Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

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Gruppenfoto mit der Augsburger Oberbürgermeisterin Eva Weber, Bundespräsident a.D. Joachim Gauck, Erzbischof Reinhard Kardinal Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.

©Stadt Augsburg

Oberbürgermeisterin Eva Weber, Bundespräsident a.D. Joachim Gauck, Erzbischof Reinhard Kardinal Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (v.l.n.r.)

Laudatio beim Augsburger Friedenspreis

12. Oktober 2020, Augsburg

Der Augsburger Friedenspreis 2020 wurde an Erzbischof Reinhard Kardinal Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm verliehen. Bundespräsident a.D. Joachim Gauck würdigte die Preisträger im Rahmen einer Feierstunde im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses am 10. Oktober 2020. In seiner Laudatio sagte er: „Sie erhalten den Augsburger Friedenspreis 2020, weil Sie Vorbilder ökumenischer Verständigung sind. Es sind die christlichen Werte von Solidarität, Gerechtigkeit und auch Hoffnung, die Sie beide über die konfessionellen Unterschiede hinweg verbindet – und die Sie durch Ihre Sichtbarkeit in unsere Gesellschaft tragen.“ Der Augsburger Friedenspreis zeichnet Persönlichkeiten aus, die sich um ein tolerantes und friedvolles Miteinander von Angehörigen vielfältiger Kulturen und Religionen verdient gemacht haben.

 

Änderungen vorbehalten.

Es gilt das gesprochene Wort. 

 

Es ist mir eine große Freude heute bei Ihnen in Augsburg zu sein, hier im prächtigen Goldenen Saal des Rathauses. Und es ist mir eine große Freude, weil es dieser besondere Anlass ist, die Verleihung des Augsburger Friedenspreises 2020, der uns heute hier zusammenführt. Zur Geschichte des Preises haben Sie schon von der Oberbürgermeisterin gehört. Lassen Sie mich hinzufügen, dass der Augsburger Friedenspreis auch nach 35 Jahren ein wichtiges Zeichen in unsere Gesellschaft sendet. Wir erleben, dass Normen des  Zusammenlebens in unserer liberalen Demokratie immer stärker unter Druck geraten.  Polarisierung, Populismus und Spaltung stellen zwar Vernunft, Toleranz und respektvollen Umgang heute nicht grundsätzlich in Frage. Doch wir bemerken den Wert des gesellschaftlichen Friedens doch deutlich und wir merken auch, dass er eben nicht selbstverständlich ist. Die Werte, die Sie, lieber Landesbischof Bedford-Strohm und Sie, lieber Erzbischof Kardinal Marx, verkörpern, gewinnen so eine noch größere Bedeutung. Sie erhalten den Augsburger Friedenspreis 2020, weil Sie Vorbilder ökumenischer Verständigung sind.

Es sind die christlichen Werte von Solidarität, Gerechtigkeit und auch Hoffnung, die Sie beide über die konfessionellen Unterschiede hinweg verbindet – und die Sie durch Ihre Sichtbarkeit in unsere Gesellschaft tragen. In Ihrem ökumenischen Bemühen machen Sie immer wieder deutlich, dass unterschiedliche Ansichten, unterschiedliche Glaubens-überzeugungen einem vernünftigen Dialog, einem friedlichen Miteinander niemals im Wege stehen müssen. Sie erinnern uns damit daran, dass wir Menschen die Fähigkeit besitzen, die große Summe an Gemeinsamkeiten, die uns verbinden, bewusster wahrzunehmen und zu leben. Sie erinnern uns daran, dass Frieden kein Ist-Zustand, sondern auch theologisch gesehen ein fortwährender Prozess ist. Frieden muss immer wieder in der Gegenwart austariert, verhandelt und auch gelebt werden – von allen Menschen. Und dass wir aufeinander angewiesen sind, dass wir als Gemeinschaft nur miteinander und nicht gegeneinander unsere Gesellschaft gestalten können, haben uns nicht zuletzt die vergangenen Monate auf drastische Art und Weise gezeigt: Am eigenen Leib haben wir erfahren müssen, wie verletzlich wir einerseits und wie sehr  verbunden wir andererseits sind. Vom Händedruck über die Familienfeier bis hin zu größeren Veranstaltungen, in Privatleben oder Beruf: Die Corona-Pandemie fordert alle Menschen, Staat, Gesellschaft und auch die Kirchen heraus. Und ich gebe zu, dass es mich selbst bis heute irritiert, dass sich die Verbundenheit miteinander in diesen Zeiten am besten durch physischen Abstand als Zeichen der Rücksicht zum Ausdruck bringen lässt. So findet die Verleihung des Augsburger Friedenspreises nun auch unter besonderen Bedingungen statt, die uns die Pandemie weiterhin auferlegt. Ich grüße daher alle Zuschauer ebenso herzlich, die nicht hier im Goldenen Saal sein können, aber über den Livestream mit uns verbunden sind. Seien Sie uns herzlich willkommen!

Sehr geehrter Landesbischof Bedford-Strohm, sehr geehrter Erzbischof Kardinal Marx,

liebe Friedenspreisträger 2020,

„Es gibt was zu feiern“ - so haben Sie einen gemeinsam verfassten Artikel in einer großen Wochenzeitung zum 500-jährigen Reformationsjubiläum vor fast genau drei Jahren überschrieben. Und was wäre ein besserer Grund zu feiern, wenn nicht Frieden und Versöhnung? Ihr Wirken und Ihre Bemühungen haben ganz wesentlich dazu beigetragen, dass dieses Jubiläum nicht alte Wunden zwischen Katholiken und Protestanten aufgerissen, sondern der tieferen Versöhnung den Weg geebnet hat. Zwischen Ihnen beiden ist dabei etwas ganz Beglückendes geschehen: Über die Jahre der ökumenischen Begegnungen und Bemühungen ist eine persönliche Freundschaft entstanden, die auf gegenseitigem Vertrauen und theologischer Wertschätzung basiert. Auch auf gegenseitigem Respekt und Toleranz – nämlich dort, wo Sie Unterschiede feststellen.

Ein Journalist hat einmal gefragt, ob es Sie beide denn auch einzeln gebe. Das war natürlich scherzhaft gemeint, denn niemand würde auf die Idee kommen, Sie beide zu verwechseln. Aber es ist eben ein wichtiges Zeichen: Die Kirchen stehen zusammen, in wichtigen Fragen, für die Gläubigen und ihre Anliegen.

Und das hat eine weiter reichende Bedeutung: Aus der Freundschaft, dem zwischen Ihnen gewachsenen Vertrauen, haben Sie ein tiefes gemeinsames Grundverständnis entwickelt, das ausstrahlt, nicht zuletzt auf die Kirchen, denen Sie angehören. „Wir verpflichten uns, wo immer es möglich ist, gemeinsam zu handeln und einander aktiv zu unterstützen“, so haben Sie es beide betont. Als Ziel haben Sie die Versöhnung nach Jahrhunderten der Spaltung ausgegeben – ohne allerdings die Unterschiede einzuebnen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ökumene bedeutet ein gegenseitiges Geben und Nehmen, einen Austausch der Gaben. So sagte es auch Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika „Ut Unum Sint“ von 1995. Von diesem Geben und Nehmen sind Ihre Bemühungen geprägt, liebe Friedenspreisträger. Sie sehen die theologische Vielfalt, die ja fortbesteht, als ein Geschenk, als einen Reichtum, der einen gemeinsamen Urgrund hat: Jesus Christus. Und es ist dieser Christus, der Ihnen erlaubt, trotz unterschiedlicher Lehrmeinungen einen gemeinsamen Weg zu verfolgen. „Einheit in Vielfalt“ ist damit nicht nur Weg und Ziel Ihrer ökumenischen und auch interreligiösen Bemühungen. Es ist eine Glaubensüberzeugung und Hoffnung, die uns auch gesamtgesellschaftlich Orientierung geben kann. Nicht umsonst ist „Einheit in Vielfalt“ auch der Leitspruch der Europäischen Union. Ich glaube, dass wir die Kirchen, die diesen Weg und dieses Ziel leben, mehr denn je brauchen. Ich habe es beim Ökumenischen Buß- und Versöhnungsgottesdienstes 2017 in Hildesheim bereits betont: „Dieses Land hat wahrlich glaubenslose Systeme gehabt. Aber die haben dieses Land nie besser gemacht. Sie haben nie mehr Menschlichkeit, nie mehr Gerechtigkeit, nie mehr Weisheit und nie mehr Nächstenliebe erzeugen können. Deshalb ist dieser christliche Glaube auch nicht nur für die Christen gut, sondern für unser ganzes Land, für alle Menschen, die hier leben. Wir alle, alle Bürgerinnen und Bürger, haben etwas davon, wenn sich die Christen ihrer Rolle bewusst machen und durch gelebte Ökumene, durch ökumenische Bemühungen vorleben, wie Einheit in Vielfalt in einer Gesellschaft funktionieren kann.”

Ihnen beiden möchte ich für Ihren Einsatz ganz herzlich danken. Sie zeigen, dass die Ökumene lebt. Sie zeigen, dass Unterschiede nicht zu Abgrenzung und Polarisierung führen müssen. Im Gegenteil: Durch zahllose gemeinsame Auftritte, Reisen und Veranstaltungen haben Sie den Austausch zwischen Christen unterschiedlicher Konfessionen sichtbar und erlebbar gemacht.

Auch wenn die gemeinsamen öffentlichen Auftritte nach Ihrem Ausscheiden als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, lieber Kardinal Marx, wohl abnehmen werden, ich bin mir sicher: Die Botschaft der Ökumene wird bleiben, ebenso wie die Freundschaft zwischen Ihnen fortbesteht.

Ich habe gehört, dass Sie für die Feier des Weihnachtsfestes in München in diesem Jahr an gemeinsamen Plänen arbeiten. „Einheit in Vielfalt“ ist natürlich nicht gleichbedeutend mit Vereinheitlichung. Und so möchte ich Sie beide, lieber Bischof Bedford-Strohm und lieber Kardinal Marx nicht nur gemeinsam würdigen, sondern auch noch einmal persönlich ansprechen.

 

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck trägt seine Laudatio auf die Friedenspreisträger vor.

©Ruth Plössel / Stadt Augsburg

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck bei der Laudatio

Sehr geehrter, lieber Landesbischof Bedford-Strohm,

Sie haben es einmal als „Skandal“ bezeichnet, dass die Kirche Jesu Christi in Einzelkirchen aufgeteilt ist. „Christus kennt keine konfessionellen Grenzen. Es gibt eben keinen katholischen oder evangelischen Christus. Es gibt nur den einen Herrn, Jesus Christus, der führt uns zusammen, und deswegen kann es gar nichts anderes geben, als dass wir als Christinnen und Christen alles tun, um diese Grenzen zu überwinden“, so Ihre Worte. Es ist Ihrem tiefen Glauben zu verdanken, dass Sie diese Überzeugung so selbstverständlich vermitteln. Und es ist Ihrem herzlichen und doch direkten Wesen zu verdanken, dass Sie derart klare Worte finden und öffentlich äußern. Dass Sie dazu noch ein Mann der Tat sind, der sich auch nicht von Kritikern von seinem christlichen Bemühen um Mitmenschlichkeit abbringen lässt, haben Sie in der Vergangenheit oft unter Beweis gestellt. Ihr Einsatz für Flüchtlinge in der Seenotrettung, eine humanitäre Selbstverständlichkeit, führte dazu, dass Sie Morddrohungen erhielten. Diese Art von Verrohung ist wirklich inakzeptabel für unser Land und wir haben in Deutschland schmerzlich erfahren müssen, dass es nicht nur bei Drohungen bleibt. Dies hat Sie aber nicht von Ihrem Weg und der Überzeugung abgehalten, dass Menschen in Not geholfen werden muss. Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit, das war und ist der Auftrag, den Sie auch gegen Widerstände immer wieder umzusetzen versuchen. „Unser Handeln ist aber nicht abhängig vom Maß der Kritik oder Zustimmung. Das hat nichts mit politischem Aktivismus zu tun, sondern mit dem Kern christlichen Glaubens und Handelns“, so lautete Ihre Reaktion auf kritische Einwände.

Diese tiefe innere Überzeugung, dieser starke Glaube, der auf die Menschen ausstrahlt, macht Sie in Wort und Tat authentisch. Dabei lassen Sie sich nicht von einem persönlichen Wunsch oder einer naiven Idee leiten. Ihre Überzeugung fußt auf guten Argumenten, auf intensiver, theologischer Auseinandersetzung und einem christlichen Weitblick mit der Perspektive der Hoffnung. Ihre langjährige wissenschaftliche Tätigkeit in Bamberg, Heidelberg und New York hat Sie geprägt. Dabei haben Sie sich insbesondere mit Fragen der Gerechtigkeit und des sozialen Zusammenhalts beschäftigt.

Auch im Bereich des Glaubens durchdringen Sie die Inhalte und Vorstellungen mit der Vernunft, finden Argumente und beweisen damit immer wieder aufs Neue: Es gibt vernünftige Gründe, zu glauben. Es gibt gute Gründe, dass wir uns auf diesen gemeinsamen Glauben besinnen. Und dieser Glaube erfüllt sich vornehmlich in Mitmenschlichkeit, Barmherzigkeit und Solidarität. Dass diese  Mitmenschlichkeit und dieser Einsatz füreinander trotzdem stets die Freiheit des Anderen wahren muss, haben Sie nicht nur in Ihrer Habilitationsschrift bearbeitet. Ihre Interventionen als Bischof und Ratsvorsitzender der EKD bereichern die öffentlichen Debatten um ethische und politische Schwerpunktthemen.

Wir sind Ihnen dankbar, dass Ihr Lebensraum nicht irgendein stiller Winkel christlicher Intellektualität ist, sondern die Agora, auf der die Themen und Entscheidungen debattiert werden, die für das Land und seine Menschen wichtig sind.

Sehr geehrter, lieber Kardinal Marx,

auch Sie stehen für klare Worte – vermutlich nicht nur, weil Sie gebürtiger Westfale sind. Sie scheuen sich nicht, politisch schwierige Themen anzuschneiden und schaffen es dabei gleichzeitig eine christliche, mitfühlende Perspektive in unsere Gesellschaft zu tragen. Sehr oft ist eine Ihrer tragenden Überzeugungen deutlich geworden, die Sie in Ihrem neuen Buch „Freiheit“ so ausdrücken: „Ein freier Mensch sollte den Mut zum je neuen Aufbruch haben und den Möglichkeiten Gottes vertrauen.“ Mit Bedauern habe ich Ihren Rücktritt als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz zur Kenntnis genommen. Denn Sie haben als Vorsitzender der Bischofskonferenz neue Wege eingeschlagen, haben Mitbrüder und Gläubige herausgefordert, um auch auf unbequemen Wegen Versöhnung, Frieden und Dialog zu fördern. Der durch Sie noch ins Leben gerufene Synodale Weg kann wohl als ein besonders großes und nicht weniger wagemutiges Versöhnungsprojekt gedeutet werden. Der Balanceakt von Loyalität und Treue zu Ihrer Kirche sowie Respekt und Verständnis für eine Welt in beständigem Wandel prägt Ihr Amt und Ihren Dienst bis heute. Ein fröhliches Gemüt bei gleichzeitiger Ernsthaftigkeit in der Sache, Reformwille und Traditionsbewusstsein, Durchsetzungsvermögen und gleichzeitig Empathie – es sind wohl diese Fähigkeiten und Vermittlungsleistungen, die Sie zu einem wichtigen Berater von Papst Franziskus und einem wichtigen Mitglied im Kardinalskollegium machen. 

Der Einsatz für Verständigung und Dialog, das Bemühen um Vermittlung ist ein Wesensmerkmal von Ihnen. Ob bei den Vollversammlungen der Deutschen Bischofskonferenz und in Auseinandersetzung mit den dort durchaus divergierenden Meinungen und Ansätzen oder im politisch-gesellschaftlichen Diskurs: Um das Gemeinsame zu betonen, finden Sie auch mal deutliche Worte. Die klare Positionierung auch gegenüber kritischen Stimmen ist etwas, was Sie und Bischof Bedford-Strohm zusätzlich verbindet. „Ich frage gewöhnlich nicht, mit welcher Resonanz ich rechnen kann, sondern greife die Themen auf, die mir wichtig erscheinen“, erklärten Sie in einem Interview, um auf die christliche Verantwortung in unserer immer komplexer werdenden Welt hinzuweisen.

Dass sich diese Verantwortung in einer christlichen Sozialethik niederschlagen muss, sagen und zeigen Sie immer wieder und geben damit als Kirchenmann auch für Politik und Gesellschaft Impulse. In der Flüchtlingsfrage waren Sie als Erzbischof von München und Freising einer der ersten, der sich für die Unterstützung von Flüchtlingen eingesetzt hat. Bis heute appellieren Sie an die Mitmenschlichkeit: „Dass das Mittelmeer ein riesiger Friedhof geworden ist, das können wir nicht akzeptieren“, haben Sie betont – und damit richten Sie unser aller Blick auf die bedrückende, schwer zu ertragende Realität. Dabei erlebt man Sie selbst als ganz und gar betroffen, was Ihre Worte und Taten wahrhaftig und authentisch macht.

Es ist diese Wahrhaftigkeit, die auch in Glaubensdingen aus Ihnen spricht und die Ihnen Kraft gibt – gerade angesichts von Herausforderungen. „Menschen, die wirklich Christen sind und sich gläubig dem Evangelium öffnen, sind – das ist meine tiefe Überzeugung – wirklich friedlicher und gehen achtsamer miteinander um“, beteuerten Sie und drücken damit eine Hoffnung aus, die ansteckend ist. Wenn es darum geht, unsere Gesellschaft auch angesichts von Ungerechtigkeit, Spaltung und Konflikten friedlicher zu gestalten, brauchen wir Menschen, wie Sie, die Ihren Glauben leben und für diese friedliche, christliche Überzeugung werben.

Verehrte Friedenspreisträger,

Gemeinsamkeiten stehen bei Ihnen im Vordergrund, Unterschieden begegnen Sie beide mit Respekt. Wohlwissend, dass Kirche immer als lebendige Gemeinschaft funktioniert, verstehen Sie sich in Ihrem Wirken als Impulsgeber. Nun liegt es nicht allein in der Hand desjenigen, der Impulse gibt, ihre Wirkung zu bestimmen. Und ich vermag mir vorzustellen, dass Sie sich hier und da gewünscht hätten, dass Ihre bisherigen Impulse noch mehr Durchschlagskraft entwickelt hätten. Sie werden mir nachsehen, dass ich an dieser Stelle und aus der Sicht eines reiferen Menschen Milde walten lasse. Sie haben in Ihren Kirchenämtern nicht bloß verwaltet, sondern Verantwortung übernommen und Kirche sowie Gesellschaft durch Ihre Ideale und Impulse beeinflusst. Und das ist es, wofür Sie heute diesen Preis überreicht bekommen.

Papst Franziskus hat zum 25. Jahrestag der Ökumene-Enzyklika „Ut unum sint“ gesagt, er teile die „gesunde Ungeduld“ derer, die sich für weitere Schritte der Ökumene einsetzen. Und eine Ungeduld macht sich tatsächlich zunehmend in beiden Kirchen breit. Ob die Reformforderungen bezüglich des Pflichtzölibats und das Frauenpriestertum in der Katholischen Kirche oder die Auseinandersetzungen mit dem sexuellen Missbrauch in beiden Kirchen – Forderungen, Erwartungen und Ungeduld prägen das Kirchenleben. Unzufriedenheit mit der Institution Kirche ist heute der zweitwichtigste Grund für Kirchenaustritte.

Diese Preisverleihung ist nicht der Ort, genauer zu analysieren, was die Kirchen als Institutionen attraktiver machen könnte. Allerdings dürfen wir durchaus wahrnehmen: Bei aller Unsicherheit und Unruhe in der Gesellschaft und in den Kirchen sehen wir auch: Spiritualität und Glauben sind weiterhin gefragt, werden sogar noch verstärkt gesucht und gebraucht. Ich verstehe unsere Preisträger in ihren öffentlichen Äußerungen so, dass wir die Ökumene in ihrer theologischen Komplexität nicht als Ort des Verharrens in einem status quo begreifen sollen. Vielmehr geht es darum, Kirche und Glauben auch als Quell von gesellschaftlicher Orientierung zu verstehen. Und es geht darum, aus den Kirchen und dem christlichen Glauben heraus dem heutigen Menschen Angebote für seine spirituelle Sinnsuche zu machen, Angebote die auch ein friedliches Miteinander über Unterschiede hinweg ermöglichen.

Gelebte Ökumene ist auf Dialog angewiesen – auf einen fruchtbaren Dialog. In beiden Kirchen wir derzeit intensiv über die Zukunft debattiert. „Es braucht die christliche Stimme in den ethischen Diskursen der Gegenwart“, haben Sie beide gesagt. Die EKD hat gerade ihr großes Zukunftspapier vorgestellt, die katholische Kirche begeht den „Synodalen Weg“. Im kommenden Jahr soll – trotz Corona - der dritte ökumenische Kirchentag in Frankfurt stattfinden.

Auch bei gesellschaftlichen und politischen Fragen gehen die Kirchen Hand in Hand: Ob in der Flüchtlingsarbeit, im weltkirchlichen Engagement, in der Entwicklungszusammenarbeit und im karitativen und diakonischen Einsatz gegen soziale Not. Dies alles geschieht in unserer Gesellschaft, die durch Verunsicherung und Vereinzelung geprägt ist. Sie braucht unsere Präsenz und unser Engagement. Und dafür brauchen wir Personen, die dafür einstehen, die es vormachen und uns zur Nachfolge animieren. Es ist ein Geschenk für die Kirchen und unsere Gesellschaft, dass wir mutige Vorbilder wie Sie beide, lieber Landesbischof Bedford-Strohm und Sie, lieber Erzbischof Kardinal Marx haben. Dabei meine ich Vorbilder nicht im Sinne der einen richtigen, moralischen, ethischen, geistlichen oder spirituellen Richtung. Ich meine Vorbilder im Sinne von Haltung, im Sinne von Grundwerten, im Sinne von Orientierung, so dass wir den Weg nicht aus den Augen verlieren, auf dem wir uns als Christinnen und Christen befinden. Der Gottesdienst von Hildesheim 2017 war eine wichtige Wegmarke. Denn gemeinsam zu beten und ja, Sie haben es selbst so gesagt lieber Landesbischof Bedford-Strohm und lieber Erzbischof Kardinal Marx, gemeinsam zu feiern, das ist für mich stärkster Ausdruck der lebendigen, der gelebten Ökumene.

Liebe Preisträger,

wenn sich – wie bei Ihnen – Toleranz und Respekt zu Vertrauen und Freundschaft weiterentwickeln, dann ist das für die Kirchen ein wichtiges Zeichen. Ich wünsche mir, dass dieser Geist der Versöhnung, des Friedens und der Freude die Kirchen auch weiterhin leitet. Sie sind durch Ihr Wirken und Ihren Glauben ein Zeugnis dafür, dass die Hoffnung bestehen bleibt, dass Gott diese Welt nicht alleine lässt. Wenn ich mir heute eines wünschen darf: Bleiben Sie mit dieser Haltung weiter aktiv und sichtbar. Herzlichen Glückwunsch zum Augsburger Friedenspreis 2020!