Rede „Mut fassen, den Wandel wagen“ beim Deutschen Sparkassentag 2023
31. Mai 2023, Hannover
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
haben Sie vielen Dank für die überaus freundlichen Einführungsworte, lieber Herr Schleweis. Ich freue mich, heute bei Ihnen sein zu können. Denn hier treffe ich auf Frauen und Männer, die (hoffentlich) nicht nur wissen, wie man mit Geld umgeht, die Bilanzen lesen, Risiken einschätzen und am Ende des Tages solide Gewinne erwirtschaften können, sondern gleichzeitig um ihre gesellschaftliche Verantwortung und ihre besondere Stellung in unserer Ordnung wissen, in der wir das Wirtschaften erfolgreich mit dem sozialen Ausgleich verwoben haben.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihr Präsident hat es schon mit einigen Stichworten umschrieben: Die Zeiten sind rauer, als wir es lange wahrhaben wollten und keinesfalls so, dass man sich mit Blick auf alles, was bereits erreicht wurde, selbstzufrieden zurücklehnen und sich mit einer wohligen Festveranstaltung dafür feiern könnte. Ich bin dankbar, dass Sie das trotz vieler guter Gründe in den nächsten beiden Tagen nicht machen wollen. Denn wir erleben eine Welt im Umbruch, die uns systemisch und auch persönlich noch viel stärker herausfordern wird, als es die meisten erwarten.
Dabei hat uns spätestens der brutale und menschenverachtende Angriff Russlands auf die Ukraine dazu gezwungen, die Welt im Osten nun endlich so zu betrachten, wie sie ist und nicht nur so, wie wir sie uns erhoffen. Dabei offenbart der Blick zurück: Fast alle haben sich geirrt, - oder sollte ich besser sagen: wollten sich irren – als sie glaubten, Stabilität und Frieden hätten endgültig Vorrang gewonnen gegenüber imperialem Machtstreben. Stattdessen haben wir uns leichtgläubig und auch nicht uneigennützig dem Glauben hingegeben, dass wirtschaftliche Verflechtung automatisch zu Liberalisierung und Annäherung mit Putins Russland oder auch anderen autokratischen Staaten führen würden. Dieses Bild scheint in der Rückschau als eine durch Wunschdenken geschönte Realität. Und dies gilt nicht nur hinsichtlich des Krieges in der Ukraine, der genau genommen schon Jahre früher begonnen hat mit den „grünen Männchen“ im Donbas und der Besetzung der Krim. Bereits das gesamte vergangene Jahrzehnt war gekennzeichnet von zunehmender Gewalt und Risiken. So hat sich die Zahl der bewaffneten Konflikte zwischen Staaten von 31 im Jahr 2010 auf 56 im Jahr 2020 nahezu verdoppelt. Verdoppelt hat sich im selben Zeitraum auch die Zahl der Flüchtlinge, die der UNHCR Ende 2020 auf über 82 Millionen und aktuell sogar auf über 100 Millionen schätzt. Und das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI belegt in einer Studie aus dem Jahr 2022 eindrücklich, wie diese Zunahme von Gewalt und Flüchtlingen mit der Verschlechterung unserer Umwelt als Folge des Klimawandels und der Überbeanspruchung unserer natürlichen Lebensgrundlagen korreliert.
Niemand kann mehr leugnen, dass bereits genau das passiert, wovor seit Jahren gewarnt wird: In Folge der Klimakrise werden gewaltsame Konflikte, Kämpfe um Ressourcen und damit die Zahl der flüchtenden Menschen vor Gewalt, Hunger und Not zunehmen. Auf ein weiteres Bedrohungsszenario hat ein kleinerer Kreis von Experten schon seit vielen Jahren warnend hingewiesen, dass die Gefahr von Zoonosen und daraus folgenden Pandemien in den letzten Jahrzehnten beständig gestiegen ist. Die Gründe auch hier: Der achtlose und wenig nachhaltige Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen und deren zunehmende Zerstörung. Seit Covid 19 ist nun den Allermeisten bewusst, welche Gefahren von einer Pandemie ausgehen. Aber nicht nur das: Uns wurde auch schlagartig vor Augen geführt, welchen Risiken unsere vernetzte Welt ausgesetzt ist, wenn Lieferketten zusammenbrechen, wenn die Versorgung mit den notwendigsten Gütern und Medikamenten nicht sichergestellt ist und wir feststellen müssen, wie abhängig wir uns vom Wohlwollen anderer, auch autokratischer Staaten gemacht haben.
Das Paradoxe dieser Entwicklung ist, dass nur mit einer engeren Kooperation über nationale Grenzen hinweg sowohl die Pandemie als auch die wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen sind. Tatsächlich haben aber die allermeisten Staaten zunächst nationale Prioritäten gesetzt und entsprechend agiert. Es wurde sogar deutlich, dass manch systemischer oder ideologischer Unterschied nur schwer oder gar nicht überwindbar ist. Die Lebensadern der globalen Handelsströme waren schneller verstopft als es die „just in time“-Wirtschaft jemals für möglich gehalten hätte. Tausende Frachtschiffe dümpelten vor den großen Containerhäfen der Welt.
Das Fazit ist ernüchternd: Mit der zunehmenden Vernetzung der Wirtschaft gingen nicht nur Wohlstandsgewinne für unser exportorientiertes Land einher. Es entstanden auch Abhängigkeiten, die sich als Gefahr für unsere Sicherheit und unseren wirtschaftlichen Erfolg erwiesen haben.
All dies ist aber nur die eine Seite, die unsere Sicherheit, unseren Wohlstand unsere liberale Demokratie bedroht. Neben der Bedrohung von außen durch imperiale Autokratien, die das Völkerrecht und die internationale Ordnung nur wenig achten, gibt es auch eine Bedrohung von innen durch autoritäre, populistische Kräfte, die den Pluralismus und die Rechtsstaatlichkeit infrage stellen. Beide Formen der Bedrohung scheinen demselben Motiv zu entspringen: einer Gegnerschaft zur liberalen Demokratie.
Die Krisen der vergangenen Jahre haben im inneren Gefüge unseres Landes Spuren hinterlassen und an den Rändern werden zunehmend Risse sichtbar. Populisten, Extremisten und Fanatikern ist es gelungen, in einer verunsicherten Gesellschaft Hass zu säen und das zersetzende Gift von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus zu verbreiten. Es gibt Teile der Gesellschaft, die den freiheitlich-liberalen Lebensstil und unsere demokratischen Institution und deren Vertreter verachten. Und es gibt Gruppen von Menschen, die nicht einmal vor Morden und heimtückischen Angriffen aus ideologischen Gründen zurückschrecken. Umso erschütternder ist es, dass die populistischen und extremistischen Parteien mit ihren Parolen und dem Schüren diffuser Ängste gegen alles vermeintlich Fremde und die Offenheit unserer liberalen Demokratie immer noch reüssieren und ihren Zuspruch verbreitern können.
Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass die Feinde unserer liberalen Demokratie ohne Aussicht sind sie substanziell zu gefährden. Der Rechtsstaat wird sich weiterhin als handlungsfähig gegen alle erweisen, die unsere Demokratie mit Gewalt bedrohen. Und die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wird sich auch in Zukunft widersetzen, indem sie weder dem Hass noch den populistischen Verführern folgen werden. Dieses Vertrauen auf die demokratische Mitte der Gesellschaft darf uns aber nicht blind machen für die Gefahren, die unser Land doppelt – von außen und innen – bedrohen.
Es ist doch klar: Wenn sich die Welt um uns herum verändert, muss sich unser Land, unsere Demokratie mit ihr verändern. Wenn unser demokratisches und liberales Land von außen bedroht wird, muss es sich nach außen und nach innen entschiedener wehrhaft machen. Wirklicher Frieden ist nur in Freiheit zu sichern. Wenn unser Land von innen angegriffen wird, muss es resistenter werden gegen illiberale, fundamentalistische und populistische Kräfte aller Art. Und es muss sich dazu befähigen, den unabwendbaren Wandel unserer Gesellschaft so zu gestalten, dass er nicht nur von einer Mehrheit der Gesellschaft getragen wird, sondern auch weitere und tiefere Risse vermeidet.
Liebe Mitglieder der Sparkassenfamilie,
bewusst habe ich davon gesprochen, dass angesichts der doppelten Bedrohung unser ganzes Land gefordert ist, denn es betrifft uns alle. Nicht nur als Wählerinnen und Wähler, die an den Urnen politische Präferenzen zum Ausdruck bringen, sondern als Bürgerinnen und Bürger, die Verantwortung für das Funktionieren und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft übernehmen. Dass ich Sie, wie zu Beginn meiner Rede, als aktiven Teil der Verantwortungsgemeinschaft ansprechen und Ihnen eine besondere Rolle bei der Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit zumute und zutraue, hat mehrere Gründe. Zunächst möchte ich an die Gründungsidee für die erste Sparkasse überhaupt erinnern, die in den folgenden Jahrzehnten vielfach aufgegriffen wurde und zu so manchen beachtlichen Jubiläen in Ihren Reihen führt – hier in Hannover besteht die Sparkasse nun seit 200 Jahren. Herzlichen Glückwunsch!
Die Sparkassenidee ist aber nicht an der Leine, sondern an der Elbe entstanden. Bereits 1778 wurde auf Initiative der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg die „Ersparungs-Classe“ gegründet. Sie ist – und jetzt zitiere ich kurz aus der Satzung – „zum Nutzen geringer fleißiger Personen beiderlei Geschlechts, als Dienstboten, Tagelöhner, Handarbeiter, Seeleute, errichtet, um ihnen die Gelegenheit zu bieten, auch bei Kleinigkeiten etwas zurückzulegen und ihren sauer erworbenen Not- und Brautpfennig sicher zu einigen Zinsen belegen zu können, wobei man hoffet, dass sie diese ihnen verschaffte Bequemlichkeit sich zur Aufmunterung gereichen lassen mögen, um durch Fleiß und Sparsamkeit dem Staate nützlich und wichtig zu werden.“
Man merkt der Formulierung ihr Alter von 245 Jahren deutlich an, aber die Kernbotschaft und damit der Kernauftrag der Sparkassen ist aktuell geblieben: Allen Bürgerinnen und Bürgern über die finanzielle Teilhabe die soziale Teilhabe in unserer Gesellschaft ermöglichen. Diesen Aspekt der Gemeinwohlverpflichtung halte ich auch heute noch für viel wichtiger als die Verpflichtung große Summen zum Wohle der Allgemeinheit zu spenden. Gleichwohl: Die Summen können sich sehen lassen. Im letzten Jahr haben die Sparkassen fast 400 Millionen Euro zur Förderung von regionalen Projekten in den Bereichen Kunst, Kultur und Sport bereitgestellt. Darüber hinaus haben die Sparkassen in ihren 759 Stiftungen über 2,8 Milliarden Euro an Kapital zusammengetragen. Es ist vollkommen klar, dass dieses große finanzielle Engagement, die Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl nur möglich ist, wenn sie als eigenständige Banken wirtschaftlich solide arbeiten und Geld verdienen. Es spricht ja in unsere sozialen Marktwirtschaft auch nichts dagegen, sehr viel Geld zu verdienen. Dabei darf allerdings nicht das eigentliche Ziel aus dem Blick geraten oder gar das Mittel mit dem Ziel verwechselt werden. Oder um es einmal salopp zu formulieren: Sie dienen nicht dem schnöden Mammon, sondern dem Wohl der gesamten Gesellschaft.
Dem Wohl der Gesellschaft dienen die Sparkassen vor Ort. Als regional ausgerichtete Institute zählen Sparkassen häufig zu den wichtigsten Finanzierern kleiner und mittelständischer Unternehmen, ermöglichen den Erwerb von Eigenheimen oder deren Modernisierung. Dabei geht die Beratung oftmals über die reine Finanzierung des Projektes hinaus. Wie gut dies in den Sparkassen in der Regel gelingt, zeigt, dass trotz des allgemeinen Vertrauensverlustes in Institutionen und auch Banken allgemein die Sparkassen bei ihren Kundinnen und Kunden nach wie vor hohes Vertrauen genießen. Auch mit diesem Vertrauenskapital gilt es verantwortungsvoll umzugehen und es unterstreicht noch einmal die Bedeutung, die Sparkassen einnehmen können, wenn es gilt in schwierigen Zeiten den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu fördern.
Dass die Sparkassen im Zusammenwirken von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft eine besondere Rolle einnehmen hat eine so lange Tradition, dass sie über verschiedene politische Ordnungen hinweg Bestand hatten. Dies gilt auch für das dunkelste Kapitel unserer Geschichte, in dem sich auch die Sparkassen allzu oft als „gehorsame Helfer“ der Nationalsozialisten erwiesen haben. Es ist zu begrüßen, wenn anlässlich der Jubiläen der selbstkritische Rückblick auf diese Zeit nicht ausgespart bleibt. Denn nur so kann glaubwürdig darauf verwiesen werden, worauf nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zurückgegriffen werden konnte, als eine neue Art des Zusammenwirkens von Staat und Wirtschaft entwickelt werden musste, die bei den Sparkassen bereits lange zur gelebten Praxis zählte. Damals entstand – im Westen Deutschlands – eine Ordnung, in der der Staat keine dominierende Rolle in der Wirtschaft spielt und so viel wie irgend möglich dem freien Spiel des Wettbewerbs überlässt – sich dabei allerdings das Setzen der Regeln selbst zur Aufgabe macht. Eine Ordnung, die den Einzelnen weder einer staatlichen Bevormundung unterwirft noch ein Markt, auf dem die Starken so groß werden können, dass sie selbst die Regeln bestimmen.
Soweit zumindest Theorie und Anspruch. Dass das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft und ihr Zusammenwirken zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger viel komplexer und störanfälliger ist, wissen wir nicht erst seit gestern. Bereits in der Finanzkrise konnten wir erleben, dass dem Markt eine selbstzerstörerische Kraft innewohnt, die es durch das konsequente Setzen und Überwachen von Regeln einzudämmen gilt. Dies gilt auch dann, wenn die Märkte über Grenzen und Wirtschaftsräume hinausreichen. Es ist fatal, wenn ordnungspolitische Aufgaben nicht wahrgenommen werden, weil deren Komplexität das gewohnte Maß übersteigt, oder wenn geo- und sicherheitspolitische Interessen in der notwendigen Abwägung mit wirtschaftspolitischen Interessen ignoriert werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn wir uns heute Gedanken darüber machen, wie wir unsere soziale Marktwirtschaft krisenfester und resilienter gegenüber inneren und äußeren Bedrohungen aufstellen, dann gehört dazu auch der Blick auf die zentralen Lehren aus den Entwicklungen der letzten Jahre. Bezogen auf die Außenpolitik bedeutet dies etwa zu erkennen, dass die Erwartung Wandel werde durch Handel hervorgebracht sich nicht erfüllt hat. Die Vorstellung, dass die durch den Handel erwirtschafteten Gewinne den Gesellschaften auf beiden Seiten gleichermaßen zugutekommen, vielleicht sogar in den nicht-demokratischen Staaten eine selbstbewusste und freiheitsorientierte Mittelschicht heranwachsen lassen, hat sich als Illusion erwiesen.
Klar ist aber auch: Deutschland ist und bleibt eine auf Export orientierte Nation. Wir haben daher ein großes Interesse an einem möglichst freien Handel auf der ganzen Welt. Und auch wenn es Handel mit autoritären Staaten weiterhin geben wird, müssen wir uns auch zukünftig für eine Weltordnung engagieren, die Frieden und Wohlstand sichert, in der das Völkerrecht und die Menschenrechte geachtet werden und nicht das Recht des Stärkeren gilt. Internationaler Handel kann so organisiert werden, dass er allen Beteiligten nützt – denken wir etwa an die EU-Freihandelszone.
In einer Welt, in der sich wirtschaftliche und politische Machtgefüge zunehmend verschieben, kann auch die Diplomatie Lösungen nur aus einer Position der Stärke entwickeln. Auch aus diesem Grund sind wir gut beraten, in unsere Bündnisse zu investieren und ein guter und verlässlicher Partner in NATO und EU zu bleiben. Gemeinsam mit unseren Partnern müssen wir – wie beim G7-Gipfel in Japan – weiter an einer kohärenten Strategie gegenüber unserem größten Aussenhandelspartner China arbeiten. Es ist hoffentlich noch nicht zu spät, denselben Fehler, den wir gegenüber Russland gemacht haben, nicht noch einmal zu wiederholen.
Denn nicht erst seit den jüngsten Veröffentlichungen über die brutalen und schockierenden Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber den Uiguren sollte uns bewusst sein, mit was für einem System wir Geschäfte machen. Es sollte uns nach wie vor beunruhigen, dass große Teile unserer Schlüsselindustrien, die Automobil-, die Elektro- und die Chemiebranche, in so hohem Maße vom chinesischen Markt abhängig sind.
Mit mehr Realismus und Weitblick auf die Welt zu schauen, ist eine Erfordernis, der wir uns alle stellen müssen. Nicht jedes Geschäft, das kurzfristige Gewinne verspricht, wird sich langfristig als lohnende Investition erweisen. Es macht eben doch einen Unterschied, mit wem man unter welchen Bedingungen Handel treibt. Es wäre für unsere exportorientierte Wirtschaft fatal den Kopf jetzt in den Sand zu stecken. Aber wer nachhaltig erfolgreich sein will, nimmt die zunehmenden Unsicherheitsfaktoren frühzeitig in den Blick, prüft kritisch seine Lieferketten und setzt sich für gute und faire Arbeitsbedingungen auch fernab der Heimat ein. Ich bin überzeugt, dass wir alle einen Unterschied machen können, wenn wir uns dafür einsetzen, was den Kern unseres Erfolgs ausmacht: die Freiheit des Handels, die verbunden ist mit der Freiheit des Menschen und der freiheitlichen Demokratie. Diesen inneren Zusammenhang zu erkennen, hat uns unsere eigene Geschichte gelehrt. Dazu zählt die Erkenntnis: Die freiheitliche Wirtschaftsordnung und die Demokratie legitimieren und bedingen sich gegenseitig – sie können sich aber auch gegenseitig beschädigen. Dieser Wechselbeziehung sollten sich also alle bewusst sein, die in aktuellen Debatten entweder nach einem allmächtigen Staat rufen, der den Markt umkrempelt und uns im Alleingang von den großen Krisen unserer Zeit befreit oder die allein im freien Spiel der Kräfte die Lösung für alle gegenwärtigen Probleme sehen. Wie schnell dieses innere Gefüge von der Freiheit der Menschen und der Freiheit in der Wirtschaft ins Wanken gerät, zeigen die Wahlerfolge von anti-liberalen und teils anti-demokratischen Bewegungen in zahlreichen westlichen Demokratien.
Die Gefahr ist sehr eindeutig: Wer sich abgehängt fühlt, wer meint keine faire Chance auf Teilhabe mehr zu haben, der hat nicht mehr zwangsläufig ein Interesse am Fortbestand der bestehenden Ordnung und bringt dies dann auch bei seiner Wahlentscheidung zum Ausdruck. Wohin eine solche Entwicklung in einer Demokratie führen kann, konnten wir unter der Trump-Administration beobachten. Dann wird das Heil häufig auch in wirtschaftlicher Abschottung und nationalistischer Isolation gesucht. Das kann sich ja nun wirklich niemand wünschen - und leisten kann sich unser Land das auch nicht!
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Jahre 1778 haben Hamburger Bürger der Patriotischen Gesellschaft sich Gedanken darüber gemacht haben, wie man einem großen Teil der Stadtgesellschaft am Wohlstand teilhaben und damit besser integrieren kann.
Diese Idee hat seit 245 Jahren Bestand, es wurde so viel erreicht, dass die Gründungssatzung wie aus der Zeit gefallen klingt, aber die Idee, die Motivation hat bis heute Bestand. Nach wie vor gilt: Nur wer sich als Teil des Ganzen empfindet, wird sich für dessen Erhalt einsetzen. Und aus dem Gründungsimpuls von damals lässt sich eine wichtige Inspiration für heute ableiten: Jede Zeit braucht den Mut und die Wagnisbereitschaft von Menschen, die sich mit dem Vorgefundenen nicht zufriedengeben, die etwas zum Besseren verändern wollen.
Lassen Sie sich also von der eigenen Geschichte, von den eigenen Erfolgen inspirieren und bringen Sie Ihre Ideen ein, wenn es darum geht, den aktuellen Herausforderungen mit kreativen Lösungsansätzen zu begegnen. Dazu möchte ich ein aktuelles Beispiel aus den politischen Debatten nutzen, dass bei vielen Menschen Sorgen und auch Ängste auslöst. Das Parlament berät derzeit darüber, wie es in der sogenannten Wärmewende gelingen kann, die Heizungen unserer Wohnungen und Häuser von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare umzustellen. Auf die technischen und normativen Details möchte ich nicht eingehen, aber auf die Verunsicherung, die schon die Debatte ausgelöst hat. Viele Menschen fragen sich, was dieses Vorhaben konkret für sie bedeutet und vor allem: Kann ich mir das leisten? Eine Frage, die sich viele Menschen in den vergangenen Monaten schon oft stellen mussten und die auch – so fürchte ich – in den nächsten Jahren nicht mehr aus dem Alltag verschwinden wird. Es ist aber eine Frage, die Sie als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sparkassen mit Expertise und Erfahrung beantworten können. Sie haben das Vertrauen Ihrer Kunden und können den Sorgen und Ängsten mit Wissen und Lösungsvorschlägen begegnen. Nutzen Sie Ihr Vertrauenskapital und nehmen Sie den Menschen die Ängste vor dem Wandel. Sie als Sparkassenfamilie verfügen über ein beträchtliches Erbe. Ich spreche jetzt nicht über Kapital. Ich erinnere Sie aber daran, dass Ihre Geschichte geprägt ist von Millionen Erfolgsgeschichten derer, die an das Gelingen glauben und denen Sie geholfen haben, ihre Pläne und Wünsche zu erfüllen.
Da wir realistisch auf die Welt blicken wollen: Alle Sorgen und Ängste werden Sie selbstverständlich nicht nehmen können. Denn zu den bekannten Krisen und Herausforderungen durch die Bedrohung unserer liberalen Demokratie von Innen und Außen, durch einen umfassenden und für viele bedrohlichen Wandel, durch die Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz, auch durch eine zunehmende Migration und durch neue Konflikte werden weitere Krisen hinzukommen. Klar ist auch: Die Politik wird kluge und belastbare Rahmenbedingungen setzen müssen. Aber die Umsetzung müssen wir gemeinsam stemmen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn wir heute nicht in den gesellschaftlichen Zusammenhalt, in die Wehrhaftigkeit und die Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie investieren, werden wir morgen nicht mehr im Wettbewerb bestehen können und möglicherweise das verlieren, was es unbedingt zu erhalten galt.
Mutig und entschlossen müssen wir für die Freiheit der Menschen – unsere Freiheit – und für die liberale Demokratie – unsere Demokratie – eintreten. Und mit Realitätssinn wollen wir auf die Welt blicken und uns gemeinsam die Lehren der Vergangenheit zu Herzen nehmen. Gemeinsam gilt es unser Land und unsere Wirtschaft noch wehrhafter, noch krisenfester, noch nachhaltiger zu gestalten, und zwar sowohl mit Blick auf die sich verschärfende Klimakrise als auch für die zunehmenden Herausforderungen durch systemische Wettbewerber oder die Bedrohung durch die Feinde unserer Demokratie. Denn wir können uns auf uns und unsere soziale Marktwirtschaft verlassen, sie hat ein solides Wirtschaftsgefüge hervorgebracht, Wohlstand geschaffen und zugleich die Schwachen und Hilfsbedürftigen nicht vergessen. Das Nichthandeln sollten wir mehr fürchten als den selbstbewussten Wettbewerb mit denen, die das Recht und die Freiheit nicht achten. Denn wir werden erfolgreich sein, weil wir die Freiheit nicht nur verstehen als Raum der Selbstoptimierung, sondern sie gemeinsam nutzen, um Verantwortung zu übernehmen für uns und unsere Welt – mit Zuversicht und Selbstvertrauen.