Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Tag der Johanniter

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Bundespräsident a.D. Joachim Gauck steht am Rednerpult

©Andreas Schoelzel

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck spricht beim Tag der Johanniter

Rede beim Tag der Johanniter 2023

05. Mai 2023, Potsdam

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident Bescht,

liebe Johanniter,

wie schön, dass ich heute hier bei Ihnen in Potsdam sein kann. Über Ihre Einladung, lieber Herr Bescht, habe ich mich sehr gefreut und ich sage Ihnen auch, warum ich sie so gerne angenommen habe: Es gibt in diesem Land viele Gelegenheiten, all das zu beklagen und zu benennen, was nicht funktioniert – auch das muss sein, denn nur so lässt sich aus Fehlern lernen und ein notwendiger Wandel gestalten. Aber ich finde doch, dass dabei das Lob des Guten, die Wertschätzung für das Funktionierende oft zu kurz kommt. Ich freue mich, Frauen und Männern zu begegnen, die das pflegen, was unser Land zum Strahlen bringt: Ein Netzwerk des Guten, des Solidarischen und des Demokratischen.

Mit Freude unterstütze ich Sie also bei dem, was Sie sich für heute Abend vorgenommen haben und was im Alltag allzu schnell vergessen wird: Wertschätzung und Anerkennung zu zollen, für besonders herausragendes und langjähriges Engagement. Und ich hoffe, dass ich Sie stellvertretend für die über 29.000 Hauptamtlichen und mehr als 46.000 Ehrenamtlichen der Johanniter-Unfall-Hilfe ansprechen darf, damit Sie meine Worte des Dankes in Ihre Heimatverbände und Ortsgruppen weitertragen.

Und so darf ich auch noch einmal dem beiwohnen, was schon in meiner Amtszeit zu den nobelsten und schönsten Aufgaben zählte. Manche meinen, dies sei die Begegnungen mit Königinnen und anderen berühmten Persönlichkeiten - das war auch schön, aber was ich meine, ist die Verleihung von Orden an verdienstvolle Menschen. So hatte ich als Bundespräsident das Glück sehr, sehr vielen Menschen zu begegnen, die unsere Gesellschaft besser und schöner machen, indem sie sich einfach zuständig fühlen – ohne dass ihnen das einer gesagt hätte. Zuständig für Hilfe und Anteilnahme, für Toleranz, für Verständigung, für Versöhnung, zuständig manchmal auch dafür, neue Wege zu weisen oder Talente zu fördern oder künftigen Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen. Frauen und Männer, Jung und Alt, die mit ihrem ehrenamtlichen Engagement auf ganz unterschiedliche Weise Verantwortung übernommen haben.

Sie, liebe Johanniter, sind da, wenn Menschen in Not geraten und Hilfe brauchen. Sie engagieren sich beim Rettungs- und Sanitätsdienst, beim Katastrophenschutz, der Betreuung und Pflege von älteren, kranken und geflüchteten Menschen, im Fahrdienst für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, sie Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, leisten Hospizarbeit. Und sie stehen im Katastrophenfall über die Grenzen Deutschlands hinaus bereit, um Menschen aus Notlagen zu retten.

Die Katastrophenhilfe der Johanniter etwa kann auf über 30.000 Frauen und Männer zählen, die als Ehrenamtliche bei der Bewältigung von Großschadenslagen bereitstehen, um den Betroffenen zu helfen. So geschehen bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 als so viele Menschen, buchstäblich vor den Trümmern ihres bisherigen Lebens standen.

So können wir heute in alle Ecken unseres Landes schauen und sehen, dass Dank der Entschlossenheit zu helfen, überall Verbände, Vereine und Stiftungen gewachsen sind. Wie bei einem Stein, den man ins Wasser wirft, hat das ehrenamtliche Engagement überall im Land Kreise gezogen. Manches, was in jungen Jahren vor der Haustür begonnen hat, ist inzwischen überregional, national oder sogar grenzüberschreitend weiter vorangetrieben worden. So sind Netze verantwortungsvollen Miteinanders entstanden.

Liebe Johanniter,

Sie haben auch tatkräftig dabei geholfen, dass das Netzwerk des verantwortungsvollen Miteinanders innerhalb kürzester Zeit dort wachsen konnte, wo sich zuvor der Staat für allumfassend zuständig erklärt hatte und auch nicht davor zurückschreckte, sein Volk zu unterdrücken und einzusperren. Ich spreche von der DDR-Diktatur. Als wir uns dann im Herbst 89 mit friedlichen Demonstrationen unserer Unterdrücker entledigt hatten, die Mauer fiel und die deutsch-deutsche Teilung ein Ende hatte, gehörten die Johanniter zu den ersten helfenden Händen, die in den Westteil Berlins gerufen wurden, um bei der Versorgung der Hunderttausenden Besucher aus dem Osten zu unterstützen. Allein an einem Wochenende sollen 33.000 Portionen Essen und 45.000 Getränke verteilt worden sein. Noch beachtlicher war aber die Aufbauleistung in den folgenden Monaten. Westdeutsche Landesverbände übernahmen Patenschaften im Osten und unterstützten bei der Gründung neuer Standort. Bereits zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung war die Johanniter-Unfallhilfe an 46 Orten vertreten.

Nun konnte endlich auch im Osten gedeihen, was zu einer freien, liberalen Demokratie gehört. Das Bekenntnis der Bürgerinnen und Bürger zur Freiheit für und zu etwas sowie die Bereitschaft Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere zu übernehmen.

Zu denen, die heute geehrte werden und die zu den Engagierten der ersten Stunde gehörten, zählen etwa Dr. Hans Arndt, der als ehrenamtlicher Regionalvorstand den Verband in der Region Südbrandenburg auf- und ausgebaut hat und Sabine Heinze, die den ambulanten Pflegebereich der Johanniter in Görlitz aufgestellt hat.

Und Beide sind wie viele Engagierte gleich in mehreren Bereichen aktiv: Frau Heinze als engagiertes Mitglied der Mitarbeitervertretung und Herr Arndt hat sich zusätzlich für die Kinder- und Jugendhospizarbeit stark gemacht und war an der Gründung des ersten Kinderhospizes der Johanniter in Burg/Spreewald beteiligt.

Andere verbinden Ihr Engagement mit der Jugendarbeit oder mit der Hilfe für Flüchtlinge, wie Hans Eggert aus Bremen, der sich als Ehrenamtlicher in der Hundesuchstaffel des Regionalverbandes Bremen-Verden und auch bei der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen engagiert hat.

Überhaupt bewundere ich, mit wie viel Phantasie und Tatkraft die verschiedensten Menschen signalisieren: Ihr gehört dazu! Wie es euch ergeht, was ihr euch erhofft, das ist uns, wichtig. Sie machen also das Schicksal anderer zu ihrem persönlichen Anliegen. Und diese Haltung ist es, die unser aller Achtung und Wertschätzung verdient.

Es ist schwer mit diesen Inhalten für Schlagzeilen zu sorgen, aber umso wichtiger ist es, immer wieder im Kleinen und Großen von dem zu berichten, was vorbildhaft ist. Aus diesem Grund und vielleicht jetzt noch einmal zum Mitschreiben: Das Ehrenamt macht unser Land schöner. Es bringt unsere Gesellschaft zum Strahlen und dafür gebührt Allen, die sich zum Wohle der Gemeinschaft engagieren, unser Dank und unsere Anerkennung!

Und für alle, denen Worte allein noch nicht genug Bestätigung sind, habe ich nicht ganz so altruistische Hinweise zur Hand: Ehrenamtliche leben länger, ehrenamtliches Engagement wirkt Einsamkeit entgegen und kann Glücksgefühle auslösen. Der Hirnforscher Manfred Spitzer ist sogar der Meinung, dass „rein rechnerisch man allein durch Ehrenämter die Streichung einer ganzen Reihe von Langzeit-medikationen ausgleichen“ könnte. Auf dem Beipackzettel zur Pille „Ehrenamt“ sollte – so viel Realitätssinn muss sein – dann aber auch vermerkt werden, dass die Einnahme in bestimmten Fällen zu Frust, Überforderung, Vernachlässigung von Familie und Freundeskreis und anderen sozialen Spannungen führen kann. Ja, mir ist natürlich auch klar, dass in diesem Bereich nicht alles eitel Sonnenschein ist.

Joachim Gauck steht umringt von Johanniter auf der Bühne beim Tag der Johanniter in Potsdam

©Andreas Schoelzel

Bundespräsident a.D. Joachim Gauck im Kreise der Johanniter

Liebe Johanniter,

heute möchte ich aber nicht nur das Konkrete loben und anerkennen, sondern auch auf etwas ganz Grundsätzliches eingehen, auf die Beziehung zwischen Demokratie und Ehrenamt. Manchen fällt dabei zunächst einmal ein, dass sich der Staat allzu oft darauf verlässt, dass dort wo er selbst aufgrund knapper Kassen sein Engagement einschränkt, sich zu selbstverständlich auf das freiwillige Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger verlässt. Diese Kritik ist sicherlich oftmals berechtigt und darüber muss in jedem Einzelfall debattiert werden.

Was für mich aber in dieser Beziehung zentral ist, ist die Notwendigkeit des zivil-gesellschaftlichen Engagements für die Überlebensfähigkeit der liberalen Demokratie, deren Fragilität uns erst in den letzten Jahren wieder deutlich vor Augen geführt wurde mit all den Bedrohungen von außen und innen. Ein verbrecherischer Angriffskrieg in Europa, Nationalisten und Populisten, die zum Teil bereits erfolgreich der liberalen Demokratie den Kampf angesagt haben. Und auch dies nicht irgendwo, sondern in unserer europäischen Nachbarschaft.

Eine uneingeschränkte Akzeptanz der Demokratie können wir auch bei uns nicht mehr automatisch voraussetzen. Wir erleben, dass der liberale Staat einerseits von denen in Frage gestellt wird, die einen forcierten Wandel der Gesellschaft fordern und andererseits von denen, die sich von den massiven Veränderungen der Gegenwart zunehmend überfordert fühlen. Aus Ängsten werden Ressentiments und es gedeiht der Nährboden für nationalistische Verführer, deren ungezügelter Hass schon mehrfach in Gewalt und sogar Mordtaten endete. Auch wenn unsere staatlichen Institutionen in der Vergangenheit immer wieder zu nachlässig bei der Verhinderung und Verfolgung solcher extremistischer Straftaten waren, bin ich davon überzeugt, dass sich unsere Rechtsstaat als wehrhaft gegenüber diesen Feinden der Demokratie erweisen wird.

Eine Gefahr für unsere liberale Demokratie entsteht aber schon, wenn der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft immer wieder und immer vehementer in Frage gestellt wird, wenn Werte und unser liberales Miteinander relativiert, unsere demokratischen Institutionen verächtlich gemacht oder die Unabhängigkeit der Medien angegriffen werden. Aus unserer eigenen Geschichte wissen wir, dass eine Demokratie ohne eine deutliche Mehrheit demokratischer Bürgerinnen und Bürger nicht überleben kann und der demokratische Staat aus sich selbst heraus seinen eigenen Fortbestand nur bedingt sichern kann.

Es gehört zum Wesen liberaler Gesellschaften, dass verschiedene, teilweise auch miteinander konkurrierende Gruppen existieren, angefangen von Gewerkschaften, Vereinen und Parteien bis zu Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen oder ethnischen, sexuellen und religiösen Interessengruppen. Vielfalt, die auch durch Jahrzehnte und ganz unterschiedliche Phasen der Einwanderung geprägt wurde, ist immer auch gekennzeichnet von Diskurs und oftmals sogar von Streit. Dieser Streit ist kein Übel, sondern notwendige Voraussetzung für das Funktionieren einer Gemeinschaft der Verschiedenen – manche kenne es aus ihrem familiären Umfeld. Wir wissen aber auch: Für die Gestaltung der Demokratie brauchen wir umso mehr auch das Gemeinsame, das, was die Verschiedenen miteinander verbindet. Nur so kann eine innere Regulierung erfolgen und damit aus der Verbindung von Partikularinteressen Gemeinschaft erwachsen. Eine Gemeinschaft, die sich auf einen allgemein akzeptierten Wertekodex berufen kann und diesen in politischen Kontroversen als Richtschnur nutzt. In der pluralisierten Welt von heute brauchen wir für den Zusammenhalt der Gesellschaft diesen Grundkonsens dringender denn je.

Und der Zusammenhalt entsteht nicht nur dort, wo Menschen zusammen lernen, arbeiten und leben, sondern ganz besonders dort wo sie sich gemeinsam mit und für Andere engagieren, wo gemeinsame Ziele motivieren und man im Streben nach einem gemeinsamen Erfolg oder auch der ertragenen Niederlage zusammengeschweißt wird.

Laut Zahlen des fünften Freiwilligensurveys mit Daten aus dem Jahr 2019 machen dies 28,8 Millionen Menschen. Dies sind 39,7 Prozent aller Deutschen über 14 Jahren. Dies ist gegenüber den vorherigen Erhebungen eine erfreulich stabile Anzahl von Engagierten. Die Statistik führt aber auch vor Augen, dass sich etwa die Hälfte der Bevölkerung (noch) nicht engagiert und wo es Unterschiede gibt: So engagiert man sich auf dem Land etwas mehr als in der Stadt, im Osten etwas weniger als im Westen, in der Lebensmitte stärker als im Rentenalter, ohne Migrationshintergrund häufiger als mit und auch ein höherer Bildungsabschluss macht es wahrscheinlicher, dass sich jemand freiwillig engagiert.

Die Zahlen erfassen wohl nicht alle, die sich in unserer Gesellschaft für andere engagieren. So dürfte es in der Nachbarschaftshilfe und insbesondere unter Zugewanderten ungezähltes Engagement geben. Und Viele werden nachvollziehbare Gründe haben sich nicht in organisierter Form zu engagieren, ist es doch schon ohne Ehrenamt zuweilen schwierig Familie und Beruf unter einen Hut und in den eng getakteten Tagesablauf zu bringen. Zahlen und Statistiken sind immer interpretationsbedürftig und nicht frei von Schwachstellen, sie liefern aber zumindest den ein oder anderen Hinweis, wo es sich lohnen könnte, bestimmte Gruppen noch gezielter anzusprechen und für das Ehrenamt zu gewinnen. Gerade bei den älteren Menschen erscheint mir das Potential noch nicht ausgeschöpft zu sein.

Es lässt sich aber auch nicht verschweigen, dass wiederum Andere sich nicht engagieren wollen, was in unserer freiheitlichen Gesellschaft auch ihr gutes Recht ist. Aber unsere liberale Demokratie lebt auf allen Ebenen davon, dass es Engagierte gibt, die das Vorfindliche realistisch anschauen, sich damit aber nicht zufriedengeben. Die sagen: "Wir packen das an, wir suchen den begrenzten Fortschritt, die etwas bessere Lösung, das, was jetzt gerade möglich ist. Und wir lassen uns dabei von Rückschlägen, von Vorläufigen und Nichtperfekten nicht abschrecken."

Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeiten nutzen, sich auf lokaler Ebene zu beteiligen, sich einbringen, vielleicht einmal an einer Ratssitzung teilnehmen. Vielleicht gelingt es noch besser, die Digitalisierung als Chance zu nutzen, um die Schwellen zur Beteiligung noch weiter zu senken – nach dem Motto „raus aus dem Vereinsheim, rein ins Netz“, um Menschen „raus aus dem Netz, rein in den Verein“ zu bekommen.

Liebe Johanniter,

mit Ihrem Engagement, Ihren – auch digitalen – Angeboten sind Sie beispielgebend für all das, was unserer Gesellschaft besser macht und uns unsere liberale Demokratie auf ein stabiles Fundament stellt. So können wir uns mit Zuversicht den aktuellen Herausforderungen stellen und mit begründetem Optimismus in die Zukunft schauen, denn wir wissen: Nicht nur unsere stabile Rechtsordnung, nicht nur unsere stabile Institutionen begründen diese Zuversicht. Es gibt Bürgerinnen und Bürger, die stets bereit sind, für sich und für andere Verantwortung zu übernehmen, die willens sind, sich für ihr Gemeinwesen zu engagieren, die erkannt haben, Demokratie ist nicht, sondern Demokratie wird. Jeden Tag auf das Neue. Haben Sie vielen Dank, dass Sie alle auf unterschiedliche Art und Weise daran mitwirken!