Verleihung des Deutschen Medienpreises an Barack Obama
25. Mai 2017, Baden-Baden
Änderungen vorbehalten.
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter, lieber Präsident Obama,
mein Vorredner hat bereits eine Vielzahl von Gründen entfaltet, die Sie als einen ganz besonderen und würdigen Träger des Deutschen Medienpreises auszeichnen. Es dürfte auf der Welt nur sehr wenige Politiker geben, die ihr Land und die Welt ähnlich wie Sie, lieber Präsident Obama, in den letzten Jahren so stark geprägt haben. Es dürfte auch nur sehr wenige ausländische Politiker geben, deren Wirken in Deutschland mit so großem Interesse und mit so viel Sympathie verfolgt wurde und wird wie das Ihre.
Als Sie vor neun Jahren das erste Mal nach Deutschland kamen, haben die Berliner Sie mit großer Begeisterung empfangen – obwohl Sie als Präsident erst noch gewählt werden wollten. Sie verwiesen auf die Anfänge der deutsch-amerikanischen Partnerschaft und erzählten von der Luftbrücke, mit der die amerikanische Luftwaffe kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Blockade der Sowjets durchbrochen und die Berliner vor Hunger und Kälte bewahrt hat. "Die Geschichte hat bewiesen, – sagten Sie damals vor dem Brandenburger Tor – dass keine Herausforderung zu groß ist für eine Welt, die zusammensteht."
Was Ihnen thematisch am Herzen lag, war auch für uns Deutsche und Europäer wichtig: Die Kraft, die aus Hoffnung und die Zukunft, die aus der Gemeinschaft erwachsen. Heute möchte ich Ihnen Dank sagen für diesen Geist und für diese Haltung, die nicht nur Ihren eigenen Landsleuten, sondern auch vielen Deutsche geholfen hat, ein neues Selbstbewusstsein und ein neues Selbstvertrauen aufzubauen.
Das wiedervereinte Deutschland befand sich in Ihren Regierungsjahren, Präsident Obama, in einer historisch neuen Situation und in einer neuen Rolle. Als wirtschaftlich stärkstes und politisch stabiles Land in der Mitte Europas musste es sich nolens volens seiner gewachsenen Verantwortung bewusst werden. Es musste sich mit Erwartungen, aber auch mit Ängsten auseinandersetzen – in der eigenen Bevölkerung ebenso wie bei Nachbarn und Verbündeten. Nicht zuletzt musste Deutschland glauben lernen, zu welch friedlicher und demokratischer Politik es trotz aller Gräuel in der Vergangenheit fähig war und ist.
Damals tauchten Sie, lieber Präsident Obama, als ein Politiker auf, der nicht nur ungewöhnlich war, weil er der erste schwarze Präsident der USA wurde, sondern auch, weil Sie Ihrem Land und der Welt die Ressource Hoffnung wie selbstverständlich vor Augen stellten. Nicht aus blindem Optimismus. Nicht als idealistische Vision. Aber als etwas, das aus Politik mehr macht als ein buchhalterisches Kalkül oder als ein soziologisches Projekt. Hoffnung, sagten Sie, "ist der Glaube, dass das Schicksal nicht für uns, sondern von uns geschrieben wird, von den Männern und Frauen, die nicht zufrieden sind mit der Welt, wie sie ist, und die den Mut haben, die Welt so zu verändern, wie sie sein sollte."
Wenn ich Sie höre, Herr Präsident, wenn ich Ihr Leben, Ihr Wirken und Ihre Haltung anschaue, dann scheint es mir, als hätten Sie verinnerlicht, wozu der antike griechische Dichterphilosoph Pindar das Individuum aufforderte: "Erkenne, wer Du bist, und dann werde es."
Ja, Sie wussten, dass, wer Besseres für die Gesellschaft erreichen will, nicht nur ein Ja zu sich selbst entwickeln, sondern auch Anforderungen an sich selber stellen muss. Und ja: Sie haben daran geglaubt, dass Amerika Ihnen, Barack Obama, Möglichkeiten geben würde, weiter zu entwickeln, was in Ihnen steckt. Trotz einer dunklen Hautfarbe. Trotz der Abstammung von einem Vater, der als Kind in Kenia Ziegen hütete. Denn Ihre Eltern hatten Ihnen Amerika als Leuchtturm für Freiheit und Chancen vermittelt – und Sie wollten diese Chancen nutzen. So wurden Sie eine Person, die ein Bewusstsein des eigenen Wertes zu entwickeln vermochte und die Zutrauen zu sich selbst gewann.
Für mich und für viele andere Menschen in Deutschland sind es nicht so sehr einzelne politische Entscheidungen, die das Wesentliche Ihrer Präsidentschaft ausmachen. Ich und viele andere sehen in Ihnen, was gelingen kann. Das heißt nicht, dass Ihnen Niederlagen fremd sind und Sie ein Ingenieur der Vollkommenheit. Aber Sie sind der, der uns lehrt, dass wir viel können, wenn wir uns selbst vertrauen und einander etwas zutrauen. Sie sind der, der uns lehrt, dass die Verbesserung unserer Welt gelingen kann, wenn wir sie als Ansporn und Verpflichtung empfinden und als eine reale, in unsere Hände gelegte Lebensmöglichkeit.
Für Sie, lieber Präsident Obama, ist Freiheit nicht libertinage, nicht forcierte Egozentrik, sondern liberté. In dieser Freiheit lebt die Verantwortung der Einzelnen für das Ganze als ein Element der Stärke. Wo Verantwortung für das Gemeinwohl fehlt, wird es nach Ihrer Meinung ein Defizit an Gerechtigkeit und Gleichheit geben. Sie haben mehrfach darauf verwiesen, dass sich die Stärke eines Landes letztlich nicht an seiner militärischen Potenz und nicht an seiner wissenschaftlichen Exzellenz misst, auch nicht an seiner ökonomischen Größe, vielmehr an den Überzeugungen und Werten, die seine Bewohner miteinander verbinden.
Nein, Sie sind kein weltfremder Idealist. Aber Sie lassen sich von Idealen leiten. Sie haben den Rassismus in Ihrem Land nicht schön geredet, sondern seine fortwährende Brisanz betont. Sie wissen zwar, dass Amerika Fortschritte gemacht hat im Kampf gegen Diskriminierung und gegen die langen Schatten von Diskriminierung und Sklaverei. Aber Sie wissen auch, dass Enttäuschung und Wut und Gewalt weiter im Alltag lauern – auf unterschiedlichen Seiten der Gesellschaft. Doch wo das Erklären und die politische Vernunft an ihre Grenzen gekommen waren, wie nach dem Massaker an neun Afroamerikanern in Charleston, vermochten Sie die Einheit der Trauernden herzustellen, als Sie im Gottesdienst Amazing Grace anstimmten. Es war das, was die Menschen in dieser Situation brauchten. Und es blieb die Erfahrung: Auch in einer Tragödie kann das Einigende wachsen.
In diesem Zusammenhang wurde erneut sichtbar, dass Sie es sind, der uns lehrt, der Diskriminierung vorzubeugen, dem Anderen mit Respekt und mit Empathie zu begegnen und offen über Kränkungen und Verletzungen zu reden, damit Wut und Zorn nicht zu Gewalt werden. Sie sind der, der uns auch in Deutschland lehrt, dass Politik immer wieder den Stein des Sisyphos zu bewegen hat – als Bereitschaft, immer und immer wieder "die Lücke zwischen den Versprechen unserer Ideale und der Realität der Zeit zu schließen".
Sie haben den Roman "Solomons Lied" von Toni Morrison einmal als Ihren Lieblingsroman bezeichnet. Die Geschichte des Afroamerikaners, der auf der Suche nach einem angeblichen Familiengold auf seine Familiengeschichte stößt. Eine Geschichte auch über den Wunsch, fliegen zu können. Einen Menschen, der von einem Hochhaus springt, wird dieser Wunsch unweigerlich in den Tod reißen. Bei einem Menschen aber, der sich dem Wunsch in der Phantasie hingibt, wird eine ungeahnte Leichtigkeit in die Seele einziehen. Ja, fliegen kann der Mensch nur in Gedanken, aber Toni Morrison wusste es – so jedenfalls die Schlusszeile ihres Romans: "If you surrender to air, you could ride it!"
Nein, Präsident Obama, Sie sind kein Idealist. Aber Sie sind empfänglich für das Wort, das Sie in Gefilde führen kann, die der Seele Kraft verleihen. Auch deswegen sind Sie ein Präsident gewesen, der das Wort in einer Weise zu führen vermochte, die anderen Kraft zu geben imstande war, wenn Sie eine gemeinsame Zukunft entwarfen:
"With eyes fixed on the horizon and God’s grace upon us, we carried forth
the great gift of freedom and delivered it safely to future generations."
Vielleicht ist es diese geheimnisvolle Mischung aus politischen Themen, Wahrnehmen von Interessen, Werteorientierung und der Haltung eines Individuums, das seinen Möglichkeiten traut, was wir in Deutschland an Ihnen bewundern, und was wir brauchen. So blicken wir mit Dank und großem Respekt auf Ihren Weg und Ihr politisches Werk, das über die Jahre Ihrer Amtszeit bleibend hinausragt.
Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen zum Deutschen Medienpreis!