Bundespräsident a.D. Joachim Gauck

Karls-Preis-Podiumsdiskussion

Menü Suche
Bundespräsident a.D. Joachim Gauck hält eine Rede vor Studierenden in der Karls-Universität in Prag anlässlich der Verleihung des Karls IV.-Preises

©Charles University Prague / Rene Volfik - FOTOREPO

Dankesworte in der Patriotischen Halle der Prager Karls-Universität

Diskussion über "30 Jahre Revolution in Mittel- und Osteuropa"

21. Januar 2019, Prag, Tschechien

Änderung vorbehalten.
Es gilt das gesprochene Wort.

Es freut mich sehr, dass ich nach der feierlichen Verleihung des Karl IV-Preises nun die Gelegenheit habe, zu Ihnen zu sprechen und mit Ihnen zu diskutieren.

Und weil es mir wichtig ist, mich mit Ihnen auszutauschen, ist unsere Begegnung mit einer Frage überschrieben. "30 Jahre Revolution in Mittel- Osteuropa: gemeinsam vereint in Freiheit und Demokratie?"

Vorweg: eine einfache, alle Fragezeichen eliminierende Antwort werden Sie hoffentlich nicht von mir erwarten, aber einige Denkanstöße möchte ich dennoch formulieren.

Vor wenigen Wochen endete das Jahr, in dem die Tschechen gemeinsam mit den Slowaken 100 Jahre Unabhängigkeit feiern konnten, wahrhaft ein wichtiges Datum Ihrer Geschichte. Historisch gesehen ist der Nationalstaat eine Entwicklung der europäischen Neuzeit und damit das gesamte Nationalbewusstsein eine relativ moderne Erscheinung, was den meisten Zeitgenossen allerdings nicht bewusst ist. Und die Tschechische Nation und deren Staatlichkeit konnten erst mit dem Zerfall der Habsburger Monarchie ihre Eigenständigkeit erlangen.

Im Westen blieb der Erste Weltkrieg als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts in Erinnerung, im Osten als die Geburtsstunde von Nationalstaaten. In Deutschland ging 1918 eine Welt unter, in Tschechien und der Slowakei und in anderen Ländern Europas erstand eine Welt neu.

Wir alle wissen, dass die Tschechen und Slowaken ihre gemeinsame Unabhängigkeit und Selbstbestimmung im 20. Jahrhundert noch zwei Mal verloren und zwei Mal neu erkämpfen mussten: Einmal unter deutscher und italienischer Besatzung im Zweiten Weltkrieg, das zweite Mal unter sowjetischem Diktat bis 1989. Und schließlich erfolgte 1992 die Auflösung der Föderation unter Bildung der eigenständigen Staaten Slowakei und Tschechien.

Es kann gar nicht anders sein: Nach dieser Erfahrung hat sich der Wunsch nach einem freien, unabhängigen Staat tief in der nationalen DNA verankert. Es kann daher auch gar nicht anders sein, als dass Tschechien – allerdings nicht als einziges Land in Mittelosteuropa – bis heute mit besonderer Sensibilität auf die Beziehungen zu anderen Staaten und Bündnissen schaut, selbst wenn diese demokratisch und partnerschaftlich sind – und selbst, wenn man ihnen freiwillig beigetreten ist wie der Europäischen Union.

Verehrte Studierende,

nach dem Zweiten Weltkrieg war die Europäische Union das große Friedens- und Zukunftsprojekt Westeuropas. Nach 1989 leitete der Sturz des Kommunismus auch für uns, die wir im sowjetischen Machtbereich gelebt hatten, die ersehnte Rückkehr nach Europa ein: zur westlichen Wertewelt, zu Freiheit, Frieden, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten.

Doch nur ein Atemzug der Geschichte reichte aus, um aus der Verheißung für viele ein Ärgernis werden zu lassen. Zwar traten 2004 noch zehn mittelosteuropäische Länder der EU bei, aber schon 2005 lehnte die Mehrheit der Franzosen und Niederländer eine europäische Verfassung und damit eine Vertiefung der Union in Referenden ab.

Wir kennen die Kritikpunkte, die seitdem mal stärker, mal schwächer vorgetragen werden. Viele europäische Bürger stoßen sich an einem scheinbar dominanten Brüssel, das mehr Kompetenzen an sich zog, als die meisten für erforderlich hielten. Sie stoßen sich an einer als anonym und oft arrogant empfundenen "bürokratischen Elite", die entscheidet, worüber die Bürger oft nie abgestimmt hatten. Sie fürchten große Staaten, die einflussreicher sind als kleinere, und denken dabei häufig an Deutschland; und sie fürchten, in Mithaftung für Dinge genommen zu werden, die sie nicht verursacht haben.

Im Kern drehen sich all diese Konflikte um das Verhältnis von nationaler zu supranationaler Ebene, von den einzelnen Nationalstaaten zu europäischen Institutionen.

An einem Ende stand und steht eine Strömung, die immer mehr Vertiefung und schließlich die Vereinigten Staaten von Europa wünscht. Am anderen Ende standen und stehen Strömungen, die die Europäische Union mehr oder weniger auf eine Koordinationsstelle von Nationalstaaten zurechtstutzen möchten.

Ich hoffe, dass sich Europa auf eine dritte Option verständigen wird, eine Option, die nur scheinbar widersprüchlich das Europakonzept mit dem Nationalstaatskonzept verbindet. Ich hoffe also auf eine Regelung, die den Erfordernissen der Zeit ebenso entspricht wie den Bedürfnissen der meisten Bürger.

Lange Zeit hat ein Teil der politischen Akteure im Westen die Bedeutung verkannt, die der Nationalstaat im vereinten Europa weiterhin spielt. Dominant war beispielsweise in Deutschland ein Denken, das im Nationalstaat ausschließlich eine anachronistische Erscheinung sah, die es schnell zu überwinden gelte. Nationalstaat wurde bei uns zudem konnotiert mit Aggression, Fremdenfeindlichkeit, Dominanzgebaren.

Dass Nationalstaat auch rechtlichen und sozialen Schutz bedeuten kann und das Gefühl, bei sich zuhause zu sein, das war in diesem postnationalen westlichen Denken nicht präsent. Dass Menschen, die fast ein halbes Jahrhundert östlich des Eisernen Vorhangs gelebt haben, eine andere Prägung erfahren haben als die Menschen im Westen, fand und findet häufig ebenso wenig Berücksichtigung. Der Westen hatte kein Gefühl dafür, dass der Begriff Nation für die postkommunistischen Länder eine Verheißung war.

Heute denke ich: Es war und es bleibt richtig, dass sich die Europäische Union in einer Art Verfassung eine gemeinsame politische und Wertegrundlage gegeben hat, die für alle verbindlich ist. Daneben sehe ich aber Spielraum, um historisch gewachsenen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Mittelosteuropa hat beispielsweise nach 1945 kaum Erfahrung mit den Fremden machen können. Warum sollten die Menschen dort nicht eine ähnliche Chance erhalten, sich mit Neuem vertraut zu machen, wie sie die Menschen im Westen seit einem halben Jahrhundert haben?

Gerade in jüngster Zeit stellt sich auch für die tschechische Politik die drängende Frage, wie umgegangen werden soll, mit dem dringenden Bedarf der tschechischen Wirtschaft an Arbeitsmigranten bei einer gleichzeitig hohen Ablehnungsrate des Fremden in der eigenen Bevölkerung.

Leicht können sich Gesellschaften überfordert fühlen, wenn von ihnen erwartet wird, dass sie umstandslos den Auffassungen anderer Länder oder einzelner Gruppen folgen – Mentalitätswandel großer Bevölkerungsgruppen braucht immer seine Zeit. Dies trifft umso mehr zu, wenn die Schere zwischen den Lebensgefühlen auseinander geht wie jetzt im globalen Zeitalter zwischen jenen, die aus der Globalisierung Nutzen ziehen und sich international beheimatet fühlen und den eher traditionell und national verwurzelten Mehrheiten.

Ein Nationalstaat, der auf den Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit basiert, schottet sich nicht gegenüber dem Fremden ab, duldet keine Fremdenfeindlichkeit oder gar Hass und Gewalt. Er pflegt seine nationale Identität auf eine Weise, die nicht im Widerspruch zu einer europäischen Identität steht. Denn er versteht, dass die Entwicklung eines Nationalstaates auch davon abhängt, wie weit er Einflüsse von außen bereichernd integrieren kann. Ein derartiges befruchtendes Zusammenspiel zwischen Nationalstaaten und europäischen Institutionen zu entwickeln, zu erhalten und zu fördern, ist meines Erachtens eine der Hauptaufgaben der nächsten Zeit. Dabei ist gegenseitige konstruktive Kritik nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Und das unter Umständen notwendige Eingreifen bei Fehlentwicklungen – sei es auf Seite der Nationalstaaten wie etwa im aktuellen Streit um den italienischen Haushaltsentwurf, sei es auf Seite der Europäischen Union – ist keine illegitime Einmischung in innere Angelegenheiten, sondern demokratische und demokratisch legitimierte Pflicht im Interesse unseres Kontinents.

Selten ist das so wichtig gewesen wie augenblicklich. Europa steht wenige Monate vor den Europawahlen vor der größten Belastungsprobe seit seiner Gründung. In fast allen Staaten haben europaskeptische, links- oder rechtspopulistische Parteien an Zustimmung gewonnen, in manchen sogar die Regierungsgeschäfte übernommen. Ein Land wird die EU verlassen.

Kernelemente europäischen Selbstverständnisses wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, Vertragstreue oder auch die Einhaltung der gemeinsam beschlossenen Schuldengrenze gelten nicht mehr überall als verpflichtend. In der Migrationspolitik konnte eine konstruktive Zusammenarbeit mit allen Mitgliedstaaten der EU bis jetzt nicht erreicht werden.

Gleichzeitig verändert sich Europas internationales Umfeld wie seit Jahrzehnten nicht mehr. China baut seine weltpolitischen Ambitionen bis nach Afrika und Europa aus. Russland hat nicht nur die Souveränität eines Nachbarstaates verletzt und fremdes Territorium besetzt, es hat sich auch als gewichtiger strategischer und machtpolitischer Akteur im Nahen Osten etabliert – nicht zuletzt aufgrund Europas Schwäche. Die Vereinigten Staaten hingegen sind gerade dabei, sich das Vertrauen zu verspielen, das sie sich als Führungsmacht der freien Völker über Jahrzehnte hinweg erworben haben. Das NATO-Mitglied Türkei ist unter der autoritären Führung seines Präsidenten schwer zu berechnen und stellt einen Problembereich in nächster Nachbarschaft zur EU dar.

Mittlerweile ist Europa mit der Gefahr konfrontiert, dass es auf die regelbasierte Weltordnung und alte Allianzen, wie wir sie über Jahrzehnte kannten, nicht mehr setzen kann. Einige europäische Parteien gehen außenpolitisch bereits eigene Wege, manche strecken ihre Fühler zu den autoritären Mächten Russland und China aus. Auch fehlt eine Einigkeit unter den EU-Staaten, wie mit den USA unter Präsident Trump umgegangen werden soll.

Und so stehen wir vor einer Situation, die viele erschrickt: die inneren Fliehkräfte in der EU sind größer geworden, das Gemeinsame hingegen ist nicht gewachsen. Egoistische nationale Interessen nehmen Fahrt auf, auf dem großen Flaggschiff Europa hingegen gibt es häufiger Auseinandersetzungen über den richtigen Kurs. Andererseits erleben wir aber, dass die Situation viele Menschen auch aufschreckt. So ist die Zustimmung zur EU insgesamt so hoch wie seit 35 Jahren nicht mehr.

Dabei variieren die Zahlen stark. Während 85 Prozent der Luxemburger die Mitgliedschaft in der EU für eine gute Sache halten, sind es im Schnitt noch 60 Prozent und der niedrigste Wert wird mit 34 Prozent hier in der Tschechischen Republik gemessen. Ein alarmierender Wert. Zumal in der gleichen Umfrage 62 Prozent der Tschechinnen und Tschechen sagen, das ihr Land insgesamt von der Mitgliedschaft profitiert hat. Es ist auch ganz augenscheinlich, dass die tschechische Wirtschaft in den letzten Jahren vom gemeinsamen Markt profitiert hat.

Die EU hat in der Tschechischen Republik traditionell ein Imageproblem und so sind die niedrigen Zustimmungswerte nicht ganz neu. Es zeigt sich: Wenn es in der nationalen Politik keine Fürsprecher für das Europäische Einigungswerk gibt, sondern das "blame game" von politischen Verantwortlichen über Jahre konsequent betrieben wird, dann findet dies Niederschlag in der öffentlichen Meinung. Die widersprüchlichen Bewertungen zeigen ganz deutlich, dass es einen Unterschied macht, wie wir über die Europäische Union sprechen und welche Verantwortung nationale Politikerinnen und Politiker für das Gelingen haben. Der Brexit und der polemische bis verleugnende Umgang von Teilen der britischen Politik vor und nach dem Referendum über den Verbleib in der Europäischen Union sind ein weiteres Beispiel für diese Feststellung.

Und auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern gibt es populistische Parteien, die versuchen Angst und Verdruss gegenüber der EU zu schüren, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Aus den Wahlanalysen lässt sich allerdings auch erkennen: Viele Menschen stimmten für populistische Parteien, nicht, weil sie wünschen, dass deren anti-europäische Forderungen umgesetzt würden, sondern um den etablierten Politikern und Parteien einen "Schuss vor den Bug" zu geben. Sie wollten mit ihrem Wahlverhalten ein Ausrufezeichen setzen, einen Weckruf senden. Diese Wähler wollen meistens nicht raus aus der EU. Sie wollen nicht das Ende der EU, sie wünschen sich vielmehr eine bessere Union. Der Europawahlkampf der kommenden vier Monate, das wünsche ich mir, soll ein fairer und ehrlicher Wettbewerb um den richtigen Weg zu einer solchen, besseren Union sein.

Wollen wir unsere Selbstachtung nicht verlieren, wollen wir weiter zu unseren Prinzipien und zu regelbasierten Beziehungen stehen, dann können wir jetzt gar nicht anders: Wir müssen das Projekt EU einer schonungslosen selbstkritischen Bilanz unterziehen, realistische, aber gleichzeitig weitsichtige Weichenstellungen vornehmen und Entschiedenheit bei ihrer Umsetzung zeigen. Nutzen wir also die Krise, um gestärkt aus ihr hervorzugehen!

Manche Dinge sind seit langem evident: Globale Probleme und grenzüberschreitende Phänomene wie der Klimawandel, die Migrationsströme oder die Digitalisierung und gerade auch Sicherheitsfragen können sinnvoll nur angegangen werden, wenn sich möglichst viele Staaten zu ihrer Lösung zusammentun. Mehr Zusammenarbeit und Entschiedenheit wünsche ich mir auch im Umgang mit der Migration. Wenn es gelingt, die Außengrenzen verlässlich zu sichern, wird teilweise heftigen innereuropäischen Differenzen die Nahrung entzogen. Und nur, wenn es gelingt, eine stabile Kontrolle über die Einwanderung zu gewinnen, werden wir das Europa ohne Binnengrenzen aufrechterhalten können.

Stärkere Anstrengungen erfordert ganz sicher auch eine gemeinsame europäische Außen- und Verteidigungspolitik. Nicht unverschuldet sieht sich Europa mit einem Sicherheitsdefizit konfrontiert. Noch gibt es allerdings keinen Konsens darüber, wie sich die neuerdings geplanten eigenständigen europäischen Einheiten neben der NATO aufstellen und wie eine europäische Rüstungskooperation aussehen könnten.

Schließlich wird sich das Projekt Europa auch daran messen lassen müssen, ob es imstande ist, den Menschen nicht nur ein friedliches Leben, sondern auch ein Leben ohne existentielle Sorgen und mit Zukunftsaussichten zu garantieren. Wir brauchen eine stärkere Angleichung der Lebensverhältnisse, und dazu gehört sicher ein entschiedeneres Vorgehen gegen die Jugendarbeitslosigkeit in den südlichen Ländern. Mit eigener Anstrengung etwas aus seinem Leben machen zu können – auch das ist ein Versprechen, das Europa einhalten muss.

Sie sehen: Die Aufgaben, vor denen die EU steht, sind groß. Einfach ihre besseren Tage in der Vergangenheit zu beschwören, wird nicht helfen.  Aber ebenso wenig wird es helfen, die EU zum Sündenbock innen- wie außenpolitischer Probleme zu machen und einer maßlosen Kritik zu unterziehen. Gerade die mittelosteuropäischen Länder haben in starkem Maß von der EU profitiert. Denken Sie nur an den Ausbau der Infrastruktur.

Die EU ist eine Solidargemeinschaft, in der manchmal auch Beschlüsse mitzutragen sind, die dem eigenen Land nicht sofort eigenen Nutzen bringen.

Meines Erachtens ist es äußerst fahrlässig, wenn hingenommen oder sogar angestrebt wird, dass die europäische Einheit weiter erodiert. Die Vertretung nationaler Interessen ist selbstverständlich Aufgabe einer jeden nationalen Regierung. Aber alle europäischen Länder haben inzwischen erfahren, dass supranationale Zusammenschlüsse nationalen Interessen teilweise deutlich mehr dienen, als es eine ausschließlich nationale Interessenvertretung jemals vermöchte.

Ich unterstütze ausdrücklich, wenn einzelne Staaten oder Staatengruppen selbstbewusst und robust ihre Interessen vertreten, ohne auf Spaltung und Eskalation hinzuarbeiten, und wenn sie ausdauernd verhandeln, das Machbare aber schließlich auch mit einem Kompromiss zu besiegeln vermögen.

Andererseits ist aber auch davon auszugehen, dass augenblicklich nicht alle europäischen Staaten eine immer engere Zusammenarbeit mittragen werden.

Europa braucht meines Erachtens mehr Flexibilität, aber auch mehr Solidarität und vor allem braucht Europa mehr Mut zu tiefgreifenden Reformen! Sollte es uns nicht aufwecken, wenn unsere westliche Demokratie an Attraktivität verliert, weil auch autokratische Ordnungen zu wirtschaftlichem Aufschwung und einer Verbesserung der Lebenssituationen der Bürger imstande sind?

Sollte es uns nicht anspornen, wenn Politiker, die illiberale Ordnungsvorstellungen haben, Zulauf erhalten, weil viele Bürger in unterschiedlichen Staaten bereit sind, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit zu begrenzen?

Die liberale Demokratie steht vor einer neuen Bewährungsprobe. Wie diese ausgeht, ist keineswegs ausgemacht. Aber ich möchte mir kein Europa vorstellen, dessen Mitgliedsländer vielleicht sogar demokratisch sind, aber nicht mehr liberal. Dessen Regierungen zwar Mehrheitsgesellschaften repräsentieren, für Minderheiten aber – welcher Art auch immer – keinen Schutz mehr bieten.

Und ja: Wir haben es tatsächlich erlebt. Wir sind uns in den letzten 30 Jahren näher gerückt. Wir haben uns angehört und manchmal auch heftig gestritten. Und schließlich haben die realen Begegnungen zwischen den Menschen die Macht von Zerrbildern gebrochen.

Ich möchte es noch einmal betonen: Das ist nicht nur das Verdienst unserer Regierungen und Institutionen, sondern mindestens so stark das unserer Zivilgesellschaften. Und so wünsche ich mir zum Schluss, dass wir dieses klärende und stabilisierende Element von Zivilgesellschaften auch in Zukunft stärker nutzen. Gerade dann, wenn Regierungen teilweise unterschiedlichen Konzepten folgen oder gar Kontroversen austragen, können die aktiven Bürgerinnen und Bürger die gewachsene Nähe zwischen unseren Gesellschaften aufrechterhalten.

Auf Sie, auf die junge Generation, wird es dabei besonders ankommen. Europa ist eine große Chance für Ihr aller Leben. Wenn die Weichen heute richtig gestellt werden, eröffnen sich Chancen für jeden von Ihnen – in einem Tschechien, das in der globalisierten Welt von morgen ein starkes Land ist. Eigenständig und selbstbewusst, aber verbunden mit seinen europäischen Nachbarn.

Seien wir nicht ängstlich, warten wir nicht ab. Bauen wir weiter an dieser gemeinsamen Zukunft unserer Länder in Europa!