstnehmen ebenso wie den Wunsch nach Eingebundensein und Beheimatung. Und zugleich sollten wir die Risikokompetenz der Leute stärken, etwa indem wir Debatten für normal halten.

Auch Debatten über Migration, über schwierige Themen, bei denen leicht das Land auseinanderfallen kann. Auch Debatten über Globalisierung, über Freihandel, über die Digitalisierung. Natürlich sind das heiße Themen. Aber es gibt doch genug Menschen bei uns, die, obwohl hochgebildet, in einer Sprache sprechen können, die man unten auch versteht. An jeder Universität haben wir Gelehrte, die nicht nur mit ihren Doktoranden zu sprechen vermögen, sondern auch mit dem Erstsemester. Wo man die tiefen Geheimnisse der Mathematik, der Logik oder der Musik oder was auch immer es sei in einer Sprache dartut, die dem Einzelnen Wirklichkeit erschließt. Und unsere Politik ist nicht dann auf dem besten Standard, wenn sie international von Experten am besten verstanden wird, sondern wenn sie an der Basis der Bevölkerung sich verständlich machen kann mit einer erhellenden Vereinfachung, die sich nicht scheut, das Wort so zu gestalten, dass jedermann es verstehen kann.

Wenn Sie und die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit das große Ganze, das uns allen Gemeinsame in den Blick nehmen wollen, dann wollen wir das ganz bewusst als Arbeit am Gemeinwesen tun, nicht nur an unserer Gemeinde, die zu unserer politischen Couleur passen, die wir achten und schätzen, weil sie so sind wie wir auch. Sondern das Gemeinwesen ist es, dem wir dienen. Es ist nicht allein die Freiheit des Einzelnen, sondern die Freiheit des Einzelnen in einem freien Gemeinwesen. Und so zu denken, heißt, dem Gedanken der Solidarität den Raum einzuräumen, der ihm in unserer verfassungsmäßigen Ordnung zukommt.

Das brauchen wir natürlich besonders dann, wenn eine solche Krisenzeit in Europa ist, wie wir sie jetzt haben durch die Zuwanderung, die in Europa ja nach wie vor zu bewältigen ist. Wir haben noch nicht die Gefahr völlig gebannt, dass Parallelgesellschaften entstehen könnten. Aber wir haben die Möglichkeit, zu gestalten statt nur abzuwarten.

Gezielt sollten wir versuchen, die Sprachlosigkeit und die wachsende Distanz zwischen diesen unterschiedlichen Milieus zu durchbrechen. Und, das machen wir auch, indem wir die unterschiedlichen Generationen miteinander ins Gespräch bringen.

Dabei spreche ich als Beispiel die Stiftung an. Begabtenförderung – Supersache. Aber Begabte gibt es ja auch außerhalb des akademischen Milieus. Könnte sein, dass die Stiftung irgendwann sagt: Dies ist ein Land, in der die Duale Ausbildungsform so wichtige Erfolge erzielt hat, wo Handwerk eine so wichtige Rolle spielt. Es könnte doch sein, dass nichtakademische Akteure unserer Gesellschaft mächtig guttun würden und wir sollten sie bei unserer Arbeit nochmal stärker in den Blick nehmen.

Und zusätzlich: Ich würde gerne ein paar mehr Handwerksmeister in den deutschen Parlamenten sehen.

Das sage ich, weil es eben beitragen würde zu einer größeren Offenheit in den politischen Debatten. Wir brauchen neue Allianzen, um über bestimmte Problemlagen offen miteinander zu sprechen. Nicht nur die traditionellen Schützengräben, die wir über Jahrzehnte in der Gesellschaft ausgebaut und gepflegt haben. Und gerade von liberalen Gestaltern wünsche ich mir kreative Ideen, wie wir Menschen ermutigen können, Neues anzunehmen, politisch Neues, ökonomisch Neues, kulturell Neues, um die verschiedenen Milieus beieinander zu halten. Die werden sich immer noch streiten. Aber wenn sie gemeinsam in einem Debattenprozess sind, gehören sie zueinander. Auch im Dissens ist man aufeinander bezogen. Schlimm wird es erst, wenn wir unsere Konsense und Dissense eigentlich in je einer eigenen kulturellen Blase haben, und das ist gemeinsame Aufgabe aller Stiftungen, daran zu arbeiten, dass das nicht geschieht.

Wenn ich das eben so beschrieben habe, gibt es eine Aufgabe für uns alle, ob wir organisiert in der Politik, in der Stiftung sind oder wo auch immer wir arbeiten. Eigentlich geht es um etwas ganz Einfaches. Ich habe vorhin das "Gemein" bei Gemeinwesen unterstrichen, dass wir es schaffen, die Unterschiedlichen in Beziehung zueinander setzen. Dieses In-Beziehung-Bleiben befreit uns nicht von Konflikten, das wissen wir aus unseren individuellen Beziehungen. Eine Ehe ist eben nicht deshalb eine Ehe, weil es in ihr keinen Streit gibt, sondern sie bleibt so lange eine Ehe, wie eine lebendige Beziehung zwischen den Partnern existiert, in Freude und in Streit. So ähnlich ist das auch im gesellschaftlichen Umfeld. Die gegenteilige Vorstellung jedenfalls, dass Gemeinsamkeit in einer Gesellschaft nicht durch Verknüpfung der Unterschiedlichen, sondern durch die Entsorgung von Unterschieden garantiert sei, ist keine originelle Idee.

Der Rechtspopulismus hat diese Idee. Allein schon die Vorstellung einer homogenen Nation gegenüber diesem unübersichtlichen Europa, die von den Verführern so häufig in den schönsten Farben beschrieben wird, zeigt, dass sie nicht sachgerecht wäre.

Manchmal gibt es Unterstützung aus Zeiten, die lange, lange zurückliegen. Bereits 1777 sagte der deutsche Philosoph und Aufklärer Moses Mendelssohn Folgendes:

„Ich halte dafür, Einheit sei von Einerleiheit wohl zu unterscheiden. Diese hebt den Unterschied des Mannigfaltigen auf, jene bringt es in Verbindung. Das Einerlei steht dem Mannigfaltigen entgegen; die Einheit aber ist desto größer, je mehr Mannigfaltiges und je inniger es verknüpft wird. Wenn diese Verknüpfung des Mannigfaltigen harmonisch geschieht, so geht die Einheit in Vollkommenheit über, mit welcher sich das Einerlei gar nicht verträgt. In der vollkommensten Einheit ist eine unendliche Mannigfaltigkeit auf das wesentlich unzertrennlichste höchst übereinstimmend verknüpft, und also der höchste Grad der Vollkommenheit."

Das erschließt sich noch Jahrhunderte später als eine ganz offenkundig tiefsinnige und einfache Bezugnahme auf die Realität, die wir alle wahrnehmen oder vor der wir alle entfliehen können. Aber nicht Eskapismus ist gefragt. Und eine noch so schön arrangierte Flucht ist nicht das, was als Aufgabe vor uns steht.

Sie hier im Kreise Ihrer Stiftung haben sich die Aufgabe gegeben, liberale Formeln dafür zu finden, wie wir statt Unterschiede zu nivellieren, Mannigfaltigkeit in eine nicht antagonistische Verbindung zueinander bringen können. Und das ist eine dauerhaft schöne Aufgabe für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Das ist ein Thema für die Stiftung hier im Inland. Aber es gibt auch große Aufgaben für die Stiftung im Ausland. Bei meinen Reisen ins Ausland ist mir immer wieder begegnet, wie wunderbar das ist, dass im demokratischen Teil Deutschlands so früh die Stiftungen erdacht worden sind. Das ist ein unglaublicher Gewinn. Ich habe oft gesagt: Man müsste es erfinden, wenn es nicht schon erfunden worden wäre. Ganz besonders wichtig in den Ländern, wo die Zivilgesellschaft sich noch nicht so hat etablieren können wie bei uns.

In diesen Ländern stehen die Akteure der Stiftungen unter dem Druck sehr misstrauischer Autoritäten, und auch davon habe ich bei meinen Reisen insbesondere in Asien oder Afrika wirklich einiges mitbekommen. Mein Dank gilt jenen Frauen und Männern, die manchmal durchaus einem Druck standhalten müssen, weil sie sich in diesen Ländern in einer sehr schwierigen Position befinden. Es braucht Mut und Kraft, das durchzuhalten, und ich bin dankbar für die Menschen, die das tun.

Diese internationale Arbeit brauchen wir auch weiterhin, ebenso interessant für mich war aber auch, zu hören, dass die Naumann-Stiftung sie um innovative Elemente im Inland ergänzt. Dabei stellen wir sogar fest, dass die Grenzen zwischen Inlands- und Auslandsarbeit in diesen Zeiten verschwimmen können. So lese ich von einem Workshop der Friedrich-Naumann-Stiftung in Berlin etwa mit Journalisten im Exil – aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Sudan, die die Sonderausgabe einer Berliner Tageszeitung erstellen.

Projekte wie so etwas erscheinen mir beispielhaft zu sein für das, was politische Stiftungen in der Einwanderungsgesellschaft leisten können. Da kommen nämlich ganz neue Aufgaben auf uns zu und wir brauchen neue Formate, um in dieser herausfordernden Situation für eine neue Klientel das zu eröffnen, was in der Frühzeit der Bundesrepublik für everybody angezeigt war: ermächtigende Schritte, um als Gestalter in einer offenen Gesellschaft tätig zu werden.

Zum Schluss spreche ich die engagierten Demokratinnen und Demokraten, die ich vor mir sehe, noch einmal gemeinsam als Freunde der Freiheit an. Ich wünsche mir etwas. Ich wünsche mir, dass wir offener sind, aber zugleich entschiedener. Nicht eine Offenheit des Larifaris, des "Anything goes". Sondern ich wünsche mir eine Offenheit der Entschiedenen. Offener dafür, unsere Positionen in einer wirklich engagierten Weise in den Wettbewerb zu stellen. Auch dann, wenn die Gegenposition altmodisch erscheint, müssen wir nicht einfach nur wegschauen, sondern argumentieren.

Wir müssen auch offener dafür werden, Debatten nicht zu schnell abzuschließen. Wenn die Minderheit der politisch Aktiven sich genügend ausgetauscht hat, ist immer noch genug Zeit da, um die, die nicht politisch jeden Tag mitdiskutieren, zu erreichen, dort hinzugehen, dort präsent zu sein, mit Gefühlen, aber auch mit Argumenten. Diese Zeit muss sein, wenn die Demokratie überleben soll. Offen auch zu sein, nicht nur andere Positionen anzuhören, sondern auch andere Lebenssituationen zu verstehen, nachzuempfinden, was dieses oder jenes für jemanden bedeutet, der anders denkt, lebt oder arbeitet, als wir es hier tun. Der sich anders kleidet, der über andere Witze lacht als wir, kurzum, der nicht per se zu diesem Kreis gehört, der sich hier in der Paulskirche heute versammelt hat.

Es gibt eben auch die anderen vielfältigen Erscheinungsformen von Miteinander, an denen wir oft nicht teilhaben. Wir müssen auch nicht an ihnen teilhaben. Aber wir müssen wissen und wahrnehmen, dass sie existieren.

Wenn ich für solche Offenheit werbe, das spüren Sie schon, kann das nie ohne Entschiedenheit geschehen.

Unser Ja zu Mannigfaltigkeit und zu Toleranz bedeutet niemals, dass wir unsere Grundwerte zur Disposition stellen. Das, meine Damen und Herren, wäre natürlich keine Toleranz. Toleranz entsteht dann, wenn wir tief überzeugt sind von unseren Grundwerten und trotzdem noch offen sind für jene, die dazu Fragen oder Kritik haben.

Wir ertragen sie, wir billigen ihnen ihre Entfaltungsmöglichkeiten zu, ohne dass wir ihnen notwendigerweise in der Sache zustimmen. Das meint Toleranz. Entschiedenheit in der Sache. Entschiedenheit dafür, dass wir ein unbequemes Argument anhören, ernsthaft überprüfen, aber keine Infragestellung dessen zulassen, was wirklich für uns essentiell ist: Gewaltfreiheit, Achtung der Freiheitsrechte und der Würde des Menschen.

Wir Freunde der Freiheit sollten, um an den Anfangsgedanken anzuschließen, nicht selbstzufrieden sein, wie wir es vielleicht vor zwei Jahrzehnten noch gewesen wären. Wir sollten aber auch nicht kleinmütig werden.

Denn, das machen wir uns doch mal an diesem Feiertag ausdrücklich bewusst, nach wie vor haben wir etwas anzubieten: die Freiheit, mit all ihren verunsichernden Elementen und Fragen, mit Risiken und Angst machenden Entscheidungszwängen. Ja. Aber immer doch auch die Freiheit, ohne die dem Menschen die Entfaltung seiner Möglichkeiten, ein Leben in Verantwortung zu führen, gar nicht gegeben wäre. Das ist die Freiheit, die wir verteidigen.

Hier, bei einer Feierstunde in der Paulskirche, aber ganz gewiss draußen im Alltag wollen wir Freunde der Freiheit sein und für sie einstehen, offen, entschieden, mit Mut.

Ich danke Ihnen für die Verleihung des Preises und Ihnen allen für Ihre übermäßige Geduld.

Dankeschön.