1. Mercator-Vorlesung an der Universität Duisburg
07. November 2018, Duisburg
"Der Staat der Bürger – Wie wir wurden, was wir sind"
Änderungen vorbehalten.
Es gilt das gesprochene Wort.
"Stahl, Staublunge und Schimanski", unter dieser Titelzeile befasste sich vor einigen Jahren eine große hauptstädtische Zeitung mit Duisburg – ein Klischee. Sie sehen es mir hoffentlich nach, auch bei mir tauchen noch ältere Bilder und Vorstellungen auf, wenn ich an die Stadt an Rhein und Ruhr denke. Aber natürlich weiß ich inzwischen, dass derartiges ein Zerrbild und Duisburg mehr als Binnenhafen, Industriedenkmäler und Strukturwandel ist. Und diese Reise an die Universität, an der ich nun die Ehre habe, die Mercator-Professur wahrzunehmen, wird mein Bild von Duisburg weiter schärfen.
Wer sich ein genaues Bild machen, wer mit seinen Klischees aufräumen will, der begibt sich idealerweise und seit je her auf Reisen, denn wie Alexander von Humboldt es formulierte: "Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben". Alexander von Humboldt macht sich diese Erkenntnis zur Lebensaufgabe und schaute sich große Teile der Welt selbst an, um sie umfassend in seinem Werk "Kosmos" darzustellen.
Dieser wahrhaft enzyklopädische Anspruch verbindet ihn mit Gerhard Mercator, dem Namensgeber der Professur, die ich mit dieser Vorlesung antrete. Die legendären Reisen, die von Humboldt in die entlegensten Winkel der Welt führten, wären ohne die moderne Geografie Mercators und seine Projektionen wahrscheinlich weitaus beschwerlicher gewesen. Und wie Humboldt zwei Jahrhunderte später verstand sich Mercator nicht als bloßer Geograf, sondern auch er wollte eine umfassende Beschreibung der erfahrbaren Welt nebst ihrer theologischen Ausdeutung erstellen.
Was Mercators Anspruch so gewaltig macht, ist die Tatsache, dass ihm die Möglichkeit fehlte, die Welt aus eigener Anschauung zu beschreiben. So entstand sein epochales Werk, der Atlas sive Cosmographicae Meditationes de Fabrica Mundi [Atlas oder kosmografische Meditationen über die Schöpfung der Welt und die Form der Schöpfung] größtenteils auf der Grundlage von Karten und Beschreibungen Anderer in seinem Studierzimmer in der Oberstraße, hier in Duisburg.
Noch heute, knapp fünf Jahrhunderte später, da wir alle unseren Atlas in der Hosentasche tragen und wir – dies nur als Beispiel und nicht als Ratschlag – während einer besonders zähen Vorlesung die verwinkelt, romantischen Gassen Venedigs mit Hilfe von Google Street View erkunden können, erscheint uns der Gedanke tollkühn, ja unmöglich, die ganze erfahrbare Welt in einem Werk zu bündeln.
Gleichzeitig bleibt es dabei, dass trotz aller Wissensanhäufung, all der wissenschaftlichen Erkenntnisse und des technologischen Fortschritts, die Anschauung vor Ort das probateste Mittel bleibt, um sich ein eigenes Bild von der Realität zu machen.
Ich danke Ihnen, Herr Rektor, also ganz herzlich dafür, dass Sie mich eingeladen haben, die diesjährige Mercator-Professur zu übernehmen.
Nun bin ich bei Ihnen und kann meine Wahrnehmung von Duisburg um den Eindruck ergänzen, dass es dem Land Nordrhein-Westfalen mit einem weisen Beschluss Anfang der 70er Jahre gelungen ist, an die Zeiten Gerhard Mercators anzuknüpfen und ein modernes "Duisburgum Doctum" zu etablieren. Im späteren Zusammenschluss mit der Universität Essen entstand ein profilierter und wettbewerbsfähiger Wissenschaftsstandort.
Im Rahmen meiner Gastprofessur möchte ich im Sinne Gerhard Mercators – jedoch ohne seinen universellen Anspruch – meine Beobachtungen über die erfahrbare Welt mit Ihnen teilen.
Schon seit geraumer Zeit lässt sich beobachten, dass sich in unserem Land und darüber hinaus etwas verändert, manchmal fast unbemerkt, aber immer öfter ganz deutlich: Demokratie, Freiheit und der liberale Staat der Bürger werden von vielen Seiten in Frage gestellt, ja sogar bedroht. Wir blicken irritiert in die Vereinigten Staaten, deren Freiheitstradition wir bewundern, und stellen fest, dass rechtsstaatliche Prinzipien zuweilen mit Füßen getreten und von höchster Stelle sogar eine Stütze der US-amerikanischen Demokratie, ihre Institutionen in Misskredit gebracht werden. Und fast überall in Europa befinden sich nationalistische und populistische Parteien und Bewegungen im Aufwind und haben sogar mit ihrer antiliberalen Haltung in dem einen oder anderen Land Regierungsverantwortung bekommen. Soweit meine kurze Eingangsbeobachtung.
Heute möchte ich Sie zunächst mitnehmen auf eine Reise zurück in die Zeiten, in denen unser moderner Staat der Bürger entstand, scheiterte, neu errichtet und neu errungen wurde, um in der nächsten Vorlesung der Frage nachzugehen, welche Gefahr unserer Demokratie droht, wenn Populisten sich der Ängste und zunehmenden Verunsicherungen der Bürgerinnen und Bürger bemächtigen. Diese Reise an die Wurzeln unserer Demokratie möchte ich nutzen, um mit Ihnen deren Chancen und Risiken zu erkunden, aber vor allem um Selbstvertrauen aus unserer Demokratiegeschichte zu schöpfen.
I.
"Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt. Das alte Morsche ist zusammengebrochen; der Militarismus ist erledigt! Die Hohenzollern haben abgedankt! Es lebe die deutsche Republik! Der Abgeordnete Ebert ist zum Reichskanzler ausgerufen worden. (…) Sorgen Sie dafür, daß die neue deutsche Republik, die wir errichten werden, nicht durch irgendetwas gefährdet werde. Es lebe die deutsche Republik."
In zwei Tagen, am 9. November, dem mehrfachen Schicksalstag der Deutschen, wird es genau hundert Jahre her sein, dass Philipp Scheidemann diese Worte vom Westbalkon des Reichstagsgebäudes rief – auch um der angekündigten Proklamation einer Räterepublik durch Karl Liebknecht zuvorzukommen.
Der Historiker Heinrich August Winkler hat diesen historischen Moment als "gebremste Revolution" beschrieben, in der das wichtigste Anliegen der Sozialdemokraten als treibende Kraft des politischen Umbruchs, die Vermeidung eines Bürgerkriegs war. Die Führungskräfte der Partei um Friedrich Ebert "sprangen auf einen fahrenden Zug, dessen Lokomotive nicht besetzt war, und brachten ihn unter Kontrolle."
Die Weimarer Verfassung stellte zwar keinen radikalen Umbruch dar, sondern baute auf demokratische Errungenschaften auf, die bereits im März 1848 erstritten und nicht gänzlich revidiert wurden. Auch der Verfassungstext selbst orientierte sich an der Paulskirchenverfassung. Und doch war es eine demokratische Zäsur. Erstmals gaben sich die Bürger und auch Bürgerinnen – ja wir feiern in diesen Tagen hundert Jahre Frauenwahlrecht – eine politische Ordnung. Sie sollte allen gleiche Chancen bieten, ihre Werte zu leben und Interessen friedlich durchzusetzen. Unterdrückung, Demütigungen und Diffamierungen sollten der Vergangenheit angehören und der politische Diskurs von der Kraft der Argumente geprägt sein. In der demokratischen Gesellschaft sollten nicht mehr Stand und Herkunft über den Bildungsweg und den beruflichen Erfolg entscheiden, sondern Bildung sollte für Jede und Jeden erreichbar sein. "Bildung für Alle" so lautete dann auch der Anspruch mit Verfassungsrang, der die Volkshochschulbewegung in diesen Tagen zur Blüte brachte.
Der Staatsrechtler Hugo Preuß, im Auftrag der provisorischen Regierung der Volksbeauftragten mit einem ersten Entwurf einer neuen Verfassung befasst, hatte aus Sorge vor ausufernden Streit die Aufnahme von Grundrechten noch vermeiden wollen. Dies ließ sich während der Beratungen in der Nationalversammlung nicht durchhalten und so entstand ein hart umstrittener und parteipolitisch eingefärbter Katalog von 54 Bestimmungen über die "Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen", der neben den eigentlichen Freiheits- und Gleichheitsrechten auch zahlreiche soziale Rechte beinhaltete.
Trotz der Mängel, die der Weimarer Verfassung inne wohnten, garantierte sie doch den Bürgerinnen und Bürgern unveräußerliche Rechte gegenüber dem Staat ohne sie aus der Verantwortung für die Gemeinschaft zu entlassen. Der Gewinn an individueller und politischer Freiheit und Gestaltungsmacht für die ehemaligen Untertanen des Kaisers war groß. Doch der Schutz der Freiheiten durch die Verfassung selbst war gering. Es fehlte ein Verfassungsgericht mit einer unmittelbaren Möglichkeit der Bürger ihre Rechte einzuklagen und die Richter selbst waren unsicher, was den Umgang mit den neuen sozialen Grundrechten und auch der klassischen Freiheits- und Gleichheitsrechte anbelangt. Schon von Beginn an war die "demokratischste Demokratie der Welt", wie der damalige Reichsinnenminister Eduard David vorschnell urteilte, durch sich selbst und durch die Feinde der Demokratie von links und rechts bedroht.
II.
"Proklamation an das deutsche Volk! Die Regierung der Novemberverbrecher in Berlin ist heute für abgesetzt erklärt worden. Eine provisorische deutsche Nationalregierung ist gebildet worden, diese besteht aus General Ludendorff, Adolf Hitler, General von Lossow, Oberst von Seißer."
Auf unserer Reise zurück in die deutsche Demokratiegeschichte sind wir an einem weiteren 9. November – diesmal im Jahr 1923 – angekommen. Mit dem Marsch auf die Feldherrenhalle versuchte die NSDAP unter der Führung von Adolf Hitler und Erich Ludendorff nach dem Vorbild von Mussolinis Marsch auf Rom die parlamentarische Demokratie gewaltsam zu stürzen und eine nationalistische Diktatur zu errichten.
Seit Wochen wirkten in Bayern rechtsautoritäre Kräfte und in Sachsen und Thüringen Kommunisten auf einen Regimewechsel hin und nach dem Zusammenbruch einer Großen Koalition in Berlin, war die Gefahr für die Demokratie groß. Man muss sich das noch einmal vor Augen führen, wie gespalten die Gesellschaft in diesen Tagen war, zwischen Klassen- und Ideologiekampf, zwischen Progressiven und Reaktionären, Republikanern, Liberalen und Monarchisten und wie schnell Bündnisse des vermeintlichen Vorteils wegen gewechselt wurden.
Diese Krise löste Reichspräsident Ebert indem er dem Chef der Heeresleitung, Generaloberst Hans von Seeckt, den Oberbefehl über die Reichswehr und die Ausübung der vollziehenden Gewalt zur Niederschlagung der Putschversuche übertrug. Er pokerte hoch, konnte aber die reaktionären Kräfte in der Armee vorerst an den Staat binden. In diesen Tagen erwies sich die Demokratie noch als wehrhaft gegenüber den Umsturzversuchen von linken und rechten Feinden des liberalen Bürgerstaates.
Doch die kurze Episode zeigt bereits, wie groß der Druck auf die Demokratie in der Weimarer Republik war. Sie zeigt aber auch, dass die politischen Kontroversen heute noch lange nicht mit denen der Weimarer Zeit vergleichbar sind. Und dies sage ich, ohne die Gefahren der Demokratie von heute zu übersehen.
"Es war schrecklich. … Die Situation veränderte sich von einem Moment zum Nächsten. … Unten, in unserem Haus, zerschlugen sie alle Schaufenster. … Morgens schloss sich jeder in seinem Haus ein. … Es war schrecklich. … Am nächsten Morgen brachen sie unsere Wohnungstür auf. Sie haben nicht einmal die Klingel benutzt. Sie griffen sich meinen Vater. Sie warfen ihn einfach die Treppe hinunter."
So erinnert sich Benjamin Sommer aus Mannheim an die Nacht des 9. Novembers 1938. Als im ganzen Land Synagogen brennen, jüdische Geschäfte zerstört und geplündert und Juden willkürlich verschleppt werden, zeigt "der Teufel aus der Hölle in Gestalt der Nazis erstmals deutlich sichtbar seine hässliche Fratze" (Rabbiner Henry G. Brandt). Die Pogromnacht markierte den Übergang von der alltäglichen Diskriminierung, von der Verhöhnung und Demütigung, hin zur systematischen Verfolgung und Vernichtung, zu den Massenmorden in den Ghettos und in den Lagern. Spätestens nach dieser Nacht musste es für Jede und Jeden deutlich sein: die Weimarer Verfassung und das, was sie garantieren sollte, Freiheit, Demokratie und die allgemeinen Grundrechte waren seit 1933 systematisch ausgehöhlt und mit Füßen getreten, ja ins Gegenteil verkehrt worden.
Heute wissen wir, dass die Verfassung von Weimar einige Webfehler in sich trug. Aber es gab doch mehr als genug Bewahrenswertes. Aber zu wenige Bürger mochten dieses verteidigen. So konnte sie schlussendlich den zahlreichen Zerreißproben von links und rechts, durch Weltwirtschaftskrise und "Dolchstoßlegende" nicht Stand halten. Die Nazis konnten die Macht übernehmen und eine verbrecherische Diktatur errichten. Und zwar nicht mit einem gewaltsamen Putsch, wie sie es 1923 versucht hatten, sondern bis Januar 1933 mit den Mitteln der parlamentarischen Demokratie. Die Weimarer Republik, der Traum von der "demokratischsten Demokratie der Welt", war gescheitert. Aber auf dieses Scheitern sollten wir sie nicht reduzieren, sondern wir sollten sie als wichtigen Meilenstein unserer Demokratiegeschichte betrachten.
Neben den vielen Lehren, wie dem unverbrüchlichen Einsatz für Frieden und Freiheit, müssen wir aus der Zeit der Weimarer Verfassung stets in Erinnerung behalten, dass unsere Demokratie nicht automatisch stabil bleibt. Sie bedarf immer einer besonderen Wachsamkeit und entschlossener Verteidigungsbereitschaft. Denn wenn Karl Popper einst die Demokratie deshalb rühmte, weil sie im Unterschied zu Diktaturen und Autokratien den großen Vorteil habe, dass man die Regierungen völlig gewaltfrei absetzen könne, so müssen wir hinzufügen, dass die Demokratien auch den Nachteil haben, dass sie sich eigenständig und demokratisch, ganz ohne Gewalt auch abschaffen können.
III.
Was folgte, ist bekannt. Die deutschen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Zivilisation hatten unvorstellbare Ausmaße. Der europäische Kontinent lag am Ende des Krieges in Schutt und Asche. Wie sollte all der Hass, den Deutsche gesät haben, überwunden werden? Wie sollte aus der Nation, die so viel Schuld auf sich geladen hatte, wieder ein gleichberechtigter Staat werden, der seinen Bürgerinnen und Bürgern die elementaren Grundfreiheiten zubilligt und in dem die Herrschaft des Rechts gewährleistet ist? Wie sollte es den Europäern möglich sein, die ungeheuren Verluste der Vergangenheit zu überwinden und den Deutschen wieder Vertrauen zu schenken? Und wie sollten die Deutschen überhaupt wieder Vertrauen zu sich selbst, den Institutionen und Parteien gewinnen? Zudem stand bereits der nächste Konflikt verschiedener Ideologien am Horizont.
In diesen Tagen gab es dies- und jenseits des Atlantiks Politiker mit großer Weitsicht, die aus den Schrecken des Zweiten Weltkriegs Lehren für die gesamte Völkergemeinschaft ziehen wollten, die bereits von einer "europäischen Völkerfamilie" sprachen, als viele Städte noch in Trümmern lagen. So rief etwa Winston Churchill der akademischen Jugend Europas schon im September 1946 zu: "Let Europe arise"! Seine Worte fielen auf fruchtbaren Boden, denn nach all dem Tod und Schrecken, entsprach seine Vision der Sehnsucht vieler Menschen in ganz Europa – im Westen und im Osten. Und für die, die noch Jahrzehnte in Diktaturen von sowjetischen Gnaden leben mussten, wurde die Sehnsucht nach den "Vereinigten Staaten von Europa" nur umso größer. Noch heute ist dies für mich eines der größten Wunder der europäischen Geschichte: Dass nach all dem Leid, das Deutsche über Europa gebracht haben, die Spirale von Rache und Gewalt durchtrennt wurde und verfolgte und erniedrigte Nationen den Weg der Verständigung mit dem einstigen Okkupanten beschritten. Das würde man in einer theologischen Sprache als gnadenvollen Vorgang bezeichnen. Ich sage hier, es war einfach unverdientes Glück, das wir Deutsche nur dankbar annehmen konnten.
Die Demokratie selbst war durch die Nazis ausgelöscht, aber zum Glück mit ihr nicht alle Demokraten. So konnten etwa profilierte Staatsrechtler, wie der Sozialdemokrat Carlo Schmid oder der Christdemokrat Adolf Süsterhenn, im Sommer 1948 als sie mit anderen Vertretern der provisorischen westdeutschen Länder auf der Insel Herrenchiemsee zusammenkamen, um einen ersten Entwurf für eine neue Verfassung zu schreiben, auf ihre eigenen Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung und deren Missbrauch zurückgreifen.
Die Väter und Mütter unserer Verfassung wollten nicht nur eine wehrhafte, eine streitbare Demokratie, sie wollten auch eine wertebasierte Demokratie. Sie setzten sich Frieden und Gerechtigkeit zum Ziel und stellten den Schutz der Menschenwürde unter eine Ewigkeitsklausel, die jede Veränderung ausschließt. So haben wir nun beides: eine geschützte Grundlage für unsere Demokratie und einen offenen Raum, in dem Pluralität leben soll. Dieses dialektische Miteinander von Bindung und Freiheit hat im Laufe der Jahrzehnte noch an Bedeutung gewonnen.
Was damals gelang und auch zur wirtschaftlichen Prosperität beitrug, galt Vielen als "Wirtschaftswunder". Denn Deutschland kam schnell wieder auf die Beine. Die mehr als 12 Millionen Vertriebenen wurden – so gut es eben ging – integriert und Schritt für Schritt erhielten die Ausgebombten Wohnraum. Nach Jahren des Hungers und der Entbehrungen nahmen die Bürgerinnen und Bürger im Westen Deutschlands teil am wirtschaftlichen Aufschwung und vielen galt Ludwig Erhards "Wohlstand für alle" nicht als bloße politische Vision, sondern als gelebte Realität, in der fairer und freier Wettbewerb mit sozialem Ausgleich verbunden wird.
Was in den ersten Jahren in der Bundesrepublik nun gelang, war dann auch nicht nur ein Wirtschaftswunder. Wenn wir es genau betrachten, ist es auch so etwas wie ein Demokratiewunder, das hier im Westen Deutschlands gewachsen ist und unser Deutschland prägt. Für mich ist der Begriff "Demokratiewunder" für unser Land eine noch schönere Auszeichnung.
Die Demokratisierung des Westens folgte jedoch mitnichten einem Automatismus und auch nicht über Nacht. Es dauerte bis diejenigen, die das Scheitern von Weimar vor Augen hatten, Vertrauen in die neue freiheitliche Ordnung, in soziale Marktwirtschaft und Demokratie fassen konnten. Es hatte Jahre gedauert, bis die Mehrheit nicht mehr glaubte, der Nationalsozialismus sei eine gute Sache gewesen, leider nur schlecht umgesetzt. Und noch Anfang der 50er Jahre votierten knapp 50% der Bevölkerung für die Beibehaltung staatlicher Regulierung, etwa die Zuteilung von Lebensmitteln und für staatlich regulierte Preise.
Unser Staat der Bürgerinnen und Bürger schuf sich auf dem Gebiet der Wirtschaft eine Ordnung der Freiheit, die unabhängige Geister der Freiburger Schule um Walter Eucken oder auch Friedrich August von Hayek und Wilhelm Röpke schon in Kriegszeiten ersonnen hatten. Gemeinsam waren sie von der Grundüberzeugung geleitet, dass die Freiheit in der Gesellschaft und die Freiheit in der Wirtschaft zusammen gehören. Und wer eine freiheitliche Gesellschaft anstrebt, muss sich für einen geregelten Markt und für Wirtschaft und gegen die Bündelung von Macht in den Händen weniger einsetzen. Ludwig Erhard fasst es in der Formel zusammen: "Demokratie und freie Wirtschaft gehören logisch ebenso zusammen, wie Diktatur und Staatswirtschaft."
Die Schaffung eines freien Marktes war nach dem Ende des Krieges kein Selbstzweck, sondern legitimierte sich ausschließlich dadurch, dass dieser die Voraussetzung für die Schaffung einer demokratischen Gesellschaft war. Die Weimarer Republik war ja nicht nur am politischen System, sondern auch an einer mangelhaften Wirtschaftsordnung gescheitert. So waren es die Massenarbeitslosigkeit, das Elend und die Not der Menschen, die insbesondere den Feinden der Demokratie in die Hände gespielt haben.
Aus dem Scheitern der Demokratie in der Weimarer Republik und dem Erfolg in der jungen Bundesrepublik können wir lernen: die freiheitliche Wirtschaftsordnung und die Demokratie legitimieren und bedingen sich gegenseitig – sie können sich aber auch gegenseitig beschädigen.
Erwachsen und gefestigt wurde die Demokratie aber erst in dem Alter, indem auch seine Bürgerinnen und Bürger die Volljährigkeit erlangen. Denn zum einen lag die Last der Vergangenheit noch schwer auf der Gesellschaft. Die Verdrängung eigener Schuld, die fehlende Empathie mit den Opfern des Naziregimes prägten den damaligen Zeitgeist. Erst seit 1968 hat sich das nachhaltig geändert. Die Deutschen vollzogen damals schrittweise nach, was aufgeklärte Minderheiten seit Kriegsende thematisiert hatten, nämlich dass die Generation der Eltern sich mit Hybris, Mord und Krieg gegen unsere Nachbarn im Inneren wie im Äußeren vergangen hatten. Es war und blieb das Verdienst einiger mutiger Juristen (Fritz Bauer) und engagierter Politiker dieser Generation, der 68er: Es war eine mühsam errungene Haltung, sich neu, anders und tiefer erinnern zu können. Trotz aller Irrwege, die sich mit dem Aufbegehren der 68er auch verbunden haben, wie der Feindschaft gegenüber der parlamentarischen Demokratie, bei einigen gar die Bejahung von Terrorismus, hat diese Generation die historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt. Diese auf Fakten basierende und an Werten orientierte Aufarbeitung der Vergangenheit wurde nicht nur richtungsweisend für die Aufarbeitung nach 1989 in Ostdeutschland. Sie wird auch als beispielhaft von vielen Gesellschaften empfunden, die ein totalitäres oder despotisches Joch abgeschüttelt haben und nicht wissen, wie sie mit der Last der Vergangenheit umgehen sollen.
Zum anderen war es auch erst diese Generation, die konsequent das einforderte, was Jeder und Jedem an Grundrechten zugesichert war. Es waren die jungen Frauen und Männer, die mit ihrer Vorstellung von Demokratie und Gleichberechtigung, mit ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung gegen die verkrusteten und teils noch autoritären Gesellschaftsstrukturen ankämpften und diese schließlich aufbrachen. Was bei all den Irrungen und Wirrungen der 68er Generation leicht übersehen wird, ist der bürgerliche Kern dieser Bewegung.
Durch die Versöhnung mit sozialer Marktwirtschaft und liberaler Demokratie, durch die Aufarbeitung von Schuld und das Aufbrechen der verkrusteten Gesellschaft erwuchs im Westen Deutschlands über die Jahre eine gefestigte Demokratie in der viele Bürgerinnen und Bürger "Ja" sagen konnten, zu ihrer Rolle im Staat, sie konnten "Ja" sagen, zu einem verantwortungsvollen Dasein als Citoyen.
All diese guten Entwicklungen führten aber nicht dazu, dass die liberale Demokratie nicht mehr in Frage gestellt wurde. Es führt nicht dazu, dass sie sich immer wieder Angriffen von rechten und linken Feinden der freiheitlichen Ordnung erwehren musste.
Denken wir nur an die Zeiten des linken Terrors, als die Mitglieder der Roten Armee Fraktion die Demokratie wegbomben wollten, vor Morden nicht zurückschreckten und dabei Unterstützer und Sympathisanten sogar aus dem "bürgerlichen" Milieu hatten. In diesen Zeiten des Terrors lernte der Staat der Bürger, dass auch eine liberale Demokratie gegenüber seinen inneren Feinden wehrhaft sein muss, dass alle Gewalt vom Staat ausgeht und diese an das Recht gebunden und der Staat nicht erpressbar ist.
Bei vielen grundsätzlichen Auseinandersetzungen in der alten Bundesrepublik ist es allerdings gelungen, Gewalt zu vermeiden. Denken wir auch an die scharfen und kontroversen Debatten, die innerhalb und außerhalb der Parlamente etwa über die Ostpolitik, den NATO-Doppelbeschluss oder die Nutzung von Atomenergie geführt wurden. Wir können im Blick zurück erkennen, dass solche kontroversen Debatten zwar manchmal schwer erträglich sind, diese aber – gewaltfrei ausgetragen – immer auch das Potential in sich tragen, zur Erneuerung und auch Festigung der demokratischen Gesellschaft beizutragen.
Zum Beispiel dann, wenn aus Protestbewegungen und ad-hoc-Bündnissen eine politische Kraft oder sogar Partei entsteht, die mitgestalten möchte und sich dann auch nicht vor der Verantwortung scheut, aktiv mitzugestalten.
Ich finde, wenn wir auf das Werden der westdeutschen Demokratie schauen, dann haben wir auch heute im wiedervereinigten Deutschland viele gute Gründe, um Selbstvertrauen in uns selbst und in unseren Staat zu haben.
IV.
"Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässen und Verwandtschaftsverhältnissen beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. (...) Meines Wissens ab sofort."
Mit diesen Worten von Günter Schabowski, eingebrannt in unser kollektives Gedächtnis, wurde am 9. November 1989 beendet, was viele mutige Menschen von Plauen bis Halle, von Leipzig bis Schwerin, in den Wochen zuvor begonnen hatten: die Mauer fiel, weil sie dem Druck der friedlichen Demonstranten nicht mehr stand hielt.
Die Sehnsucht nach Freiheit und Recht hat die Angst dieser Menschen schrittweise besiegt. Sie entledigten sich der Staatsführung, die sie schon lange nicht mehr repräsentierte. Aus den Unterdrückten wurden Bürgerinnen und Bürger, die sich zum Souverän erklärten. Hier, tief im Westen unserer wiedervereinigten Nation, will ich noch einmal versuchen, daran zu erinnern, welches Geschenk die Ostdeutschen den Westdeutschen vor 29 Jahren gemacht haben.
Es ist unbeschreiblich, was in einem Menschen vorgeht, der sich sein ganzes Leben lang nach Freiheit gesehnt hat und der dann zum ersten Mal in seiner eigenen Stadt mit seinen eigenen ängstlichen Landsleuten auf die Straße geht und erlebt: Ich bin da, ich finde meine Würde wieder, ich bin wertvoll, ich bin nicht Gefangener meiner ständigen Begleiterin Angst, sondern ich kann aufstehen.
Die Bewegung in Leipzig hatte ein klares Ziel vor Augen: "Demokratie, jetzt oder nie!". Menschen, die ihr Leben lang unter Diktatoren gelebt hatten, die ihnen Individualität und Selbstbestimmung verwehrten, Menschen, deren Grundrechte beschnitten und deren Denken und Handeln überwacht worden war, Menschen auch, die sich oft ohne große Überzeugung angepasst, ohnmächtig gefühlt oder in Nischen eingerichtet hatten – fast alle überwanden innerhalb weniger Wochen, ja Tage, ihre Angst, ihre Bedenken, ihre Zurückhaltung. Ob in Dresden, Halle, Berlin und auch im Osten und Norden des Landes – aus dem Aufbruch sollte der radikale Umbruch werden.
Die Keime des Aufbruchs vom Herbst 1989, sie wurden lange vorher gelegt. Repressalien der Machthaber, Verweigerung von Grundrechten, die Militarisierung der Gesellschaft, der Verfall der Städte, dem Niedergang der Wirtschaft und die Zerstörung der Umwelt, all das forderte Widerspruch heraus. In kleinen und größeren Gruppen fanden sich Menschen zusammen, um gemeinsam für Veränderungen einzutreten. Wir müssen uns heute klar machen, wie riskant ihr Engagement damals war. Die DDR war ein Unrechtsstaat, es gab keine unabhängige Gerichtsbarkeit, schon gar nicht ein Verfassungsgericht. Es existierte einfach nicht. Dafür existierte Willkür, die das Land beherrschte. Wehrdienstverweigerer mussten mit Gefängnisstrafen rechnen, jungen Leuten wurden Bildungswege verbaut und Zukunftschancen verstellt. Wer von der herrschenden Linie abwich, musste mit Berufsverbot rechnen. Und oft war schon das offene Wort riskant, wie wir heute aus den Stasi-Akten wissen.
In diesem Klima der Angst und der Ohnmacht passten sich viele an, gaben dem Druck nach und richteten sich in Nischen ein. Aber andere widerstanden. Was in kleinen oppositionellen Gruppen und Zirkeln begann, wurde zu einer breiten Demokratiebewegung, die auch den letzten Winkel des Landes erfasste. Am 7. Oktober, als die Machthaber noch den 40. Geburtstag der DDR mit Michail Gorbatschow als Gast in Berlin feierten, da riefen manche von unseren Bürgen noch "Gorbi, hilf!". Veränderung, so ihre bisherige Erfahrung, konnte ja nur von oben ausgehen. Wenig später aber riefen oft dieselben Menschen schon: "Wir sind das Volk!".
Und mit diesem Ruf knüpften die Ostdeutschen an eine lange Geschichte demokratischer Revolutionen an. Sie stellten sich – ob bewusst oder unbewusst – in eine Reihe mit den Aufbegehrenden, die in Ostdeutschland schon kurz nach dem Krieg, am 17. Juni 1953 den ersten Volksaufstand gewagt hatten, die wie die Bürger vor 200 Jahren in Frankreich "liberté, egalité, fraternité" durchsetzten und sich in den Vereinigten Staaten mit dem Satz "We the people" zum Souverän erhoben, so stehen auch sie in einer Linie mit der deutschen Freiheitsbewegung von 1848 und dem demokratischen Aufbegehren von 1918. Heute erinnern wir uns voll Dankbarkeit daran, dass in der Geschichte unseres Landes, die im 20. Jahrhundert von so viel Unrecht, Verbrechen und Versagen geprägt ist, auch Widerstand und Freiheitswillen und Zivilcourage existierten. Wir können gemeinsam stolz darauf sein, im Osten und im Westen.
Wir wissen also, aus Träumen kann Geschichte werden. Und Träume sind oft Triebfedern für historische Veränderungen. Aber wir wissen auch, dass wir nicht beim Träumen stehenbleiben dürfen. Und übrigens auch nicht beim Zeitraum der Befreiung. Denn Befreiung ist immer etwas ganz Wunderbares, Überwältigendes. Aber Freiheit ist dann oft, als Freiheit für etwas etwas Anstrengendes. In dieser Freiheit sind die überbordenden Gefühle der Befreiungssituation dann das Seltene. Dann muss das, was einst Visionen waren, in mühsamer politischer Arbeit ins Werk gesetzt werden.
Wir wissen nun, dass der schöne Frühling auch in der Politik nicht lange währt. Was aber aus diesen Tagen bleibt, ist der Anspruch und die Haltung der Bürgerinnen und Bürger, die mehrheitlich zum ersten Mal in ihrem Leben politisch aktiv wurden. Sie waren nicht länger Objekt der Politik, sondern begannen selbst zu gestalten. Sie ermächtigten sich, indem sie an ihre neue Rolle glaubten und sie annahmen. Manche lernten dabei, Bürgermeister zu sein, andere Abgeordnete oder gar Minister. Die Zeit, die den Ostdeutschen damals blieb, um eigenverantwortlich zu experimentieren und die eigenen Kräfte zu erproben, war recht kurz. Denn nach der Freiheit kam schnell der Ruf nach Einheit.
Der Wunsch nach Einheit stand in der ersten Zeit nicht im Vordergrund, und gerade die Bürgerrechtler waren spät dran mit dieser Erkenntnis. Es waren vielmehr Intuition und vielleicht auch Ungeduld der Bürgerinnen und Bürger, die aus dem Ruf "Wir sind das Volk!" das "Wir sind ein Volk!" machten. Der erste Satz hatte uns die Würde zurückgegeben. Der zweite ließ nicht nur die lange verschüttete Sehnsucht nach der Einheit der Nation aller Deutschen wieder aufleben, er gab uns den Realismus, die Weisheit des nächsten Schrittes: Nicht eine neu zu erfindende Demokratie war die Hoffnung der Menschen, sondern die real existierende Demokratie vom Rhein.
Die Kehrseite der schnellen Einheit war, dass Viele, die gerade erst politisch aktiv geworden sind und damit den Zustand als Objekt der Politik überwunden hatten, sich in eine neue Passivität gedrängt fühlten. Aus unabhängigen, freien Gestaltern von Politik wurden Lehrlinge, die sich nun fremd im eigenen Land fühlten.
Dieser Übergang offenbart deutlich eine Gefahr der modernen Demokratie, in der die individuelle Freiheit hoch geschätzt wird. Denn sie erfordert die aktive Hinwendung zum Dasein als Bürger, der seine Staatsbürgerschaft nicht nur auf die "Aus-Wahl" einer bestimmten Partei beschränkt. Sonst degradiert sich der Einzelne vom Bürger zum Konsumenten, der anstatt die res publica mitzugestalten, sich damit zufrieden gibt, dass der Staat bestimmte Güter zur Verfügung stellt. Als Kunde kann man sich dann auch jeglicher Verantwortung für das Produkt entledigen und seine Empörung lautstark kundtun, wenn die Leistung der Politik nicht den Erwartungen entspricht.
Dies ist natürlich kein ausdrückliches Phänomen in Ostdeutschland, sondern aller liberalen Demokratien. Und doch wurde es begünstigt durch den Umstand, dass wer lange nur Objekt der Politik war, sich auch gut in der Rolle des Konsumenten von Politik einrichten kann.
Es erscheint mir auch utopisch, zu erwarten, dass wenn fast drei Generationen, von 1933 bis 1989, in Diktaturen gelebt haben, in denen Angst und Anpassung eingeübt wurden, dieses Verhalten so internalisiert ist, dass aus den ehemals Unterdrückten über Nacht Citoyens werden. Wie auch im Westen Deutschlands braucht es Zeit, es braucht Hinwendung und es braucht auch wirtschaftliche und soziale Erfolge, um die Einzelnen in der Demokratie zu beheimaten.
Angesichts dieser Tatsache ist besser erklärbar, warum in der gegenwärtigen verunsicherten Gefühlslage, die in Deutschland existiert, unterschiedliche Reaktionsmuster in Ost und West erkennbar werden. Wenn Bürger in einer problematischen Situation, wie sie die Zuwanderung darstellt, die eigene Position nicht vertreten sehen oder wenn sie die Regierung gar als handlungsunfähig erleben, werden sie mit Ängsten und Befürchtungen, zum Teil auch mit Aggression und Wut reagieren. Ängste gewinnen immer dort eine größere Bedeutung, wo der Einzelne oder die Gruppe weniger Selbstbewusstsein haben. Wer ein festes Wertefundament hat beziehungsweise wer seine Rollensicherheit im gesellschaftlichen Raum gefunden hat, ist seinen Ängsten weniger ausgeliefert.
Die Westdeutschen sind nicht charakterlich höherstehend als die Menschen in den Transformationsgesellschaften, sie hatten aber eine längere Zeit der Auseinandersetzung mit Zuwanderung und der Einübung in der Demokratie. Wenn allerdings selbst hier, in einer gefestigten Demokratielandschaft, Angststrategien erfolgreich sind, heißt das, dass die liberale Demokratie in einer kritischen Situation ist.
Es ist nicht erforderlich, dass sie sich neu erfindet, wohl aber, dass sich mehr Bürger an ihr beteiligen, die sie als ihre gewollte Lebenswelt begreifen und tatsächlich auch entschlossen verteidigen. Darüber werde ich dann in der nächsten Vorlesung detaillierter sprechen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn wir uns heute fragen, wie wir wurden, was wir sind, dann blicken wir also zurück auf eine wechselvolle, eine lehrreiche und ermutigende deutsche Demokratiegeschichte. Ein epochaler Gewinn wie die Wiedervereinigung von Ost und West gehört dazu, trotz der Mängel, die wir heute sehen.
Dankbar erkennen wir: Deutsche können Demokratie und Freiheit. Aus unserer so wechselvollen politischen Geschichte ist ein demokratischer und sozialer Staat gewachsen, nicht automatisch, sondern weil sie von den Menschen unter Mühen, debattierend, streitend und schließlich doch einvernehmlich gebaut wurde.
Wie blind und taub wären wir, wenn wir das nicht mit Dankbarkeit und Stolz anschauen würden. Und wie stark, wie zukunftsfähig werden wir, wenn wir, gestärkt durch diesen Blick, diese Gefühle nutzen: Wir dürfen Zutrauen haben in uns selbst. Wir werden festigen und entwickeln, was uns am Herzen liegt: unsere liberale Demokratie.